Letzte Woche hat Niki Kowall hier argumentiert, warum die Maßnahmen der Bundesregierung „ungenügend“ sind, um die Arbeitslosigkeit zu verringern. Deutlich unterbewertet hat er in dieser Analyse aber die nachfrageseitigen Impulse, die in Österreich bereits gesetzt worden sind. Völlig vergessen wird von Kowall auch das Arbeitsangebot, das durch nachfrageseitige Maßnahmen nur bedingt beinflussbar ist.
Kowall diskutiert das Problem der Arbeitslosigkeit aus klassisch keynesianischer Sicht. Der Arbeitsmarkt hängt vom Gütermarkt ab. Steigt die Investitionsnachfrage, dann steigt die Beschäftigung, und die Arbeitslosigkeit geht zurück. Dabei weist er (zu Recht) darauf hin, dass die Sparpolitik in Europa in den Jahren nach der Krise eine wesentliche Wachstumsbremse gewesen ist, und darauf, dass im gegenwärtigen makroökonomischen Umfeld nachfrageseitige Maßnahmen zur Stärkung der Investitionstätigkeit gegenüber angebotsseitigen zu bevorzugen sind.
Der blinde Fleck in Kowalls Analyse ist allerdings das Arbeitsangebot. Seine Argumentation ist nämlich nur dann schlüssig, wenn das Arbeitsangebot konstant bleibt oder sinkt. Nur dann führt eine steigende Beschäftigung zu einer sinkenden Arbeitslosigkeit. Wenn das Arbeitsangebot aber steigt, dann kann trotz steigender Beschäftigung auch die Arbeitslosigkeit ansteigen – nämlich dann, wenn das Arbeitsangebot stärker steigt als die Beschäftigung.
Und genau dieses Phänomen ist in Österreich zu beobachten.
Die österreichische Arbeitslosigkeit ist in hohem Maße „angebotsgetrieben“. Das heißt sie kommt nicht daher, dass zu wenig Jobs geschaffen werden, sondern daher, dass das Arbeitsangebot zu stark steigt.
Seit der Krise 2008 lag Österreich mit einem Beschäftigungswachstum von 3,54% auf Platz 6 in der EU, noch vor Deutschland (3,36%). Gleichzeitig lag Österreich beim Anstieg des Arbeitskräftepotentials mit einem Zuwachs von 5,33% auf Platz 5 in der EU, deutlich vor Deutschland (0,21%).
Laut WIFO gibt es dafür insbesondere drei Gründe: die Einschnitte bei der Frühpension, die steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen und die starke Arbeitsmigration aus dem EU-Ausland nach Österreich. So erklärt sich auch die Parallelität von Beschäftigungsrekorden und hoher Arbeitslosigkeit 1 Eine spürbare Reduktion der Arbeitslosigkeit kann nur gelingen, wenn neben einer Stärkung der Arbeitsnachfrage auch der Anstieg des Arbeitsangebots gedrosselt wird.
Da die Bundesregierung weder die Pensionsreformen der Vergangenheit zurücknehmen, noch an der steigenden Erwerbsbeteiligung der Frauen etwas ändern will, bleibt nur die Drosselung der Arbeitsmigration, um den Zuwachs im Arbeitsangebot merklich abzuschwächen. Ein aktuelles Beispiel für diesen Versuch ist der Beschäftigungsbonus. Die Bundesregierung fördert 50% der Lohnnebenkosten für zusätzlich geschaffene Jobs 2 für 3 Jahre. Das Programm startet mit 1. Juli 2017. Budgetiert sind 2 Milliarden Euro über den Finanzrahmen 2018-21 (also rund 500 Millionen Euro pro Jahr). Gefördert werden beim AMS gemeldete Arbeitslose, Abgänger einer österreichischen Bildungseinrichtung sowie Personen, die bereits in Österreich beschäftigt waren (Jobwechsler) – unabhängig von Nationalität oder Wohnsitz 3
Das heißt, in den Arbeitsmarkt integrierte Personen werden gegenüber nicht-integrierten bevorzugt.
Das betrifft laut BMASK rund 70.000 Personen bei insgesamt rund 170.000 zusätzlichen Jobs. Wenn nur in 10-15% der Fälle ein Arbeitsloser gegenüber einer neuen Arbeitskraft bevorzugt wird, ergibt das eine Reduktion der Arbeitslosigkeit um rund 10.000 Personen.
Ein Lenkungseffekt ist vor allem für Bau, Handel und Tourismus zu erwarten, wo die zusätzlichen Jobs häufig mit neu auf den Arbeitsmarkt eintretenden Personen besetzt werden 4
Abgesehen von diesem Kompositionseffekt ist damit zu rechnen, dass durch den Beschäftigungsbonus auch zusätzliche Jobs geschaffen werden, zB bei EPUs (Ein-Personen-Unternehmen), die bislang mit Werkverträgen oder freien Dienstverträgen gearbeitet haben. Die Förderung führt natürlich auch zu Mitnahmeeffekten, das heißt, es werden zusätzliche Jobs gefördert, die ohnehin entstanden wären. Aber diese Mitnahmeeffekte sind jedenfalls deutlich geringer als bei einer generellen Lohnnebenkostensenkung, wo nicht nur alle neuen, sondern auch alle bereits bestehenden Beschäftigungsverhältnisse gefördert würden.
Neben dem Beschäftigungsbonus verfolgt auch die Arbeitsmarktprüfung (Lohnschutzklausel) das Ziel einer Drosselung der Arbeitsmigration. Auch wenn a priori unklar ist, wie stark diese Maßnahme das Arbeitsangebot letztlich beeinflusst, so spricht die historische Evidenz dafür, dass das Instrument der Arbeitsmarktprüfung bei geeigneter Ausgestaltung überaus starke Effekte auf das Arbeitsangebot haben kann.
Bleibt noch die Frage, ob die Nachfrageimpulse der Bundesregierung „ungenügend“ sind. Kowall bejaht das und verweist auf die im Arbeitsprogramm vereinbarten Mehrausgaben von 4 Milliarden Euro über den Finanzrahmen 2018-21. In dieser Betrachtung fehlen allerdings die Impulse, die bereits 2017 wirksam werden:
Kommt in Summe dem Kowallschen Anspruch von „mehreren Mrd. EUR“ schon sehr nahe.
Aber es geht nicht nur um die Quantität der Ausgaben, sondern auch um die Qualität, also wie stark die jeweilige Maßnahme auf die Arbeitslosigkeit wirkt. Vollkommen ausgeblendet wird in Kowalls Analyse die Beschäftigungsaktion 20.000. Diese stellt einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik dar. Entgegen dem internationalen Trend, soll die öffentliche Beschäftigung um 20.000 Arbeitsplätze in Bereichen mit Arbeitsplatzbedarf (Kindergärten, Pflege usw.) massiv ausgeweitet werden.
Da diese Arbeitsplätze gezielt für langzeitbeschäftigungslose Ältere zur Verfügung gestellt werden, und damit für eine Zielgruppe, die sich am Arbeitsmarkt besonders schwer tut, sind auch kräftige Effekte auf den Arbeitsmarkt zu erwarten. Zum Vergleich: Um die Arbeitslosigkeit um 20.000 Personen zu reduzieren wäre – wenn wir die von Kowall zitierten Multiplikatoren heranziehen – ein Investitionsvolumen von 8,5 Mrd. € jährlich notwendig.5
Positive Arbeitsmarkteffekte sind auch vom Integrationsjahr für Asylberechtige und subsidär Schutzberechtige sowie AsylwerberInnen mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit zu erwarten. Setzt doch das Arbeitsmarktintegrationsjahr insbesondere auf einen gezielten Ausbau und eine Verdichtung der Qualifizierungsmöglichkeiten und wird daher die Arbeitsmarktintegrationschancen der Zielgruppe verbessern. Studien zeigen, dass sich Höherqualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose bereits nach 6 Jahren finanziell rechnen, weil den zusätzlichen Ausgaben zur Finanzierung dieser Qualifizierungsmaßnahmen noch höhere Einnahmen durch die verbesserten Arbeitsmarktchancen gegenüberstehen.
Dazu kommen noch die im Arbeitsprogramm vereinbarten (budgetneutralen) Initiativen in den Bereichen Ökostromförderung, sozialer Wohnbau und Startups (Cluster-Initiative), die in den kommenden Jahren mehrere Milliarden Euro privates Kapital mobilisieren sollen.
[Hier hat die Bundesregierung die Vorschläge aus dem Plan A weitestgehend übernommen.]
Kurzum, eine seriöse ökonomische Analyse des Arbeitsmarktes muss sowohl nachfrage- wie auch angebotsseitige Effekte eines ganzen Maßnahmenbündels innerhalb und im gesamten Umfeld des Regierungsprogramms berücksichtigen. Eine solche Analyse zeigt, dass die Strategie der Bundesregierung – im Bereich ihrer Möglichkeiten – zielgerichtet bei den Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit ansetzt: Während das starke Arbeitskräfteangebotswachstum und damit der Haupttreiber der steigenden Arbeitslosigkeit gezielt gedrosselt werden soll, werden nicht vernachlässigbare Impulse zur Stärkung der Arbeitsnachfrage gesetzt sowie gezielt neue Arbeitsplätze für jene Zielgruppe geschaffen, die sie am meisten benötigt: ältere Langzeitbeschäftigungslose.
Dominik Bernhofer ist Referent mit Schwerpunkt Steuer- und Wirtschaftspolitik im Kabinett des Bundeskanzlers, vorher Ökonom in der Oesterreichischen Nationalbank
Sven Hergovich ist Kabinettchefstellvertreter mit Schwerpunkt Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik im Kabinett des Sozial und Arbeitsministers, vorher Ökonom in der Arbeiterkammer
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