Reportagen

Rekord-Teuerung: „Man erfindet Ausreden, weil man sich den Kaffee nicht mehr leisten kann“

Jahrelang war sie Pflegehelferin – bis sie sich aus gesundheitlichen Gründen mit 45 einen neuen Job suchen musste. Brigitte Grunner erzählt im Gespräch über ihre Umschulung zur Kosmetikerin und wie die aktuelle Situation sie und viele ihrer Freunde und Bekannten in die Armut treibt.

Brigitte Grunner hat jahrelang zuerst als Heimhilfe und seit 2005 als ausgebildete Pflegehelferin gearbeitet. Der Job hat ihr gefallen und sie würde ihn gerne bis heute ausüben – trotz des schlechten Personalschlüssels und der hohen Fluktuation ihrer Kolleg:innen. Doch dann erlitt Grunner einen Bandscheibenvorfall, weitere gesundheitliche Probleme folgten und sie musste sich beruflich umorientieren. Mit 46 Jahren macht sie jetzt eine Ausbildung zur Kosmetikerin, ausgebildete Masseurin ist sie bereits. Derzeit muss sie mit 700 Euro Notstandshilfe auskommen. Daneben verdient sie sich als Werbeschauspielerin geringfügig etwas dazu. Mehr darf sie nicht arbeiten, weil sie sich sonst den Kurs zur Lehrabschlussprüfung im Herbst selbst bezahlen müsste – und das könnte sie sich nicht leisten. Ihr Einstiegsgehalt als Kosmetikerin würde danach laut Kollektivvertrag 1.610 Euro brutto betragen. „Damit kann ich gerade einmal meine Fixkosten abdecken“, sagt Grunner. Dabei braucht man für den Beruf viel Fachwissen, hat Verantwortung und muss sich medizinisch auskennen – zusätzlich zur körperlichen Anstrengung.

„1.700 Euro netto wäre das Mindeste für diese Arbeit. Vor allem jetzt mit den hohen Preisen“, sagt sie.

Wenn der Schwimmbad-Besuch zum Luxusgut wird

Die gelernte Masseurin ist froh, dass sie die Möglichkeit hat, die Lehrausbildung in einem Betrieb machen zu können, der ihr gefällt. Es ist wichtig für sie, in der Praxis zu bleiben und „keine Lücken im Lebenslauf zu haben“. Sie arbeitet gern und hat das ihr Leben lang auch mit Freude gemacht. Doch jetzt erlebt sie, wie es ist, als Erwachsene in Armut zu leben.

Ein Grund sind die aktuell massiven Preissteigerungen. So lag die Miete für ihre Wohnung im November noch bei 750 Euro, mittlerweile muss sie für dieselbe Wohnung 785 Euro hinlegen. Letzten Monat konnte sie nur mit dem Klimabonus noch die Miete zahlen, weil das Geld vom AMS viel zu spät überwiesen wurde. Auch im Supermarkt reicht das Geld nur noch für das Nötigste:

„Die hohen Preise bei den Lebensmitteln merke ich wahnsinnig, weil ich immer die gleichen Produkte kaufe. Ich muss mich wegen meiner gesundheitlichen Situation achten, aber das ist jetzt fast nicht mehr möglich“, erzählt sie.

Eigentlich rät ihr Arzt ihr wegen ihres Bandscheibenvorfalls regelmäßig Sport zu machen. „Ich kann mir aber weder den Eintritt ins Schwimmbad noch ins Fitness-Center zum Krafttraining leisten. Denn auch mit dem Mobilpass muss ich dafür noch 4 Euro zahlen und das geht sich einfach nicht mehr aus“, so Grunner.

„Man erfindet Ausreden, weil man sich den Kaffee nicht mehr leisten kann“

Brigitte Grunner hat jahrelang im Pflegebereich gearbeitet.

Diese finanzielle Situation wirkt sich auch auf ihre Sozialkontakte aus, wie sie erzählt.
„Ich bin 46 und habe nicht einmal eine Couch, weil ich es mir nicht leisten kann. Es ist mir peinlich, jemanden zu mir nach Hause einzuladen.“ Gleichzeitig kann sie auch nichts unternehmen. „Wenn man 80 bis 120 Euro im Monat zum Leben hat, dann kann man nicht fortgehen oder sich auf einen Kaffee treffen. Dafür geniert man sich und erfindet stattdessen Ausreden, dass man keine Zeit hätte.“

Früher war für sie und ihre drei Kinder alles möglich. „Wir sind eine normale Arbeiterfamilie, wir waren auch nicht reich, aber meine Kinder konnten alles machen. Sie konnten Ausflüge machen, eislaufen, ins Schwimmbad, hatten Fahrräder oder sich ein Eis kaufen. Heute wäre das alles nicht mehr leistbar.“

Psychische Belastungen nehmen deutlich zu

Diese Situation erleben derzeit viele in ihrem Umfeld. So hat ihr Sohn als ausgebildeter Masseur während der Corona-Krise dreimal den Job verloren und nun eine 35-Stunden-Stelle gefunden – für 1.400 netto. Er lebt im Weinviertel und ist auf ein Auto angewiesen. „Die Spritpreise sind ein Wahnsinn für ihn.“

Eine Freundin von ihr zieht jetzt nach Schwechat, weil sie sich in Wien die Miete nicht mehr leisten kann. Fast wäre es so weit gekommen, dass man ihr Strom und Wasser abgedreht hätte. Viele aus ihrem Umfeld wissen nicht mehr, was sie machen sollen. Bekannte, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben und jetzt zum Sozialamt gehen müssen. „Für einen Menschen ist das eine Katastrophe, wenn man sich nicht einmal mehr Essen leisten kann. Ich rede noch gar nicht von Luxusgütern, von einem Heurigen-Besuch, sondern davon, dass man sich duschen kann, heizen und essen, was einem schmeckt. Da geniert man sich einfach“, sagt Grunner.
Gleichzeitig sind die Belastungen inzwischen so hoch, dass viele keine Kraft mehr haben, zu arbeiten oder sich eine Arbeit zu suchen.

„Arbeiten soll ja belohnt werden, aber die Leute können einfach nicht mehr. Die Leute sind ja nicht faul oder dumm, die können einfach nicht mehr und bleiben zu Hause. Viele sind psychisch angeschlagen und jetzt kommt noch die Angst vor der nächsten Strom- und Gasrechnung dazu, oder dass etwas kaputt wird. Diese ständige Angst macht müde. Ich merke diese psychische Belastung in allen Altersgruppen.“

Die Regierung müsste einen Preisdeckel beim Wohnen und Energie einführen

Von der Regierung erwartet sich Grunner dauerhafte Lösungen, etwa einen Preisdeckel bei Strom, Energie, Wohnen. „Die Dinge, die lebensnotwendig sind, müssen gedeckelt werden. Das muss einfach ein Grundrecht sein!“, ist sie überzeugt. Außerdem müssten die Löhne angehoben, aber auch die Lohnnebenkosten gesenkt.
„Wenn die Situation so bleibt, richtet das ja auch die Wirtschaft zugrunde. Denn was sollen die Leute kaufen, wenn sie kein Geld haben?“, ist Grunner überzeugt. Das merkt sie auch in ihrem Betrieb, die Leute sparen, kaufen weniger Produkte und verzichten auf Behandlungen und Massagen. Deshalb kann sich ihre Chefin es auch nicht leisten, sie nach der Lehrabschlussprüfung zu übernehmen.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 60%, 1411 Stimmen
    60% aller Stimmen 60%
    1411 Stimmen - 60% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 355 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    355 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 296 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    296 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 203 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    203 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 104 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    104 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2369
12. März 2024
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Lena Krainz

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