Kultur

Dmitri Schostakowitsch. Musik aus der Bedrängnis

Dmitri Schostakowitsch war der bedeutendste Komponist der Sowjetunion. Seine Musik erzählt viel über die Lebensumstände, unter denen sie entstanden ist. Zwischen dem Wunsch der Mächtigen nach Propaganda und der allgegenwärtigen Zensur brachte er durch Musik öffentlich zur Sprache, was nicht gesagt werden durfte. Unterdrückt von Stalins Machtapparat ist es ihm gelungen, sich selbst treu zu bleiben.

Dmitri Schostakowitsch

Dmitri Schostakowitsch. Roger & Renate Rössing, credit Deutsche Fotothek/CC BY-SA 3.0

Dmitri Schostakowitsch wurde am 15. September 1906 in Leningrad geboren. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er mit neun Jahren von seiner Mutter und begann sofort mit eigenen Kompositionsversuchen. Bereits mit 13 wurde er als Student in das Petrograder Konservatorium aufgenommen. Sein Vater, ein Liberaler und Anhänger der Revolutionäre von 1905, verstarb bereits 1922. Um Geld zu verdienen, spielte er in Kinos Klavier zu Stummfilmen. So ungern er das tat, diese Erfahrungen wurden für seinen Musikstil wichtig – und dass er Musik für Filme komponierte, könnte ihm viele Jahre später, nach einer Morddrohung Stalins, das Leben gerettet haben. Denn Stalin wusste um die propagandistische Wirkung des Films und schätzte Schostakowitschs Filmmusiken.

Der internationale Durchbruch

Als 1926 seine 1. Symphonie uraufgeführt wurde, war er gerade 20 Jahre alt. Sie wurde ein Riesenerfolg – auch außerhalb der Sowjetunion. Bereits ein Jahr später wurde sie von keinem Geringeren als Bruno Walter in Deutschland erstaufgeführt. Der österreichische Komponist Alban Berg war davon begeistert und schrieb dem jungen russischen Kollegen einen langen Gratulationsbrief. 1928 präsentierte sie der Dirigent Leopold Stokowski in Philadelphia, 1931 folgte der weltberühmte italienische Dirigent Arturo Toscanini nach. Auch dieser richtete einen persönlichen Brief an den jungen Russen und ließ ihm ab diesem Zeitpunkt immer wieder Schallplatten mit eigenen Aufnahmen schicken. Schostakowitsch hat übrigens den diktatorischen Dirigenten gar nicht geschätzt – und die Schallplatten als Gastgeschenke weitergegeben.

„Dieses Spiel kann böse enden“

Seine unverwechselbare musikalische Sprache hat Schostakowitsch dann in jenem Werk gefunden, das ihm seinen zweiten, noch weit größeren Triumph beschert hat – und die unverhüllte Morddrohung. Es handelt sich um seine zweite Oper, Lady Macbeth von Mzensk. Die Morddrohung erschien zwei Jahre nach ihrer Uraufführung, am 28. Jänner 1936 unter dem Titel »Chaos statt Musik« in der Prawda, dem Zentralorgan der KPdSU. Das war Stalins Reaktion auf den Besuch einer Vorstellung, die ihm gar nicht gefallen hatte. Sie lautete: „Dieses Spiel kann böse enden.“ Doch Schostakowitsch ließ sich in seinem Schaffen nicht aufhalten: er komponierte 15 Symphonien, ebenso viele Streichquartette, zwei vollständige Opern und Konzerte. Er schrieb außerdem Musik für Theater, Ballett und eine ganze Reihe von Filmen.

„Und Kunst geknebelt von der groben Macht“

Diese Zeile entstammt William Shakespeare’s Sonett Nr. 66. Dmitri Schostakowitsch vertonte es 1942 als fünftes seiner »Sechs Lieder nach englischen Texten«. Er schuf diesen Liederzyklus also noch im selben Jahr, in dem sein bekanntestes Werk, die 7. Symphonie, die sogenannte »Leningrader« 1942 uraufgeführt wurde.

Mythos um die Leningrader Symphonie

Dmitri Schostakowitsch Leningrader Blockade

Leningrader Blockade. RIA Novosti archive, image #907 / Boris Kudoyarov / CC-BY-SA 3.0

Die Symphonie sollte die Überlebenskraft der Bevölkerung Leningrads (heute St. Petersburg) gegen die fast drei Jahre andauernde Belagerung durch die deutsche Wehrmacht stärken, die mehr als eine Million zivile Todesopfer forderte. Vom September 1941 bis Jänner 1944 wurde Leningrad ausgehungert und zerbombt, – gemäß Hitlers Befehl vom 8. Juli 1941, Leningrad dem Erdboden gleichzumachen.
Schostakowitsch selbst sorgte für eine gewogene Aufnahme seiner Symphonie. Seine offizielle Bekundung wurde in der Prawda abgedruckt. Darin hieß es: „Ich widme meine Siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt […]“.

Damit setzte Schostakowitsch eine bis heute vielfach geglaubte Halbwahrheit in die Welt. Unzweifelhaft war es seine Absicht mit seiner Musik die Abwehr- und Kampfkraft der Antihitlerkoalition zu stärken.

Die verschwiegene Hälfte der Wahrheit hat sein Biograph Solomon Volkov überliefert, und zwar in seinem umstrittenen Buch „Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch“, worüber Brigitte van Kann eine lesenswerte Besprechung verfasst hat. Volkov hat dies allerdings auch und in „Stalin und Schostakowitsch. Der Diktator und sein Künstler“ mit Fakten belegt – wie etwa der, dass Schostakowitsch schon Monate vor dem 22. Juni 1941, dem Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, an seiner Siebten gearbeitet hatte.
Was er verschweigen musste, war seine zweite Absicht: ein Requiem zu schreiben „für alle Umgekommenen, für alle Gequälten. Ich musste die furchtbare Vernichtungsmaschinerie schildern und den Protest gegen sie zum Ausdruck bringen.“

Kritik an Stalin

Und Schostakowitsch schildert laut Volkov eindrücklich, was es hieß, unter Stalins Schreckensherrschaft zu leben: „Der Krieg brachte unendlich viel Kummer, unendlich viele Tränen. Doch vor dem Krieg war es noch schwerer, weil jeder mit seinem Leid allein war. Schon vor dem Krieg gab es in Leningrad sicherlich kaum eine Familie ohne Verluste […] Jeder hatte jemanden zu beklagen. Aber man musste leise weinen, unter der Bettdecke. Niemand durfte es merken. Jeder fürchtete jeden. Der Kummer erdrückte, erstickte uns. Er würgte alle, auch mich. Ich musste ihn in Musik umsetzen.“ Das ist ihm gelungen.

Mit einer Reihe weiterer Abqualifizierungen des damals bereits weltberühmten Komponisten, etwa durch den Komponistenverband, sollten die vorgeblich kunstpolitischen Richtlinien auch auf dem Gebiet der Musik durchgesetzt werden. Nach dem Beschluss des Zentralkomitees 1932 war nur noch erlaubt, was als „sozialistischer Realismus“ anerkannt wurde. Dies betraf zunächst die anderen Kunstgattungen, zuerst die Literatur, dann das Theater und den Film. Tatsächlich handelt es sich bei den angeführten Kriterien zur Beurteilung von Kunstwerken um eine Aneinanderreihung von schwammigen Beliebigkeiten, deren Funktion darin bestand, den kreativen Aufbruch der 1920er-Jahre abzuwürgen und sie der Propaganda dienstbar zu machen.

Der „sozialistische Realismus“

So wenig das Unmögliche auch nur in Ansätzen gelang, nämlich irgendwie greifbar zu machen, wodurch sich eine „sozialistisch realistische“ Symphonie oder Oper auszeichnen würde, so tauglich erwies sich dieses Konstrukt für Unterwerfung und Verfolgung. Der allenthalben drohende Vorwurf hieß „Formalismus“. Hinzu kam nach dem Zweiten Weltkrieg der des „Kosmopolitismus“, dem sich alle Künstlerinnen und Künstler ausgesetzt sahen, die im Westen Anerkennung erfuhren, deren Werke weltweit Beachtung fanden.

Die kunstpolitische Maxime des „sozialistischen Realismus“ erwies sich in der Herrschaftspraxis als fadenscheiniges Gewand zur willkürlichen Durchsetzung der Vorlieben Mächtiger. Die Meinung eines in musikalischen Fragen wenig kundigen Stalin und seines Nachfolgers Chrustschow (ein ausgewiesener Kunstbanause) gewannen herrschaftliche Geltung – wofür jener auch die grausamsten Mittel einsetzten. Vor deren despotischer Willkür gab es keinen zuverlässigen Schutz.

Zwischen Anbiedern und Anecken

Einen gewissen Schutz boten Zugeständnisse und Anbiederungen, zu denen sich alle gezwungen sahen, die weiterhin Kunst schaffen wollten. Die große Kunst des Dmitri Schostakowitsch erwies sich in seiner Fähigkeit zur Doppelbödigkeit mittels verbaler Irreführung und musikalischer Ironie und Sarkasmus. Viele seiner Werke sind doppelbödig angelegt und scheinen vordergründig den offiziellen Erfordernissen zu entsprechen. Doch Zuhörern erschließt sich auch ein anderen Inhalt seiner Musik. So notierte beispielsweise der russische Schriftsteller und Journalist Ilja Ehrenburg – erschüttert von der 8. Symphonie, die er eben zuvor gehört hatte:

„Die Musik genießt das große Vorrecht, alles aussagen zu können, ohne irgend etwas zu erwähnen.“

Schostakowitsch und seine Familie waren vielerlei Demütigungen und Bedrohungen ausgesetzt, die auch Selbstmordgedanken bei ihm hervorriefen. Doch gelang es ihm, sich daraus mit kreativen Hervorbringungen zu befreien. So schrieb er 1936 seinem engen Freund Issak Glikman: „Wenn man mir die Hände abhackt, halte ich den Stift eben mit den Zähnen!“ Sein Komponisten-Kollege Aram Chatschaturian beneidete Schostakowitsch um diese seine Fähigkeit, auf Verfolgung mit der Schöpfung neuer Musik zu antworten und meinte: „Deshalb ist er ein Genie, während wir bloße Talente sind.“ Schostakowitsch starb eines – was gar nicht selbstverständlich war – natürlichen Todes am 9. August 1975.

 

Details zur Vortragsreihe
Die Volkshochschule Hietzing veranstaltet die auf zwölf Teile angelegte Vortragsreihe „Verzweifelt für die Freiheit. Die Musik des Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch“. Hier die nächsten Termine:
Mi, 24.10.2018: „… bin ich ein Jude“
Mi, 14.11.2018: Die Kunst an die Kandare genommen
Mi, 5.12.2018: Gewalt bloßgestellt
Zeit: 18:30–20:00
Ort: Bezirksmuseum Hietzing, Am Platz 2, 1130 Wien (bei U 4-Station Kennedy-Brücke)

Mehr Infos zur Vortragsreihe findest du hier.

Eine Liste aller Konzerte von Dmitri Schostakowitsch 2018/2019 in Wien findest du hier.

Newsalert

Kostenlos anmelden und keinen Artikel mehr verpassen. Jetzt auch Telegram!

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
Dmitri Schostakowitsch. Musik aus der Bedrängnis

Top Themen

Wir recherchieren und überprüfen die Inhalte und Fakten in unseren Beiträgen. Du hast trotzdem einen Fehler entdeckt? Bitte schick uns eine Nachricht.
Click to comment
Kommentare abonnieren
Benachrichtigungen:
guest
Mehr zum Datenschutz finden Sie in unserer Datenschutzerklärung
Unangemessene Kommentare können hier gemeldet werden.
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
Top