Am Sonntag fanden Wahlen in Bosnien und Herzegowina statt. Das Ergebnis war eine herbe Niederlage für die Nationalisten. Zwei von drei Mitgliedern des Staatspräsidiums werden künftig von mitte-links Politikern besetzt. Mit Denis Bećirović ist zum ersten Mal seit 20 Jahren ein Sozialdemokrat Vertreter der Bosniaken in diesem dreigeteilten Gremium, das die Aufgaben eines Präsidenten ausübt.
Schon Monate vor der Wahl heizten Nationalisten die Stimmung in Bosnien und Herzegowina auf. Die Bosnier:innen goutierten das nationalistische Getöse jedoch nicht und sorgten für ein historisches Ergebnis. Erstmals in der Geschichte werden zwei von drei Mitgliedern des Staatspräsidiums von offen multi-ethnischen Parteien gestellt.
Der Fraktionsvorsitzende der SPÖ im EU-Parlament, Andreas Schieder, war als Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europäischen Parlaments vor Ort. Er drängt nach der Wahl auf die Umsetzung von Reformen: „Die Bürgerinnen und Bürger waren am Wort, jetzt ist es wichtig, dass wirkliche Reformen folgen. Die neue Regierung muss dafür sorgen, dass nach Jahren der Instabilität und Spaltung endlich alle Zusagen und Reformversprechen umgesetzt werden. Bosnien und Herzegowina muss endlich zu einem voll funktionsfähigen demokratischen Staat werden.“
Man kann das Wahlergebnis als Abrechnung der Bosnier:innen mit den nationalistischen Parteien verstehen, die für die schlechte wirtschaftliche Lage und die grassierende Korruption verantwortlich gemacht werden. Die nationalistischen Parteien vergeben die Ämter in den zwischen Kroaten, Bosniaken und Serben penibel aufgeteilten Staatsapparat. Im Gegenzug erwartet man sich Stimmen und Geld.
„Es gibt Leute, die einen Kredit zwischen 5.000 und 20.000 Mark (zwischen 2.500 und 10.000 Euro) aufnehmen, um das Schmiergeld für einen Arbeitsplatz zu bezahlen und trotzdem stehen sie dann ein Leben lang in der Schuld ihrer Gönner“, erzählt ein Kenner der bosnischen Politik.
Bosnien liegt im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International auf Rang 110. Wohl auch darum verlassen jedes Jahr rund 40.000 Bosnier:innen das drei Millionen Einwohnerland.
Eine dieser Parteien ist die regierende konservativ-muslimische Partei SDA. Ihr Kandidat um das Amt des bosniakischen Vertreters im dreiköpfigen Staatspräsidium Bakir Izetbegović musste eine herbe Niederlage einstecken. Sein Kontrahent Denis Bećirović feierte einen Erdrutschsieg. Er konnte die Wahl mit 56 Prozent für sich entscheiden. Im Vergleich zu seiner letzten Kandidatur 2018 konnte er sein Ergebnis um 22,5 Prozent steigern. Das Wahlergebnis kann als Denkzettel für die seit Jahrzehnten dominierende Partei unter den muslimischen Bosniaken betrachtet werden. Während der Corona-Krise machten sie mit einem Korruptionsskandal rund um die Beschaffung von Beatmungsgeräten durch einen Himbeerbauern und SDA-Günstling Schlagzeilen.
Das Rennen um den kroatischen Sitz gewann der mitte-links Kandidat Zeljko Komsic. Der Reformer konnte sich mit 54 Prozent seine vierte Amtszeit sichern. Das deutliche Ergebnis kam doch überraschend. Beobachter gaben auch der Kandidatin der kroatisch-nationalistischen HDZ gute Chancen. Vertreter der Partei drohten noch im Sommer mit einer Blockade der Wahl. Sie verfolgen die Schaffung eines dritten Teilstaates neben der Republika Srpska (serbische Teilrepublik) und der Föderation Bosnien und Herzegowina (Teilstaat der Kroaten und Bosniaken). Komsic selbst war eine Provokation für die Partei. Sie werfen ihn vor, nicht mehrheitlich von Kroat:innen gewählt zu werden, sondern von muslimischen Bosniaken, die als Kroat:innen abstimmen würden.
Bei der Wahl des serbischen Mitglieds des Staatspräsidiums konnte sich die Kandidatin der serbisch-separatistischen Partei (SNSD) Zeljka Cvijanović zwar klar durchsetzen. Cvijanović kandidierte anstelle von Milorad Dodik, der sich diesmal um das Amt des Präsidenten der serbischen Teilrepublik bewarb. Dieses Rennen fiel deutlich knapper als erwartet aus. Dodik liegt mit 48 Prozent nur um 6 Prozentpunkte vor seiner konservativen Kontrahentin Jelena Trivic. Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte Trivic das Rennen für sich entscheiden. Schon jetzt wird den serbischen Nationalisten Wahlmanipulation vorgeworfen. Schieder kritisiert als Wahlbeobachter generell den Wahlvorgang in ganz Bosnien und Herzegowina: „Auch wenn die Wahlen gut organisiert waren, gab es leider einige Mängel bei der Abwicklung und dem Ablauf des Wahlvorgangs. Insbesondere der Grundsatz der geheimen Stimmabgabe und damit die Wahrung des Wahlgeheimnisses wurden nicht durchgängig gewährleistet.“
Nichtsdestotrotz wird Dodik wohl Präsident der Republika Srpska. Er gilt als Verbündeter Putins und fiel im letzten Jahr durch seine immer extremer werdenden separatistischen Ansichten auf. So spielte er offen mit Abspaltungsideen der Republika Srpska vom Gesamtstaat. Er kündigte etwa an, den Teilstaat aus wichtigen gesamtbosnischen Institutionen in den Bereichen der Verteidigung, Justiz und Steuern zurückziehen zu wollen. Das wäre ein massiver Schritt in Richtung Teilung des Landes.
Um diese nationalistische Spannung zu beenden, hoffen viele in Bosnien, egal ob Kroat:innen, Bosnier:innen oder Serb:innen auf die Europäische Union. In Umfragen geben bis zu 80 Prozent an, einen EU-Beitritt Bosniens zu befürworten. Man hofft auf Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlichen Aufschwung. Doch das kleine Land am Balkan kommt hier nicht voran und auch das liege an der derzeitigen politischen Elite, erzählt man Kontrast.
„Jeder Schritt Richtung EU, jeder Fortschritt bei Rechtsstaatlichkeit und unabhängigen Gerichten, ist ein Schritt für Teile der Elite in Richtung Gefängnis. Wenn man die Abgeordneten fragt, sagen alle, sie seien für einen Beitritt in die EU. Doch die Handlungen beweisen oft das Gegenteil.“
Nach den Wahlen könnte sich das nun ändern.
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