Ein rechtspopulistischer Reflex besteht darin politische Fragestellungen prinzipiell mit den Themen Migration, Asyl oder Islam in Verbindung zu bringen. Deshalb ist unser gesellschaftliches Klima von ethnisch-kulturellen Auseinandersetzungen geprägt und dies wird von radikalen Islamisten noch bewusst befeuert. Für sozialdemokratische Ideen ist das ein hartes Pflaster. Es ist aber auch ein ungünstiges Umfeld für seriöse Konservative. Über die letzten Jahre mussten Konservativen in Frankreich, Schweden und in einigen deutschen Bundesländern zu Gunsten von Rechtspopulisten erheblich Federn lassen. Die dänischen Konservativen sind nur noch eine Splittergruppe, die Rechtspopulisten sind dort so stark wie es die Konservative Folkeparti früher war. Die Mitterlehner-ÖVP hatte einen gemäßigt konservativen Kurs eingeschlagen und kam in Umfragen ebenfalls erheblich unter Druck.
Leider hat es die ÖVP verabsäumt sich neu zu erfinden. Sie ist stattdessen der Versuchung erlegen, rechtspopulistische Programmatik mit einer seriösen Oberfläche zu versehen. Der Umstand, dass wir über die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Kurz-ÖVP genauso viel wissen wie über jene der FPÖ (nämlich nichts), zeigt schon, wie wesensverwandt die beiden Parteien inzwischen geworden sind. Sie schüren und bedienen kulturelle Ängste, haben aber beide kein Programm für die Entwicklung Österreichs.[1]
Was wir von Sebastian Kurz programmatisch wissen geht ausschließlich in eine Richtung und das ist der rechtspopulistische Kulturkampf. Wir wissen, dass Kurz sich brüstet die Balkanroute geschlossen zu haben und dass er das Heer an die Grenze zu Italien schicken möchte. Kurz fordert die Mindestsicherung für ausländische Staatsbürger/innen erst nach fünf Jahren auszuzahlen, Asylberechtigte zu Ein-Euro-Jobs zu verpflichten und Islamkindergärten in Wien zu schließen. Letztere Forderung stützt er auf in seinem Hause manipulierte Studien. Wir wissen, dass Kurz die Kinderbeihilfe für EU-BürgerInnen, deren Kinder im Ausland leben, kürzen möchte, obwohl die ungarischen oder slowakischen StaatsbürgerInnen die hier arbeiten, die gleichen Steuern und Abgaben zahlen wie alle anderen. Günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland holen: ja, sie gleichwertig entlohnen: nein. Die Forderung konterkariert nicht nur das Prinzip der Gleichbehandlung, sondern ist pure Rosinenpickerei und widerspricht allen europäischen Werten.
Nicht nur thematisch fischt Kurz im rechtspopulistischen Teich, er wendet auch die gleichen Strategien an wie Strache und Co. Was Kurz dem rechtspopulistischen Schema 1:1 abgekupfert hat, ist die Umdeutung sozialer Fragen in kulturelle oder ethnische Konflikte. Dazu zwei markante Beispiele:
Die SPÖ hatte den Vorschlag gemacht den Pflegeregress abzuschaffen. Statt des Eigenregresses, bei dem das gesamte Vermögen von Pflegebedürftigen aufgebraucht wird (also einer de facto hundertprozentigen Erbschaftssteuer), sollte eine Steuer auf Erbschaften über einer Million EUR eingehoben werden. Dagegen setzte Sebastian Kurz ein Finanzierungsmodell bestehend aus Stopp der Neuzuwanderung in das Sozialsystem sowie Missbrauchsbekämpfung unter anderem durch Einführung des Fotos auf E- Cards. Aus einer seriösen Diskussion um die Finanzierung der Pflege wurde plötzlich ein Anti-Ausländer-Thema. Dabei handelt es sich noch dazu um eine Bagatell-Angelegenheit: Der dokumentierte Schaden durch missbräuchliche E-Card Verwendung macht einige tausend EUR aus, die Kosten für die Fotos auf den E-Cards würden jedoch 18 Mio. EUR betragen.
Kurz verlangte eine gewaltige Steuersenkung von 14 Mrd. Euro um die Abgabenquote auf 40% zu drosseln. Zur Erinnerung, die größte Steuersenkung der 2. Republik, die 2016 in Kraft trat, hatte ein Volumen von fünf Mrd. Euro. Für die Gegenfinanzierung überlegt Kurz die Mindestsicherung für EU-Ausländer erst nach fünf Jahren auszuzahlen. Die Kosten für die gesamte Mindestsicherung macht ca. 1.500 Mio. EUR aus, davon geht aber deutlich weniger als die Hälfte an Ausländer/innen. Die einzusparende Summe steht also in keinem Verhältnis zu den 14.000 Mio. (!) EUR die Sebastian Kurz zur Finanzierung einer Steuerreform benötigt. Selbst der wirtschaftsliberale Think tank „Agenda Austria“, der sich nichts mehr wünscht als eine solche Steuersenkung, ist skeptisch in Bezug auf die Gegenfinanzierung.
Die „Finanzierungsvorschläge“ für Pflegeregress und Steuerreform sind keinesfalls geeignet signifikante Summen einzubringen. Die Grafik veranschaulicht, dass die gesamte Mindestsicherung (inkl. Inländer/innen), die Familienbeihilfe für Kinder im Ausland und die Kosten für E-Card-Betrug in keinem Verhältnis zu den Kurzschen Steuersenkungsplänen stehen. In Wirklichkeit werden kleinere bis minimale Maßnahmen, die viel symbolisch-emotionalen aber wenig real-monetären Nutzen aufweisen, aufgebauscht und ausgeschlachtet. Das ist Rechtspopulismus in Reinform.
Kurz Strategie beruht darauf, Ressentiments in der Bevölkerung politisch zu instrumentalisieren. Dabei wird billigend in Kauf genommen, dass sich diese Ressentiments verfestigen. Auf diesem Wege Stimmen zu sammeln ist genauso seriös wie der Boulevard, der die Verschärfung von Ressentiments in Kauf nimmt um die Auflage zu steigern. Es ist unwahrscheinlich dass der ÖVP-Chef ein überzeugter Rechtspopulist ist, als Integrationsstaatssekretär hatte er ja einst Signale in eine ganz andere Richtung ausgestrahlt. Plausibler ist, dass Kurz unter allen brachialen Opportunisten der manierlichste ist. Ein zynischer Nutzenkalkulierer im Gewande des perfekten Schwiegersohns. Man braucht kein Sozialdemokrat sein, um das übel zu finden. Auch Christ- oder Liberaldemokrat/innen sollten sich von Kurz’ seriösem Auftreten nicht blenden lassen und auf die primitiven Mechanismen achten, derer er sich bedient. Seit die NEOS existieren gibt es auch keine Ausreden mehr: man muss nicht links wählen um Schwarz-Blau rechts liegen zu lassen.
[1] Der Plan A von Christian Kern, der mich persönlich nicht in Begeisterung versetzt, ist dagegen eine programmatische Offenbarung.
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