Verteilungsgerechtigkeit

Noam Chomsky zur Corona-Krise: Profitgier kostet Menschenleben

Die Welt versucht verzweifelt die Corona-Pandemie einzudämmen. Der Philosoph Noam Chomsky kennt das eigentliche Problem der Krise: Der Neoliberalismus ist völlig ungeeignet, um größeren Problemen wie der Corona-Krise zu begegnen. Und Chomsky ist nicht überrascht, dass die USA das neue „globale Epizentrum der Krise“ sind und erklärt, wie Profitgier Menschenleben kostet.

Mit weit über 300.000 Infektionen sind die USA heute das Land mit den meisten Corona-Patienten. Sie haben damit mit mehr als dreimal so vielen Infektionen zu kämpfen, wie China. Über 8.000 Menschen sind in den USA bereits gestorben (Stand 6. April).

„Die USA sind jetzt das globale Epizentrum der Krise und haben die schlechteste Bilanz bei der Reaktion auf die Krise“, stellt der amerikanische Philosoph und Sprachwissenschaftler Noam Chomsky fest.

Chomsky wundert das aber nicht. Er erinnert daran, dass Wissenschaftler seit Jahren vor einer Pandemie warnen. Mindestens seit der SARS-Epidemie im Jahr 2003 lag auf der Hand, welche Gefahr von dem Virusstamm, auf dem Covid-19 basiert, ausgeht.

Doch nicht nur die USA haben in der Krisenprävention versagt. In den meisten Ländern der Welt wurde es verabsäumt, die nötigen Kapazitäten im Gesundheitssystem zu schaffen oder geeignete Behandlungsmethoden für diese Art von Virus zu entwickeln, findet Chomsky. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, beantwortet der Philosoph in einem Interview mit der Zeitschrift Truthout:

Das neoliberale Paradigma ist völlig ungeeignet der Corona-Krise zu begegnen: Die Signale des Marktes waren klar: Es bringt keinen Gewinn, eine zukünftige Katastrophe zu verhindern.

Noam Chomsky: Mangel an Beatmungsgeräten entlarvt Unmenschlichkeit des Neoliberalismus

Noam Chomsky ist Linguist, Kognitionswissenschaftler und politischer Aktivist. Seit den 1960er Jahren ist er einer der wichtigsten Wissenschaftler auf seinem Gebiet und steht an der Spitze einiger der wichtigsten globalen Diskussionen. Weltweit bekannt wurde er durch seine Arbeit und seine Kritik am Kapitalismus und an der Globalisierung. Das System hat einfach kein Interesse daran, eine Krise zu verhindern, sagt er. Das zeigt sich deutlich an einem der drängendsten Probleme der Krise: dem Mangel an Beatmungsgeräten.

Noam Chomsky (geboren 1928) ist ein amerikanischer Linguist, Philosoph und Geschichtswissenschaftler / Bild: jeanpaptisteparis

Vor einigen Jahren beauftragte das US-Gesundheitsministerium ein kleines Unternehmen mit der Herstellung kostengünstiger und einfach zu bedienender Beatmungsgeräte. Nachdem die Firma von einem größeren Unternehmen aufgekauft wurde, wollte sie aus dem Vertrag aussteigen. Das Management des Unternehmens beschwerten sich, dass die Produktion dieser preiswerten Beatmungsgeräte für das Unternehmen nicht rentabel genug war. Das Beispiel zeigt, wie das Prinzip der Gewinnmaximierung ganz automatisch und unerbittlich Menschenleben kostet.

Trump wollte nicht hören

Die Regierung, kritisiert Chomsky, hat sich der Logik der privaten Unternehmen, der „Profitdoktrin“ angeschlossen. Im Dezember letzten Jahres, als der Ausbruch noch in den Kinderschuhen steckte, informierte China die Welt über das Corona-Virus. Das asiatische Land stellt der wissenschaftlichen Welt das Genom des Virus zur Verfügung. Auch die Geheimdienste der USA übermittelten Präsident Trump alle Informationen über die drohende Krise. Trump wusste also bestens Bescheid, was auf sein Land zukommen könnte. Später mussten US Beamte der Presse jedoch mitteilen: Sie konnten Trump trotz der weltweit läutenden Alarmglocken einfach nicht zum Handeln bewegen.

Chomsky gibt jedoch nicht allein dem Präsidenten die Schuld für die „katastrophale Reaktion auf die Krise“. Sowohl Trump als auch die Unternehmen, die Beatmungsgeräte herstellen, handelten in perfekter Übereinstimmung mit der neoliberalen Doktrin, die die sogenannte Elite seit Jahrzehnten verbreitet:

„Wie Milton Friedman und andere neoliberale Koryphäen uns instruiert haben, ist die Aufgabe der Unternehmensmanager die Gewinnmaximierung. Jede Abweichung von dieser moralischen Verpflichtung würde die Grundlagen des ‚zivilisierten Lebens‘ erschüttern.“

Chomsky: Gesundheitssystem nicht auf Corona vorbereitet

Die Folgen des Neoliberalismus sind im Gesundheitssystem besonders gravierend zu spüren. Unsere Gesundheitssysteme wurden so organisiert, dass sie vor allem wirtschaftlich effizient funktionieren sollen. „Just-on-time-Service ohne Fett im System“ nennt es Noam Chomsky. Damit meint er, dass unsere Systeme teilweise vollkommen ohne Kapazitätsreserven auskommen müssen. Das Ergebnis dieser Politik kann man gerade in New York beobachten: Die Krankenhäuser sind mit den Corona-Patienten, die auf die Intensivstation müssen, heillos überfordert. Andere Städte in den USA wird es wahrscheinlich bald ähnlich gehen.

Und das, obwohl die USA eines der teuersten Gesundheitssysteme haben. Sie geben jährlich 16,9% ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Gesundheitsversorgung aus. Im Vergleich dazu sind die Gesundheitssysteme der EU-Mitgliedsstaaten günstig: Sie geben im Schnitt nur 8 % ihres BIPs aus – dort gibt es im Gegensatz zur USA aber eine universelle Gesundheitsversorgung für alle. Auch bei den Krankenhausbetten hinken die USA hinten nach. Trotz ihrer hohen Ausgaben stellen die USA nur 2,8 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner zur Verfügung. In der EU sind es 5,4 Betten.

„Die Normalität war das Problem“

Obwohl sie in fast jeder Industrienation Standard ist, ist Chomsky der Ansicht, dass eine universelle medizinische Versorgung in den USA derzeitig politisch schwer zu realisieren ist. Das Mindeste aber wäre, ein Verbot von Aktienrückkäufen für Konzerne und eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Management. Damit soll der Grundstein für das Ende des neoliberalen Paradigmas gelegt werden.

Chomsky fordert außerdem das Ende protektionistischer Maßnahmen für die Pharmaindustrie. Versteckt hinter Freihandelsabkommen würden die Pharmaunternehmen mit irrational teuren Medikamentenpreisen riesige Gewinne erzielen.

Auf die Frage, wie die Welt nach der Corona-Krise aussehen sollte, antwortet Noam Chomsky:

„Für diejenigen, die mit dem Wiederaufbau einer lebensfähigen Gesellschaft aus den Trümmern der anhaltenden Krise beschäftigt sind, ist es gut, dem Ruf von Vijay Prashad zu folgen: „Wir werden nicht zur Normalität zurückkehren, denn die Normalität war das Problem.“

Dieser Artikel im Original
Dieser Artikel ist auf thebetter.news auf Englisch erschienen und kann frei verbreitet werden. In diesem Fall bitte thebetter.news/PhilippStadler als Autor angeben. Die Rechte an den Inhalten verbleiben beim ursprünglichen Herausgeber.

Weiterlesen:

Das Geschäft mit der Wahrheit: Wie Medien gesteuert werden. Noam Chomsky & Edward S. Herman

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