Inside Staatsapparat

Politik-Insider Matzka: Regierung kann nicht so unwissend sein

Sebastian Kurz tut so, als hätte er mit dem Chaos im Corona-Management rund um die Impfstoff-Beschaffung nichts zu tun. Schuld sollen ein Beamter im Gesundheitsministerium und die EU sein. Dabei passiert in den Ministerien nichts ohne das Wissen der politischen Entscheidungsträger, weiß Regierungs-Experte Manfred Matzka.

Ja, wir haben ein veritables politisches Problem mit der Corona-Impfung. Nicht nur, dass die Bundesregierung im Rat daran mitwirkte, dass die EU zu spät und zu wenig Impfstoff besorgt hat, nicht nur, dass Österreich bisher nur halb so effektiv impft wie andere EU-Staaten, nicht nur, dass akut hunderttausende Impfdosen herumliegen. Jetzt wird auch noch klar, dass die Regierung nicht allen Impfstoff gekauft hat, den sie hätte kriegen können. Das ist in der Tat in der causa prima der österreichischen Politik ein Totalschaden. Angesichts dessen jetzt auf politisch verantwortlicher Ebene wegzuducken und auf Beamte hinzuhauen, ist feige, unprofessionell und in der Sache falsch.

Die Ministerien in fester Hand

Zunächst einmal zum grundsätzlichen Verhältnis von politischer Spitze und Beamten im derzeitigen System: Die Ministerbüros kontrollieren für die Chefs alles und jedes bis ins kleinste Detail; keine Zeile darf im Bürgerportal stehen, die nicht abgesegnet ist; jede 1000-Euro-Förderung des Ministeriums ist vorzulegen; jeder Fitzel-Akt muss dem Kabinett mit langer Erläuterung vorgeschrieben werden, bevor er rausgeht. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen man Beamten und Sektionschefs noch einen eigenen Verantwortungsraum zubilligte, ist heute alles vom Generalsekretär oder vom Ministerbüro – zumeist von beiden – an die ganz kurze Kandare genommen. Vierzig Kontrolleure sitzen rund um jeden Minister und Kanzler, die nichts anderes tun, als darauf zu achten, dass niemand im Apparat etwas tut, was unbemerkt bleibt.

Es ist also geradezu skurril, wenn ein Kanzler und Minister jetzt so tun, als wüssten sie nicht, was in der derzeit wichtigsten Frage des Staates, der Corona-Impfung, Sache ist.

Sie und ihre Satrapen wussten und wissen es ganz genau. Die Regierungsspitze hat an den Vereinbarungen mitgewirkt, die die EU-Kontingente nach Bevölkerungsschlüssel festgelegt haben, und auch, was mit nicht abgerufenen Anteilen geschieht.

Niemand glaubt, dass dort nicht besprochen wurde, was geschieht, wenn ein Land sein Kontingent nicht ausschöpft. Das kann man kaum übersehen oder vergessen. Und wenn, dann liegt darin ein schweres Verschulden der Chefs, sich nicht voll um die Sache gekümmert zu haben. Jetzt die Offenlegung von Verträgen zu fordern ist Chimäre – der Kluge liest und überdenkt sie, bevor er unterschreibt.

Die Verantwortung im Corona-Management haben Sebastian Kurz und die politischen Entscheidungsträger, sagt Manfred Matzka.

Auch kann kein Kanzler und Minister blauäugig vorgeben, erst jetzt zufällig draufgekommen zu sein, dass es ungleiche Impf-Quantitäten in Europa gibt. Seit Anfang Jänner sind die Statistiken öffentlich und aus ihnen geht von Anfang an glasklar hervor, dass Österreich schlecht liegt. Hier musste jeder verantwortungsbewusste Politiker doch nachfragen, warum das so ist. Hier musste doch jeder Diener des Volkes sofort die Weisung ausgeben, alle nur denkbaren Möglichkeiten zu nutzen, um diesen Gap auszugleichen. Keines von beiden ist offenbar geschehen – keine Nachfrage, kein Auftrag.

Sebastian Kurz kümmert sich um Message-Control statt Corona-Management

Wie kann das trotz des hypertrophen Kontrollapparats von Kanzler und Minister geschehen? Ganz einfach: weil sich das Controlling derzeit nur auf die Messages, auf den Spin, auf den Verkauf, nicht aber auf die Sache selbst bezieht. Von der Sache verstehen die Adlaten nichts, daher können sie auch gar nicht gezielt nachfragen und anordnen. Diese inhaltliche Blässe ist aber Auswahlverschulden derer, die die Ministerbüros so besetzt haben. Ein schwerer HR-Managementfehler, würde man in der Wirtschaft sagen.

Zudem herrscht in den Ministerbüros und Generalsekretariaten ein eisernes Dogma: Überall, wo eine Verantwortung entstehen könnte, sollen die Beamten – und nur sie – unterschreiben. Wir sagen ihnen zwar genau, was zu tun ist, aber die Signatur müssen sie selber setzen, damit die Zurechnungskette der Verantwortung bei ihnen endet. Wenn etwas schief geht, darf nur ja kein Schatten auf den Minister und seine Umgebung fallen. Eine schuld-dichte Isolierschicht muss her. Und dort, wo es ganz heikel werden kann, setzt man noch eins drauf: Man gliedert aus, lagert aus, lässt wohlwollend gestützte Private werkeln. Bei den Corona-Hilfen die COFAG, bei der Corona-App das Rote Kreuz, bei der Maskenbeschaffung die Hygiene Austria, beim trübseligen Wirrwarr der Impfreihenfolge die Länder.

Über allem schwebt ein Finanzminister, der sich zwar per SMS um kleine Termindetails von Politfreunden kümmert, aber bei den richtig großen Impfstoffbestellungen nur die Verantwortung übernimmt, Zahlen richtig zu addieren und zu schauen, ob die Ausgaben in den – ohnedies bekanntermaßen falschen – Budgetziffern gedeckt sind. Vertragsprüfung, Prüfung der Zweckmäßigkeit gibt es nicht. Der Gesundheitsminister könnte tausende Tonnen zerstampfter Kröten gegen Corona kaufen – Hauptsache, der Preis findet in der Budgetpost 4711 Deckung.

Sebastian Kurz weiß von nichts

Und ganz über allem schwebt der Chef. Er braucht nichts zu wissen und er wusste bisher gar nichts. Er war nur mit am Tisch, als in der EU die Verteilung und Resteverwertung beschlossen wurde. Er führt nur den Ministerrat, ohne allwöchentlich als obersten Punkt zu setzen: „Wie können wir noch mehr Österreicher impfen?“. Er spricht vor den zahllosen Pressekonferenzen mit dem Gesundheitsminister nicht über Impfziele und Impfdosen, sondern über die Aufteilung der Redezeit.

Aber wenn’s dann gründlich schiefläuft beim Corona-Management, weiß jeder ganz genau, was zu sagen und zu tun ist: Ich bin nicht zuständig, ich habe nichts gewusst, ich habe alles richtig gemacht, ich habe nicht viel Macht, Schuld sind die unfähige EU, die schlauen Beamten und die obstinaten Länder. Haltet den Dieb.

 

Dr. Manfred Matzka war ab 1999 bis 2016 Präsidialchef des Bundeskanzleramtes und zuletzt persönlicher Berater der Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Der promovierte Jurist war seit 1980 im Bundesdienst und für Personal, Recht, e-Government, Verwaltungsreformprojekte und die Koordinierung des Bundeskanzleramts ebenso zuständig wie für ressortübergreifende Organisation. Derzeit ist Matzka Aufsichtsratsvorsitzender der Bundestheater-Holding und Vizepräsident von Austrian Standards. Für Kontrast kommentiert er das Corona-Management und das innenpolitische Geschehen.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 60%, 1374 Stimmen
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    1374 Stimmen - 60% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 345 Stimmen
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    345 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 288 Stimmen
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    288 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 197 Stimmen
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    197 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 102 Stimmen
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    102 Stimmen - 4% aller Stimmen
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12. März 2024
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Manfred Matzka

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