Ist 10 Stunden Arbeit am Tag Jugendlichen und Schwangeren zumutbar? Das Gesetz sagt nein, die Arbeitgeber wollen das jetzt aber ändern. Sowohl der Jugendschutz wie auch der Schutz von Schwangeren soll aufgeweicht werden, wenn es nach der Wirtschaftskammer geht. Das ÖVP-geführte Arbeitsministerium lädt zum Austausch darüber ein.
In Österreich gilt für Jugendliche unter 18 Jahren und für Schwangere ein besonderer Gesundheitsschutz: Unter 18 darf hierzulande niemand mehr als 8 Stunden pro Tag arbeiten. Als Schwangere darf man die tägliche Arbeitszeit 9 Stunden nicht überschreiten – pro Woche dürfen beide Gruppen nicht mehr als 40 Stunden arbeiten.
Aber kaum etwas ist Firmenchefs so sehr ein Dorn im Auge wie Obergrenzen bei der Arbeitszeit. Beschäftigte sollen immer und überall verfügbar sein. Aktuell versuchen Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung gerade, die Höchstarbeitszeiten von Jugendlichen und Schwangeren auszudehnen – in Verhandlungen mit Gewerkschaft und Arbeiterkammer. Eingeladen hat das Arbeits- und Wirtschaftsministerium. Das geht aus Protokollen hervor, die Kontrast vorliegen.
Zwei Mal hat man sich bisher zum Thema „Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz; Ausnahme wegen Energiekrise“ auf Einladung des Ministeriums für Arbeit und Wirtschaft getroffen. Am 24. Oktober 2022 tragen die Unternehmens-Vertreter ihr Anliegen vor: Die tägliche Höchstarbeitszeit für unter 18-Jährige soll auf 10 Stunden pro Tag ausgedehnt werden.
Aufhänger sind zunächst die Energiekrise und die 4-Tage-Woche: Um Energiekosten zu sparen, würden Unternehmer gerne an einem Tag pro Woche zusperren. Dazu müssten ihre Beschäftigten aber 10 Stunden täglich arbeiten. Bei Schwangeren und Lehrlingen ist das aber nicht möglich, weil es verboten ist. Die Lösung: Jugendliche sollen 10 Stunden pro Tag arbeiten dürfen. Schwangere wenn möglich auch. Die Wirtschaftskammer regt beim Treffen an:
„ob die Arbeitszeitregelung im Mutterschutz-Gesetz (tägliche Höchstarbeitszeit von 9 Stunden) neu evaluiert werden könnte, so dass auch für Schwangere mit leichten Tätigkeiten (Bürotätigkeiten) eine 4-Tage-Woche mit zehn Stunden täglich zulässig wäre.“
Recht schnell wird im Gespräch aber offen ausgesprochen, dass es nicht wirklich um die Energiekrise geht: „Es besteht nur ein minimaler Konnex zum Energiethema. Das Thema ist eine grundsätzliche Notwendigkeit“, räumt der Vertreter der Industriellenvereinigung in den Verhandlungen ein.
Das Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz und das Mutterschutz-Gesetz haben vor allem einen Sinn: Wie bei Schwangeren wird bei jungen Menschen besonders aufgepasst. Weil die Unfall- und Verletzungsgefahr ab der 8. Arbeitsstunde enorm ansteigt, werden sie vor überlangen Arbeitstagen geschützt. Bei Schwangeren soll vermieden werden, dass sich Belastung und Stress negativ auf die Gesundheit von Mutter und Fötus auswirken. Lehrlingen sind mit 15 oder 16 Jahren noch im Wachstum. Obendrein stellt sich die Frage, wie hoch die Aufnahmefähigkeit in der 10. Arbeitsstunde überhaupt noch sein kann – schließlich handelt es sich um ein Lehrverhältnis.
Das zweite Treffen am 22. November 2022 endet schnell. Das Arbeitsministerium schlägt vor, die tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden mit zusätzlichen bezahlten Pausen zu kombinieren. Das lehnen die Unternehmen ab, sie bestehen auf „unbezahlte Pausen“ – was die Tage für Lehrlinge noch länger machen würde.
Gewerkschaft und Arbeiterkammer lehnen den Vorstoß der Unternehmer grundsätzlich ab: „Dieses Arbeitnehmerschutzniveau kann nicht herabgesetzt werden“, heißt es im Protokoll. Nach 15 Minuten endet die Sitzung, weil es „auf dieser Ebene zu keiner Einigung“ kommt. Doch dem Vernehmen nach, ist der Vorstoß von Seiten der Wirtschaft noch nicht beendet. Das Arbeits- und Wirtschaftsministerium winkt auf Kontrast-Anfrage ab: Man sei laufend im Austausch mit den Sozialpartnern. „Im konkreten Fall gab es keine Verhandlungen, sondern einen Meinungsaustausch mit Arbeitnehmerinnenvertreterinnen und Arbeitgebervertreterinnen.“ IV und WKÖ wollen sich auf Anfrage nicht äußern, die Wirtschaftskammer verweist auf das Ministerium.
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