Europa

Debakel für Theresa May: Wer den ungeordneten Brexit stoppen kann

Am 15. Jänner hat das britische Unterhaus Theresa Mays Brexit-Deal abgelehnt: 432 zu 202 Stimmen haben gegen den Austritts-Pakt der konservativen Regierung gestimmt. Zehn Wochen vor dem Austrittsdatum am 29. März sind die Folgen der Abstimmung für Großbritannien völlig offen, wie es weitergeht.

Als am 10. Jänner 2019 die Telefone in den britischen Gewerkschaftszentralen klingelten, war eine ungewohnte Anruferin am anderen Ende der Leitung: Premierministerin Theresa May hatte  persönlich zum Hörer gegriffen, um unter den Gewerkschaftern für ihren Austrittspakt mit der EU zu werben. Für den Vorsitzenden der größten britischen Gewerkschaft UNITE, Len McCluskey, war es das erste Gespräch mit der konservativen Premierministerin überhaupt. Für die britische Medien war der Anruf ein Maßstab für die Verzweiflung, die in der Downing Street fünf Tage vor der entscheidenden Parlamentsabstimmung herrschte.

Und die Verzweiflung hielt an. Mehrere Abstimmungen über den Brexit-Deal sind in den Folgemonaten negativ ausgegangen. Mittlerweile hat Theresa May am 24. Mai 2019 ihren Rücktritt als Premierministerin angekündigt. Hier ein Rückblick, wie der Brexit nicht nur die konservativen Tories unter May, sondern Großbritannien als Ganzes ins Chaos gestürzt hat – und warum Deal-Abstimmungen gescheitert sind.

Regierungsparteien sind gespalten

Wikimedia Commons

Die Regierung hat im Parlament eine Mehrheit von sieben Stimmen. Doch die Regierungsparteien haben nicht geschlossen abgestimmt: Neben der nordirischen DUP, die in einer Koalition mit den Tories ist, haben auch über hundert Abgeordnete von Mays Konservativen gegen den Deal gestimmt. May hat versucht, im Lager der Labour Partei Stimmen zu holen, die ihr fehlen. Aber ohne Erfolg.

Theresa Mays wichtigstes Argument in diesen Tagen: Ihr Deal sei die einzige Alternative zu einem Austritt ohne Deal. May möchte mit diesem Argument gemäßigte Konservative und manche Labour-Abgeordnete auf ihre Seite ziehen.

Außenminister Jeremy Hunt wollte die Ultra-Brexiteers der eigenen Partei mobilisieren: Sollte Mays Deal abgelehnt werden, könnte der Brexit in Frage stehen.

 

Theresa May hatte monatelang keinen Plan B

In letzter Sekunde schwenkte May auch auf diese Linie ein. Medial hat May zwar symbolische Notfallmaßnahmen für ein No-Deal-Chaos ankündigt und die Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Tatsächlich steht die Regierung jetzt ohne „Plan B“ da. Ihre letzte Hoffnung war es, den Deal als „kleineres Übel“ zu akzeptieren – und die Abgeordneten so zu erpressen.

Theresa May hat ein großes Glaubwürdigkeitsproblem: Zwei Jahre lang hat sie den verschiedenen Flügeln ihrer Regierung alles Mögliche und Unmögliche versprochen.

  • Den Ultra-Brexiteers sagte sie zu, Binnenmarkt und Zollunion zu verlassen („Brexit means Brexit!“).
  • Der nordirischen DUP versprach sie keinerlei Barrieren zwischen Nordirland und Großbritannien zuzulassen („Preserving our precious union!“).
  • Der EU versprach sie, zwischen Norirland und der Republik Irland keine sichtbare Grenze entstehen zu lassen.
  • Den Tory Remainers in ihrem Kabinett stellte sie in Aussicht, trotz Austritt aus dem Binnenmarkt alle wesentlichen Vorteile daraus zu bewahren.

So taktierte sich May anderthalb Jahre lang von einer Regierungskrise durch die nächste. Mit dem Abschluss eines Austrittsabkommens mit der EU kam aber die Stunde der Wahrheit.

Das unlösbare Nordirland-Dilemma machte zumindest einen Wortbruch unabdingbar. Denn um eine sichtbare Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland zu vermeiden, muss entweder das ganze Vereinigte Königreich in der Zollunion, faktisch aber auch im Binnenmarkt bleiben; oder aber eine Sonderregelung für Nordirland getroffen werden. Doch dann verläuft die Zoll- und Binnenmarktgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien. Entweder musste May ihr Wort gegenüber den Ultra-Brexiteers brechen – und in der Zollunion verbleiben – oder die DUP opfern – und eine Sonderregelung für Nordirland akzeptieren.

Alle Brexit-Versprechen gebrochen

May entschied sich für beides. Die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen EU und Vereinigtem Königreich werden erst in einem Folgeabkommen geregelt. Das macht aber einen „Backstop“ notwendig. Dieser Notfallplan regelt, was Ende 2020 passiert, falls es dann noch kein Folgeabkommen gibt. In diesem Plan akzeptierte May den Verbleib des gesamten UK in der Zollunion und unterwarf sich teilweise den Binnenmarktregeln. Nordirland bleibt aber stärker im Binnenmarkt eingebunden. Damit brachte May alle Seiten gegen sich auf.

Die DUP fühlte sich verraten. Die Brexiteers wollen keine Zollunion. Und viele Tory Remainers wollen nicht jede Mitbestimmung in der EU aufgeben, aber dennoch allen wesentlichen EU-Regeln befolgen müssen. May argumentiert, der Backstop sei ja nur ein Notfallplan.Praktisch steckt der „Backstop“ aber bereits einen Rahmen für die künftigen Beziehungen ab.

Jetzt ist das Unterhaus am Zug: Die Regierung muss innerhalb von drei Tagen ihren Alternativplan vorlegen. Das Parlament kann dann den Vorschlag der Regierung abändern und damit selbst die Richtung des weiteren Vorgehens bestimmen.

Die Rolle der Labour-Partei

Die Labour-Opposition hat in den Unterhauswahlen 2017 versprochen, den Ausgang des Referendums zu respektieren. Labour kündigte einen Brexit-Deal an, der eine volle Zollunion mit der EU, den Schutz von Arbeitsrechten und Konsumentenschutz und den Zugang zum Binnenmarkt garantiert. Das geht vielen Labour-Anhängern in den Großstädten nicht weit genug. Sie lehnen den Brexit weiterhin ab. Auf der anderen Seite hatte das Brexit-Lager in vielen traditionellen Labour-Hochburgen Nordenglands beim Referendum 2016 riesige Mehrheiten geholt

Der Brexit bleibt für Labour in einem tief gespaltenen Großbritannien ein kompliziertes Thema. Seit Jahrzehnten werden ganze Regionen wirtschaftlich und sozial devastiert. Das Brexit-Referendum hat vielen Unzufriedenen die Möglichkeit gegeben, sich Gehör zu verschaffen – nachdem sie Jahrzehnte politisch und medial ignoriert wurden. Für Labour ergibt sich daraus ein politisches und ein taktisches Problem:

Politisch ist das Brexit-Thema die größte Gefahr, die Wählerkoalition zwischen urbanen Mittelschichten und Arbeitermilieus in den Kleinstädten des Nordens zu gefährden.

Taktisch spiegelt sich das auch im Abstimmungsverhalten der Labour-Abgeordneten wider. Bei einer Abstimmung über den Verbleib im Europäischen Wirtschaftsraum im Juni 2018 hatte das Schattenkabinett die Enthaltung als offizielle Fraktionslinie festgelegt. 75 Abgeordnete, überwiegend aus Londoner Wahlkreisen, stimmten für den Verbleib. 15 Abgeordnete, zumeist aus nordenglischen Wahlkreisen, stimmten dagegen. Während die einen für ein zweites Referendum kampagnisieren, erklären die anderen, der Brexit dürfe keinesfalls blockiert werden.

Insgesamt wird die Zahl der Gegener eines zweites Referendums auf mindestens 30 Abgeordnete geschätzt, selbst wenn es offizielle Parteilinie wäre. Mit ihrer relativen Offenheit versucht Labour eine Selbstzerfleischung rund um die Brexit-Frage zu verhinden, wie sie derzeit bei den Tories stattfindet.

Was sind die Folgen?

Am Parteitag im Herbst hat die Labour-Partei Neuwahlen als Ausweg aus dem Stillstand gefordert: Ein fundamentaler Politikwechsel soll die Spaltung des Landes überwinden. Ein Misstrauensantrag gegen die Regierung könnte die Notbremse gegen einen Austritts ohne Deal (ungeordneter Brexit) sein. Der bräuchte entweder die Unterstützung der DUP oder der Tory Remainers. Letztere fordern – als Abgeordnete der Regierungspartei – seit Wochen vom Oppositionsführer Corbyn, einen ungeordneten Brexit zu verhindern.

Aus Sicht der Konservativen gibt es nur zwei Exit-Szenarien: 1. Den No-Deal-Brexit. Oder 2. eine gemäßigte Tory-Regierung mit Unterstützung Corbyn-kritischer Labour-Abgeordneter mit dem Ziel, ein zweites Referendum durchzuführen. Das würde wohl zu einer Spaltung der Konservativen – und vielleicht sogar zu einer Labour-Abspaltung – führen. Wie ein zweites Referendum ausgehen würde, ist sehr unklar: Zuletzt wies das Meinungsforschungsinstitut Survation das Ergebnis eines Zweiten Referendums denkbar knapp mit 51:49 für Remain aus.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 60%, 1442 Stimmen
    60% aller Stimmen 60%
    1442 Stimmen - 60% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 366 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    366 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 302 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    302 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 207 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    207 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 106 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    106 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2423
12. März 2024
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Ludwig Dvorak

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