Im Rahmen kritischer Betrachtung der Regierung Kurz gibt es drei wiederkehrende Gegenpositionen aus dem Regierungslager:
„Das Volk hat entschieden. Die Regierung wurde demokratisch gewählt! Kritik an ihr geht ins Leere und ist antidemokratisch!“ „Man muß der Regierung Zeit geben, ihre Vorhaben zu verwirklichen, Kritik zu diesem Zeitpunkt ist unfair!“ „Messen wir die Regierung an ihren Taten!“
Sehen wir uns diese Argumente genauer an. Sie werden einzeln vorgebracht, hängen aber, wie wir gleich sehen werden, zusammen, ja bedingen einander.
Tatsächlich hat „das Volk“ entschieden. In freier und geheimer Wahl. So wie das die Verfassung vorsieht. Wenn wir als „Volk“ (was auch immer hinter dem fragwürdigen Begriff stünde) ausschließlich die Wahlberechtigten ansehen. Von den Entscheidungen einer Regierung sind allerdings auch Nichtwahlberechtigte betroffen. Keine kleine Gruppe übrigens. Sie können nicht aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden.
Wen aber hat das „Volk“ gewählt? Die Wahlberechtigten haben Listen gewählt (manche nannten sich auch so), und konnten innerhalb dieser Vorzugsstimmen vergeben, also Präferenzen zur Reihung der gewählten Liste abgeben. Die Regierung wurde nicht gewählt. Auch die Wahl von Koalitionspräferenzen sieht die Österreichische Wahlordnung nicht vor. Die Tatsache, dass die Liste Kurz (die nunmehr Neue Volkspartei) als stimmenstärkste Liste aus der Wahl hevorging, konnte, musste aber nicht als Kanzlerempfehlung gedeutet werden. Wie erinnern uns: Wolfgang Schüssel wurde einst als Dritter Bundeskanzler. Nehmen wir trotzdem mal an, das „Wahlvolk“ hätte als Kollektiv gewählt. Dann hätte man aus der Tatsache, dass die Liste SPÖ unter Christian Kern Zweite wurde, durchaus einen Wählerwillen Richtung Großer Koalition ablesen können. Und die Drittgereihten unter FPÖ-Klubobmann Strache als Wahlverlierer ansehen können. Immerhin hatte Straches FPÖ ja schon jahrelang den „Kanzleranspruch“ gestellt. Realpolitisch lagen und liegen die Dinge bekanntlicherweise anders. ÖVP und FPÖ einigten sich relativ schnell auf ein gemeinsames Regierungsprogramm.
Wurde die Regierung also doch gewählt? Die unausgesprochene, aber evidente Zuneigung von ÖVP und FPÖ für einander war ja den Wählenden bekannt. Gibt es darauf eine Antwort? Ja. Und sie lautet: Nein.
Es wurde der Nationalrat gewählt. Weswegen die Wahl auch diesen Namen trägt – Nationalratswahl. Lägen die Dinge anders, hieße die Wahl wohl Bundeskanzlerwahl oder Regierungswahl. Gewählt wurde der Nationalrat, die Legislative. Jenes demokratische Institut, das Gesetze beschließt. Realpolitisch folgt daraus: Jede Regierung, die ihre politischen Ideen auch in Gesetzen abbilden möchte, darf sich als stabil betrachten, wenn sie sich der Mehrheit der Abgeordeneten gewiss ist. Dazu dient bekanntlicherweise das (weniger demokratisch als realpolitisch fundierte) Prinzip der Koalitionsdisziplin. Damit geht das Wissen einher, dass die Regierung sich zur Durchsetzung ihrer Vorhaben der Mehrheit der Abgordneten sicher sein kann.
Wer wählt also die Regierung? Niemand. Der Bundespräsident bestimmt eine Person seines Vertrauens (in der Regel die Obperson der stimmenstärksten Liste) mit der Bildung einer Regierung. Regierungen (die Exekutive) werden also gebildet, nicht gewählt. Allerhöchstens könnte man die Aussage wagen, die Mitglieder der Regierung, Minister und Statssekretäre würden von den Chefs der Koalitionspartner ausgesucht. Ausgesucht. Ausgewählt. Und schließlich vom Bundespräsidenten angelobt. Der Souverän, das „Volk“ spricht hier nicht mehr mit.
Fassen wir zusammen: Regierungen, Koalitionen, Bundekanzler werden nicht gewählt. Gewählt wird der Nationalrat. Seine Zusammensetzung ist die realpolitische Grundlage für stabile Regierungen. Im Lichte dieser Zusammenhänge geht der Vorwurf, Kritik an der Regierung sei antidemokratisch, ins Leere. Abgesehen davon, dass Kritik, insbesondere öffentliche Kritik, auch ausserparlamentarische, zu den Pfeiler der Demokratie gehört. Demokratie ist Diskurs und Diskurs ist immer auch Kritik. Auch unangenehme.
Kritik, wir nehmen das eben vorgebrachte Argument wieder auf, kann als unfair wahrgenommen werden, und dennoch legitim sein. Sachbezogene, faktenbasierte Kritik kann nicht unfair sein. Im Gegenteil, Kritik ist ein notwendiges Korrektiv im politischen Diskurs. Oppositionelle, innerkoalitionäre, parteiinterne.
Müssen wir einer Regierung Zeit geben? Wir müssen nicht, wir können. Sobald eine Regierung aber Ziele und Vorhaben bekanntgegeben hat, in der Regel mit der Fixierung eines Regierungsprogramms, und der Angelobung ihrer Mitgieder, ist Kritik an diesen Zielen und Vorhaben nicht nur legitim, sondern wichtig und notwendig. In einer Demokratie. Dass Ziele und Vorhaben schon vor ihrer Umsetzung Kritik hervorrufen, ist möglicherweise unangenehm für eine Regierung, aber keineswegs unfair. Das führt uns zum dritten, dieser Tage vorgebrachten Argument:
Der Regierungschef selbst, Bundeskanzler Sebastian Kurz, hat den Satz im Rahmen einer Immunisierungsstrategie selbst in Stellung gebracht. Anlässlich seines Besuchs bei der deutschen Bundeskanzlerin Merkel. Was aber meint BK Kurz damit? Was meint er mit dem Satz, (s)eine Regierung sei an den Taten zu messen? Implizit bleibt der zweite Teil des Satzes unausgesprochen, der würde lauten: „…und nicht an ihren Worten“. An den Worten und Aussagen also sei die Regierung nicht zu messen. Falls der amtierende Bundeskanzler damit nicht sich selbst auch mitmeint, bezieht er sich wohl auf die Kritik an den spezifischen Aussagen von Mitgliedern seines Koalitionspartners FPÖ. Sager von Regierungsmitgliedern und anderen hohen Funktionären, in denen die Worte „konzentriert“, „halten“, „Lager“ vorkommen. Begriffe aus den Unzeiten unserer Geschichte. Bundeskanzler Kurz (und alle, die ihm hierin folgen) meint mit dem Satz, Taten, Geschehendes mögen das Messbare sein und nicht Gesagtes, Geschriebenes, Worte also.
Wer also das Wort ausserhalb der Kritik stellt, legitimiert das Eintreten der damit verbundenen Taten. Für machen Taten, auch wenn sie von Regierenden geplant und schließlich umgesetzt wurden, kommt Kritik zu spät. Es gilt also weiterhin, Kritik schon vorher, anhand von Worten zu üben. Gerade in einem Land mit unserer Geschichte.
Eine Regierung und insbesondere diese muss also schon an ihren Worten gemessen werden. Nicht nur an den ihnen folgenden Taten. Das sind wir der Geschichte der Menschlichkeit schuldig. Immer. Und daher auch jetzt.
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