Auf Österreichs Feldern arbeiten jedes Jahr tausende Menschen aus ganz Europa. Es ist harte Arbeit und mit einem Lohn von nur knapp über 6 Euro, schlecht entlohnt. Doch selbst der Mindestlohn wird selten bezahlt. Dazu kommen falsche Anmeldungen, Schwarzarbeit und mehr als 60 Wochenstunden. Aktivisten der Sezionieri-Kampagne versuchen die Arbeiter über ihre Rechte aufzuklären und sie zu ermutigen ihr unterschlagenes Geld einzufordern. Dafür gehen sie von Feld zu Feld. Wir haben sie begleitet.
Mit zwei Aktivistinnen der Sezioneri-Kampagne bin ich auf einer Feldaktion. Flavia Matei ist eine von ihnen. Sie ist gebürtige Rumänin und ist vor allem als Dolmetscherin dabei. Eigentlich engagiert sie sich für 24-Stunden-Betreuerinnen, aber wegen ihrer Sprachkenntnisse hilft sie oft bei der Erntearbeiter-Kampagne. Beide Branchen bauen stark auf Arbeitskräfte aus dem Ausland – ein großer Teil von ihnen ist aus Rumänien. Es war Flavia Matei, die die schockierenden Fotos der Erntehelfer-Quartiere in Mannsdorf, Niederösterreich, in den sozialen Netzwerken in Umlauf gebracht hatte. Bei einer Feldaktion zeigten die Feldarbeiter den Aktivisten ihre Quartiere. Auf dem Foto sieht man vier Stockbetten in einem baufälligen Haus. Zu acht schlafen dort die Arbeiter auf engstem Raum – zum Teil Monate lange. Die Folge der Veröffentlichung: Das Quartier wurde behördlich gesperrt. Und: Für kurze Zeit interessierte man sich für die Arbeiter auf den Feldern. Auch, weil die Ernte durch die Corona-bedingten Grenzschließungen im Frühjahr in Gefahr geraten ist. Damals warnten die Bauern davor, dass das reife Gemüse auf den Feldern verschimmeln werde, wenn keine Arbeiterinnen und Arbeiter über die Grenze dürfen. Die Nation schaute plötzlich nicht nur auf Corona, sondern auch auf die Felder. Und für kurze Zeit glaubte man auch in der Kampagne, es würde sich etwas ändern. Doch die Veränderungen blieben aus, und auch das Interesse der Medien verebbte wieder.
Heute geht die Tour durch Wien. Das Ziel sind die Höfe zwischen Simmering und Kaiserebersdorf. Das ist zwar nicht die Mitte Wiens, doch wenige Meter vom Feld entfernt stehen 10-stöckige Wohntürme. Von dort kann man die Arbeiter auf dem Feld bestimmt sehen. Mit dem Fahrrad begleite ich die zwei Aktivistinnen Elisa und Flavia von einem Hof zum nächsten. Es ist Freitag Nachmittag. Es ist Anfang September und es ist schwül.
Auf dem ersten Hof treffen wir nur mehr den Bauern. Ja, er habe Erntehelfer angestellt. Nein, die sind heute nicht mehr da. Ja, er hinterlegt die Broschüren der Gewerkschaft gerne. Am ersten Hof redet man freundlich mit den Aktivistinnen. Ich beobachte und: ich bin überrascht. Ich hatte klassischen Arbeitskampf erwartet – der Grundbesitzer gegen die Landarbeiter. Als wir den Hof verlassen, frage ich die Aktivistin Elisa, ob man immer so freundlich empfangen werde. Sie schüttelt den Kopf. Nein, und sie zweifelt daran, dass die Arbeiter die Info-Materialien jemals erhalten werden. Auch Flavia kennt es anders – oft werden sie beschimpft und vom Hof vertrieben. Noch glaube ich dem Bauern, schließlich war er sehr freundlich. Doch die nächsten Besuche lassen mich vermuten, dass sie recht behalten werden. Die Saisonarbeiter werden die Unterlagen der Gewerkschaft wohl niemals zu Gesicht bekommen haben.
Wieso sie Aktivistinnen geworden sind? Elisa Kahlhammer ist über ihre Diplomarbeit zur Kampagne gekommen. Dort forschte sie zum Thema der gewerkschaftlichen Organisation von ausländischen Arbeitskräften. Nach ihren Recherchen konnte sie nicht mehr zuschauen – auch weil sie Sozialbetrug am eigenen Leib kannte. Während ihrer Studienzeit kellnerte sie – falsche Anmeldungen und Schwarzarbeit gehörten auch dort zur Tagesordnung.
Wir fahren weiter, vorbei an einem Feld. In der Mitte des Feldes reißen drei Frauen Unkraut aus. Etwa die Hälfte ist geschafft. Das stete Bücken und Anreißen ist ein Knochenjob. “Mit denen wollen wir reden” beschließt Elisa und wir fahren zu. In gebrochenem Deutsch sagen sie uns, dass das Feld Privatgrund sei und winken uns weg. Flavia spricht sie auf rumänisch an und die Stimmung wird entspannter. Sie hören zu, was sie zusagen hat, und beantworten ihre Fragen. Sie fragt nach den Arbeitsbedingungen. Sie arbeiten “schwarz” unter fünf Euro in der Stunde. Anmelden möchte der Bauer sie nicht, das ist vor allem für eine von ihnen ein Problem. Sie muss zum Arzt, sagt sie.
Sie hat Probleme mit ihrem Knie, aber keine e-Card.
Als ein weißer SUV auf den Feldweg abbiegt werden die Frauen nervös. Sie steigern das Tempo in dem sie das Unkraut aus dem Boden reißen. “Das ist der Chef! Ihr müsst jetzt gehen, sonst bekommen wir Probleme.” Ich spüre die Angst. Der SUV bleibt stehen, doch niemand steigt aus. Die Arbeiterinnen machen sich auf den Weg zum Auto. Sie werden abgeholt. Auch Elisa geht auf den Wagen zu, sie grüßt und stellt sich vor. Am Steuer sitzt ein alter Mann, doch er sagt nichts. Als sie fragt, ob er der Chef sei, meint er: “Schon lange nicht mehr”. Die drei Arbeiterinnen haben allerdings den Eindruck. Ich verstehe es.
Auf die nächsten Fragen, bleibt er stumm. Lediglich als Elisa erklärt, dass sie mit der Gewerkschaft zusammenarbeite, entweicht ihm ein Kommentar:
“Ich scheiß auf die Gewerkschaft.” Und fährt ab.
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Der Kollektivvertrag für Erntehelferinnen sieht je nach Bundesland zwischen 6,22 und 7,41 Euro vor. Doch der scheint beinahe irrelevant zu sein. Bei der gesamten Tour trafen wir keinen Erntehelfer, der auch nur annähernd so viel bekommen hat. Im schlimmsten Fall waren die Arbeiter gar nicht oder falscherweise geringfügig angemeldet – im besten Fall zahlten die Bauern “nur” keine Überstunden. Die Landwirtschaftskammer beschwichtigt gerne und behauptet es handle sich lediglich um ein paar schwarze Schafe. Und immer wieder melden sich vereinzelt Bauern zu Wort, die behaupten, sie würden gerne für die Arbeit mehr zahlen, doch leider geben das die Preise am Markt nicht her.
Im Einzelfall stimmt das wohl und die großen Lebensmittelkonzerne machen massiven Druck auf die Bauern. Doch aus ihrer Erfahrung müssen die Aktivistinnen widersprechen. “Kaum ein Bauer hält sich auch nur an den Kollektivvertrag”, erzählen sie. Und sie machen diese Touren seit Jahren – irgendetwas stimmt nie.
Walter Medasch, Generalsekretär der Landarbeiterkammer, will über die Zahl der schwarzen Schafe rund um Österreichs Felder nicht spekulieren: Es brauche weniger Aktionismus – das Problem gehöre an der Wurzel gepackt. Medasch plädiert für eine zentrale Stelle, die Arbeitskräfte und Unterkünfte vermittelt. Diese soll Landarbeiter schulen und ganzjährig einsetzbar machen. Das würde die Abhängigkeit der Erntehelfer von einzelnen Betrieben reduzieren. Und es mache den Job für Österreicher interessant, denen sechs Wochen Arbeit auf dem Spargelacker keine Perspektiven bietet.
Eine Eigenart der Landarbeit ist, dass derzeit die Bundesländer und nicht der Bund zuständig sind. Das Land-Arbeitsrecht ist deswegen ein Flecken-Werk. Die Exekutierbarkeit ist vor allem in der Nähe der Bundesländergrenzen schwer. Viele Bauern haben auch jenseits der Bundesländergrenzen Felder, die bestellt werden wollen. Im Extremfall liegen die Kartoffeln derselben Pflanze in zwei Bundesländern.
Dieses Problem ist auch in der Bundesregierung bekannt. Mit einem neuen Landarbeitsgesetz soll die Verantwortung zum Bund gebracht werden. 2021 soll das Gesetz in Kraft treten. Doch die Stellungnahme der Landarbeiterkammer zum Gesetzesentwurf ist vernichtend. Zwar will auch sie eine bundesweite Vereinheitlichung des Rechts, aber die Zusage, dass die vorhandenen Arbeiterrechte nicht beschnitten werden, hat das Ministerium im Entwurf nicht eingehalten. Ein bundesweites Gesetz darf nicht zur Verschlechterung für alle führen, sagt der Landarbeiterkammertag verständlicherweise. Unterstützung bekommen sie dabei auch von der Arbeiterkammer.
Zwei junge Männer arbeiten am Wegrand. Als sich Flavia vorstellt, sagt ihr einer: “Wir kennen uns vom letzten Jahr!” Letztes Jahr war er noch nicht so weit, doch dieses Jahr schreibt er seine Stunden genau auf. Was Flavia ihm letztes Jahr vom Arbeitsrecht und Kollektivvertrag erzählte, blieb ihm in Erinnerung. Jetzt reicht es ihm. Nach der Saison möchte er klagen und sich holen, was ihm zusteht. Ein Erfolg für die Kampagne, denn viele trauen sich nicht ihr Recht einzuklagen.
Sein Kollege ist zurückhaltender. Er hat Angst, dass er im nächsten Jahr keine Arbeit mehr finden wird, wenn er sich jetzt wehrt. Nicht unbegründet: Wenn einer sein Recht einfordert, braucht er zumindest in der Umgebung keine Arbeit mehr zu suchen, so schätzen es auch die Aktivistinnen ein. Die Bauern sind untereinander besser organisiert als die Arbeiter, meint er weiter. Dazu kommt: Sein Chef habe gute Verbindungen. Als letztes Jahr Kontrolleure gekommen sind, wusste er bereits Tage zuvor davon. Einige Erntehelfer, die Schwarz arbeiteten, durften an den Tag nicht kommen, der Rest übte mit ihm, was sie den Kontrolleuren sagen sollten. Von welcher Behörde sie kontrolliert wurden, weiß er leider nicht.
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