Migration & Asyl

Schülerinnen abgeschoben, Sitzblockade geräumt: „Schämt euch! Das sind Kinder!“

In der Nacht auf Donnerstag ließ Österreichs Regierung drei Schülerinnen und ihre Familien abschieben. Kinder, die hier zur Schule gehen – mitten in der Pandemie – in Länder, die sie nur aus Erzählungen kennen. Über hundert Wienerinnen und Wiener, darunter viele SchülerInnen, versuchten die Abschiebung zu verhindern. Nach drei Stunden drängte die Wega die Jugendlichen gewaltsam mit Hunden und maskierten Beamten zur Seite. Es muss vermutet werden, dass die gesamte Aktion und erst recht die Vorgehensweise von diversen Versagen des Innenministers und von öffentlichen Problemen der ÖVP ablenken sollte. 

„Um 18.00 haben sie ihnen die Handys weggenommen, ich weiß nichts mehr von ihnen“, sagt der Vater von Tina (12) und Lea (5), die im Schubhaftzentrum in Wien Simmering auf ihre Abschiebung nach Georgien warten. Seine Töchter sind in Österreich geboren, ihre Mutter kam zum Studieren hierher – Georgien kennen Lea und Tina nur aus Erzählungen. Es ist ein Uhr nachts und mit dem Vater stehen rund 50 Leute in Simmering, bis 3 Uhr früh sollen es über 160 Wienerinnen und Wiener werden, darunter viele SchülerInnen. Sie kommen um 2 und 3 Uhr Nachts und folgen Aufrufen in den sozialen Medien, um die nächtliche Abschiebung von Familien mit kleinen Kindern zu verhindern.

Als die Polizeiautos um etwa 2.15 Uhr früh die drei Familien aus dem Schubhaftzentrum in der Zinnergasse Richtung Flughafen fahren wollen, werden sie von allen Seiten blockiert. Vor dem Ausfahrtschranken haben Jugendliche eine Sitzblockade und Barrikaden aus Einkaufswägen und Mülltonnen aufgebaut. In der Zinnergasse gibt es mehrere Ausfahrten, an allen stehen Menschen und versuchen die Abfahrt zu verhindern. Auch Nationalratsabgeordnete von SPÖ, NEOS und sogar der regierenden Grünen sind da. Der Bürgermeister von Traiskirchen, Andreas Babler, ist auch nach Wien gekommen.

„Die Kinder haben sich so gefürchtet“, sagt der Vater von den beiden Mädchen Tina und Lena, die abgeschoben wurden.

Über drei Stunden lang können die Autos das Gelände nicht verlassen. Wie es den Kindern in den dunklen Autos jetzt wohl geht, fragen sich viele. Sie schauen aus den Autos und winken scheu. Der Vater von Tina und Lea ist sichtlich nervös, er macht sich große Sorgen um seine Kinder. Tagelang habe die Polizei bereits vor der Wohnung in großen Autos gewartet, um Druck aufzubauen. Schließlich kamen sie am Montag zu dreizehnt, um Mutter und Kinder abzuholen und in das „gelbe Haus“, das Schubhaftzentrum nach Simmering zu bringen.

„Die Kinder haben sich so gefürchtet“, sagt er. Die Familie ist gerade beim Essen gesessen, „das Essen ist immer noch auf den Tellern. Ich kann es nicht wegräumen – und das Spielzeug auch nicht.“

Der Vater hat ein Arbeitsvisum in der Slowakei, wo er auch arbeitet – er wird daher nicht abgeschoben. Auch Leas SchulkollegInnen sind hier. Sie wollen, dass ihre Freundin bleiben kann, versuchen die Polizisten zu überzeugen, dass sie das nicht tun können. „Sie ist meine Freundin und ich hab mich nicht einmal von ihr verabschieden können. Das ist einfach so falsch“, sagt eine Mitschülerin von Tina zu einem Polizisten. In einer Petition sammelten sie davor bereits Unterschriften.

Keine Gnade für Kinder, am Ende räumt die Wega mit Hunden

Um sechs Uhr geht der Flieger – es ist ein Kampf gegen die Zeit. Um 4.30 steigt die Hoffnung, dass man es schaffen könnte, die Abschiebung zumindest für diese Nacht zu verhindern. „Die Schneeflocken schauen in dem Scheinwerfer aus wie das Happy End aus einem Hollywood-Film“, sagt eine Mitschülerin von Tina um Dreiviertel Fünf. Um 4.50 hört man aus den Funkgeräten der Polizei: „Die Auflösung ist freigegeben“. Die Wega räumt die sitzenden Jugendlichen mit maskierten Männern, bellenden Hunden und brutalen Griffen aus dem Weg.

Die Autos fahren an den Freundinnen und den anderen Anwesenden vorbei. Über die Polizeiautos hinweg rufen die Demonstranten noch ein letztes Mal „Lasst sie frei, lasst sie frei!“ und „Das sind Kinder!“. Aus den Funkgeräten der Polizei hört man: „Danke für den erfolgreichen Einsatz“.

Um halb 6 Uhr morgens beginnen sich die Demonstranten nachhause zu bewegen. An Schlaf ist für viele nicht zu denken. „Schämt euch“, schreiben sie in den Sozialen Medien oder „Es tut uns leid, wir haben es nicht geschafft.“ „Wir verlieren den Glauben an den Rechtsstaat“.

„Wenn die Autos dann wirklich wegfahren … dann ist man sprachlos, es ist unfassbar“, sagt die SPÖ-Abgeordnete Katharina Kucharowits unmittelbar danach.

Die Abschiebungen als persönliches Anliegen Nehammers?

„Das Polizeiaufgebot war immens, dem Innenminister war die Abschiebung scheinbar ein persönliches Anliegen“, schreibt ein Teilnehmer auf Facebook. Viele, die in der Zinnergasse waren, beschäftigt eines: Warum geht das Innenministerium entschiedener gegen SchülerInnen vor, die die Abschiebung ihrer Freundin verhindern wollen, als gegen Corona-Leugner, die die öffentliche Gesundheit gefährden?

Die Abschiebungen der Kinder hat für heftige Kritik von vielen Seiten gesorgt: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig hat die Abschiebungen ebenso verurteilt wie SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner und zahlreiche Abgeordnete von NEOS und SPÖ.

ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer verteidigte im Vorfeld die Abschiebungen mit Verweis auf die geltende Rechtslage. In Österreich geborenen Kindern den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern, lehnte er ab. „Wenn Kinder, die in Österreich geboren wurden und nie in einem anderen Land gelebt haben, abgeschoben werden- in ein Land, dessen Sprache sie nicht kennen, mitten in einer Pandemie – und das humanitäre Bleiberecht nicht gilt – für wen gilt es dann noch?“, fragt die SPÖ-Abgeordnete Julia Herr auf Twitter. 

„Wir können uns nicht vorstellen, wie sich die Kinder in dieser Nacht gefühlt haben. Wie können solche Gesetze gelten?“, schreibt der Jugendrat unmittelbar danach in einer Stellungnahme. „Der Innenminister hat heute Leben zerstört und die Grünen haben dabei zugeschaut.“

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1920 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1920 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 16%, 512 Stimmen
    16% aller Stimmen 16%
    512 Stimmen - 16% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 388 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    388 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 306 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    306 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 166 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    166 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 3292
12. März 2024
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Patricia Huber

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