Wirtschaft und Finanzen

„Es geht in Wirklichkeit um Gier“ – MAN kündigt 250 Leiharbeiter in Steyr als Drohgebärde

Die MAN-Zentrale in München hat eine Woche nach dem Nein der Belegschaft zur Übernahme des Standorts Steyr durch Investor Siegfried Wolf begonnen, LeiharbeiterInnen abzubauen. Eine Drohgebärde, wie es die Gewerkschaft nennt. Unterdessen bescheinigt ein renommierter Rechtsexperte: Die Beschäftigungsgarantie bis 2030 gilt. Seiner Meinung nach darf MAN das Werk nicht schließen, ohne Entschädigungen für entgangene Löhne zu zahlen. Das würde dem Konzern Milliarden kosten und erklärt, warum MAN unbedingt an den Investor Siegfried Wolf verkaufen wollte – unterstützt von der ÖVP.

Eine Woche nach der Entscheidung der MAN-Beschäftigten in Steyr gegen das Übernahmeangebot des Investors Siegfried Wolf, kündigt der Konzern 125 Leasing-ArbeiterInnen in Steyr. „Als eine der ersten Maßnahmen werden wir die Anzahl der Leiharbeitnehmer am Standort von 278 in den nächsten Wochen um zunächst rund die Hälfte reduzieren. In einem weiteren Schritt werden wir uns auch von den übrigen Leiharbeitnehmern trennen”, hieß es aus München.

Die Kündigungen erfolgen wohl nicht aus wirtschaftlichen Gründen: Der Abbau der Leasingkräfte ist für Arbeiterbetriebsrat Helmut Emler „wirtschaftlicher Wahnsinn“. Schließlich sind die Auftragsbücher in Steyr voll, das Werk ist für die nächsten zwei Jahre ausgelastet. Wenn die Konzernführung jetzt ankündigt, das gesamte Leihpersonal zu kündigen, muss die Stammbelegschaft das mit Überstunden übernehmen. „Das wird wesentlich teurer“, sagt Emler. Die Kündigung wertet die Gewerkschaft als Drohsignal gegenüber den anderen Beschäftigten. Man kenne das aus Herbstlohnrunden, wo immer wieder Firmen kurz vor den Verhandlungen Leihpersonal kündigten, um Druck aufzubauen. „Dem Management geht es vor allem um eine Machtdemonstration – darum, die Belegschaft einzuschüchtern“, sagt der SPÖ-Abgeordnete Alois Stöger, der ab nächster Woche für die Gewerkschaft ProGe mit MAN verhandeln wird.

Dass es die Leasingarbeiter als erste trifft, wenn es um Kündigungen geht, haben sie vorausgesehen: Bei den Leihkräften soll die Ablehnung der Wolf-Übernahme mit 71,4 Prozent noch höher gewesen sein als bei der Stammbelegschaft (63,9%).

„Wir sind keine anderen Menschen!“

Die MAN-Führung ist über dieses deutliche Votum gegen ihre Verkaufspläne nicht erfreut. Über den ehemaligen Betriebsratschef Erich Schwarz, der 50 Jahre lang im Betrieb gearbeitet hat, wurde gar ein Betretungsverbot für das Werksgelände verhängt.

Schwarz war es, der damals die Standortgarantie bis 2030 für die Beschäftigten in den Verhandlungen erreichte und gegenüber Kontrast machte er klar:

„Ein Vertrag ist ein Vertrag und der hat zu halten. Die Manager, die früher freigestellt wurden, bekommen ihr Gehalt weitergezahlt und dasselbe wollen wir auch für uns. Wir sind keine anderen Menschen.“

Übernahmeplan als Erpressungsversuch

Das Management wollte sich aber plötzlich nicht mehr an den Standortsicherungsvertrag halten. Den MitarbeiterInnen wurde die sprichwörtliche Pistole an den Kopf gesetzt: Entweder sie stimmen den Übernahmeplänen des Investors Siegfried Wolf zu oder das Werk wird geschlossen. Wolf wollte, obwohl das Werk profitabel ist,  die Hälfte der Belegschaft kündigen. Die verbleibenden MitarbeiterInnen hätten 15 Prozent Lohn verloren. Wolf  hatte sich eine Zweidrittelmehrheit gewünscht, bekommen hat er das Gegenteil: Fast zwei Drittel der Belegschaft stimmte dagegen. Einige werteten die Ablehnung als Akt der Würde und Zeichen, dass sich die Beschäftigten nicht alles gefallen lassen müssen. Andere wiederum kritisieren sie dafür, die Rettung des Werkes verhindert zu haben.

Dazu muss man sich das Übernahmeangebot etwas genauer ansehen. Seit MAN im Herbst ankündigte, den Standort Steyr schließen zu wollen, gab es mehrere Interessenten. MAN setzte die MitarbeiterInnen im Vorfeld jedoch unter Druck: Entweder man gehe mit Wolf oder das Werk werde geschlossen. MAN hat ausschließlich mit Wolf verhandelt. Er war der einzige Investor, der Einblick in die MAN-Bücher hatte und ein passgenaues Konzept erstellen konnte. „MAN hat uns nicht einmal Zugang zum Datenraum gegeben“, sagt der Linzer Unternehmer Karl Egger, der ebenfalls den Standort übernehmen will, zu Moment.

Wolfs gute Kontakte zur ÖVP: Konservative Politiker unterstützen sein Angebot

Wolfs Angebot unterstützten die Wirtschaftsministerin Schramböck und die oberösterreichische Landesregierung, vor allem Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (ÖVP). Für ihn habe Wolf „ein gutes Angebot mit tollen Produkten gemacht“:

„Und wenn es andere Interessenten gibt, die gute Konzepte vorlegen, wird sich MAN auch das anschauen. Nur bis dato kennen wir nur ein Konzept, ein zukunftsfähiges, und das ist das von Sigi Wolf“, sagte Achleitner am Tag nach der Abstimmung in der Zeit im Bild 2.

Wolf steht auch Sebastian Kurz nahe. 2017 war er einer der ersten Industriellen, der sich offen für Neuwahlen aussprach und seine Kandidatur unterstützte. Heinz-Christian Strache erklärte im Ibiza-Video, dass Benko und Wolf das Projekt Kurz über Umwege mit Millionen versorgt hätten. Dazu gibt es keine Beweise, deklarierte Spenden an die ÖVP sind zumindest keine geflossen. Bekannt wurde allerdings, dass Kurz Siegfried Wolf unbedingt zum Aufsichtsratschef der ÖBAG machen wollte. Kurz war aber besorgt, wie die Öffentlichkeit reagieren würde: „Kurz scheißt sich voll an“ wegen Wolf, hieß es damals in internen Chats.

MAN will billig aus dem Beschäftigungsvertrag bis 2030 kommen. Dabei soll der Investor Wolf helfen. (c) MAN

Woher kommt das Wolf-Faible?

Der Fokus auf Wolf hat wohl mehrere Gründe: Einerseits will MAN das Werk in Steyr loswerden und die Produktion nach Polen verlagern. Andererseits wollen die Eigentümer aber auch verhindern, dass am Standort ein ernsthafter Konkurrent zur Nutzfahrzeuge-Produktion vom VW-Konzern entsteht, zu dem MAN gehört. Wolf ist da durch seine wirtschaftliche Verbundenheit zum VW-Konzern eine gute Wahl. Er pflegt eine Freundschaft mit der Eigentümerfamilie Porsche, 2019 war er Trauzeuge bei der Hochzeit von Wolfgang Porsche. Wolf sitzt auch im Aufsichtsrat der Porsche Automobil Holding SE, der einem sehr exklusiven Kreis von Familienmitgliedern und Anwälten vorbehalten ist. Porsche SE ist der Mehrheitseigentümer von Volkswagen, dessen Tochterunternehmen Traton wiederum Mehrheitseigentümer von MAN ist.

Daneben soll Wolf zehn Prozent an der russischen GAZ-Gruppe halten, die PKWs der Marke VW und Skoda für den russischen Markt produziert. Volkswagen und Wolf stehen in einer engen wirtschaftlichen Beziehung, GAZ ist der lokale Produzent von Volkswagenfahrzeugen in Russland. Das deutsche Handelsblatt berichtete auch von einer Übernahme von GAZ-Anteilen durch VW. Wolf hängt wirtschaftlich also an der Leine der jetzigen MAN-Eigentümer.

Ein weiterer Grund für den Wolf-Faible der Konzernführung dürfte der Standortsicherungsvertrag sein. Brancheninsider vermuten, dass sich der MAN-Konzern über den Verkauf an Wolf möglichst billig seiner Mitarbeiter entledigen wollte. Der Standort hätte zunächst weiter für MAN produziert, aber Personalabbau und Lohnkürzungen hätte Wolf übernommen. Mit dem Verkauf wäre auch die Standortgarantie aus den Verträgen verschwunden.

MAN könnte über eine Milliarde Kündigungsentschädigung zahlen müssen

Wegen dieser Standortgarantie könnte der Konzern die Löhne der Beschäftigten in Steyr bis 2030 weiterzahlen müssen, denn bis dahin wurde der Erhalt des Werkes vertraglich zugesagt. Es geht um rund eine Milliarde Euro. Die Gewerkschaft besteht auf den Vertrag und bekommt jetzt Unterstützung vom renommierten Zivilrechtsexperten und Rektor der Johannes Kepler Universität (JKU), Meinhard Lukas. MAN hat im Dezember 2019 einen Vertrag zur Standortsicherung bis 2030 unterschrieben. Die Beschäftigten hätten im Gegenzug auf Pausen verzichtet und dadurch einen LKW mehr pro Schicht gefertigt – ohne Lohnausgleich, wie der Betriebsrat stets betont.

Der Zivilrechtsexperte Lukas argumentiert: Für den Standortvertrag hätten die Arbeitnehmer eine Gegenleistung erbracht und auf Rechte verzichtet. Dadurch erlangt der Standortvertrag verbindlichen Charakter, weil die Beschäftigten ihren Teil der Vereinbarung bereits vollzogen haben. „Selbst, wenn das keine gültige Betriebsvereinbarung ist, kann das Inhalt der einzelnen Verträge der Arbeitnehmer geworden sein“, so Lukas. Dazu gebe es eine Judikatur des OGH. Er widerspricht damit dem Rechtsgutachter von MAN, Wolfang Mazal.

Die deutsche Konzernmutter VW will jedenfalls verhindern, den ArbeiterInnen in Steyr die entgangenen Löhne bis 2030 zu zahlen. Der Rechtsstreit bringt ein enormes Risiko für den Konzern. Da kam die Variante einer Übernahme durch den Investor Wolf gelegen: Der übernimmt das Werk, kürzt die Löhne und kündigt die Hälfte der ArbeiterInnen, aber ohne VW gefährlich zu werden. MAN könnte in der Zukunft das Werk sogar wieder zurücknehmen – mit niedrigeren Löhnen und weniger MitarbeiterInnen.

„Verwerflich wäre das nicht“, sagt Wolf den Oberösterreichischen Nachrichten sogar ganz offen auf deren Frage: „Was sagen Sie jenen, die argumentieren, Siegfried Wolf hilft dem VW-Konzern, ein teures Produktionswerk loszuwerden und später als billigeren Standort wieder zurückzukaufen?“

Im Februar gingen 4.000 Menschen in Steyr auf die Straße, um gegen die Konzernführung zu demonstrieren. (c) Prinz

Der Staat müsste handeln

Auch Bundes- und Landesregierung hätten sich mit Wolf leicht der Probleme in Steyr entledigen können – auf dem Rücken der MAN-Beschäftigten. Von der Regierung kommt wenig Druck auf MAN, den Standortsicherungsvertrag einzuhalten. Die Übernahme von Wolf wurde dagegen sowohl von Wirtschafts- und Arbeitsministerin Schramböck (ÖVP) als auch vom oberösterreichischen Wirtschaftslandesrat Achleitner (ÖVP) unterstützt. Viele MAN-Beschäftigte hätten sich die Solidarität der Politik gewünscht.

Ganz im Gegenteil meinte Wirtschaftsministerin Schramböck aber: „Eine Fortführung (des Standorts Steyr, Anm.) wird nicht funktionieren, wenn man so weitermacht wie bisher.“ Man müsse „den Standort wettbewerbsfähig machen.“ Das klingt zynisch, wenn man den aktuellen Geschäftsbericht von MAN liest: Die Belegschaft erwirtschaftete im letzten Jahr über 20 Millionen Euro Gewinn. Jetzt sollen sie noch wettbewerbsfähiger werden.

Druck aus der Politik auf das Management und die Eigentümer gab es nicht. Obwohl MAN Corona-Staatshilfen von rund 11 Mio. Euro in Form von Kurzarbeit bekommen hat und in den letzten fünf Jahren rund vier Millionen Euro an öffentlichen Förderungen an den Konzern für die E-Mobilität geflossen sind. Außerdem ist die öffentliche Hand ein Hauptabnehmer der LKWs: Bundesheer, ASFINAG und die Wiener Müllabfuhr kaufen bei MAN und haben die LKWs zum Marktführer in Österreich gemacht. Es wäre daher leicht, politischen Druck aufzubauen und MAN vor die Wahl zu stellen: Entweder den Standortvertrag einzuhalten oder alle öffentlichen Aufträge zu verlieren, heißt es aus der Gewerkschaft. Passiert ist das nicht.

„Die Bundesregierung hätte einige Hebel in der Hand, doch die müssen auch benutzt werden“, so die SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner. Der Staat könnte beim Werk einsteigen und bis zu 20 Prozent in Steyr übernehmen.

Kündigungen trotz halber Milliarde Dividende

MAN geht es wirtschaftlich nicht schlecht: Der Umsatz der Münchner Konzernmutter Traton liegt bei elf Milliarden Euro. Die Aktionäre beschlossen erst im September, sich eine halbe Milliarde Euro Dividende auszuschütten. Die Vorstände kassierten Bezüge von 11 Mio. Euro. Durch die Verlagerung in den Osten will die Konzernführung in drei Jahren eine Umsatzrendite von acht Prozent erreichen.  „Es geht in Wirklichkeit um Gier und ein Management, das über Jahre Dinge versäumt hat“, sagt Alois Stöger, der ab Montag für die Gewerkschaft den Sozialplan mit MAN verhandelt.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 60%, 1375 Stimmen
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    1375 Stimmen - 60% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 346 Stimmen
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    346 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 288 Stimmen
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    288 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 197 Stimmen
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    197 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 102 Stimmen
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    102 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2308
12. März 2024
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Patricia Huber

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