Wirtschaft und Finanzen

Patient:innen warten jahrelang auf lebenswichtige Medikamente, während Pharmakonzerne ihr Geld in Steueroasen parken

Menschen müssen oft jahrelang auf lebenswichtige Medikamente warten oder bekommen sie erst gar nicht – das liegt oft daran, dass Pharmakonzerne sich nicht mit dem jeweiligen europäischen Land auf einen Preis einigen können. Die Pharmakonzerne verhandeln geheim und wollen den größten Gewinn daraus ziehen, gleichzeitig parken sie Milliardengewinne in Steueroasen. Und das auf Kosten der Patient:innen.

Die Krebspatientin Miriam Staunton aus Irland musste ein Jahr warten, bis sie wirksamere Medikamente bekam, die ihr im Kampf gegen den Krebs halfen. In anderen europäischen Ländern hätte sie die Medikamente schneller oder sofort bekommen. Der Grund für die Verzögerung: Irland konnte sich mit dem US-Arzneimittelhersteller Bristol Myers Squibb (BMS) auf keinen Preis für das Medikament einigen.

„Es ist eine Sache, wenn es keine Heilung gibt, aber wenn die Behandlung existiert und die Menschen keinen Zugang dazu haben, ist das grundlegend falsch“, sagt Staunton.

Medikamentenpreise werden geheim verhandelt

Es gibt keine einheitlichen Medikamentenpreise für alle EU-Länder, sondern diese werden von jedem Land einzeln ausgehandelt. Die Verhandlungen sind undurchsichtig und werden geheim abgewickelt. Konzerne bestehen auf die Geheimhaltung der Preise, um ihren Wettbewerbsvorteil zu wahren und ihre Verhandlungsposition zu stärken, indem sie die Preise jeweils an Märkte und Kund:innen anpassen, um den größten Profit daraus zu schlagen. Sie schützen sich durch Geheimhaltung davor, Preisnachlässe auch bei anderen Staaten machen zu müssen. Außerdem könnte eine öffentliche Bekanntmachung hoher Preise Pharmaunternehmen allgemein in ein schlechtes Licht stellen.

„Preisgeheimhaltung wird als ein zentraler Wert der Industrie angesehen“, sagt Wim van Harten, ein niederländischer Onkologe, der jahrelang nach den wahren Kosten von Krebstherapien in Europa gesucht hat.

Medikamentpreis um das 40-fache höher als der Produktionspreis

Die Länder wissen also nicht, wie viel andere europäische Länder zahlen. Diese geheime Preisabsprache zwischen Pharmamanagern und Staatsbeamten kann dazu führen, dass sich bestimmte Staaten zu hohe Preise nicht leisten können oder sich lange nicht auf einen Preis einigen. Dann warten Patient:innen jahrelang darauf, bis sie ein wichtiges Medikament bekommen – oder eben nicht bekommen.

Ein Beispiel ist das Medikament “Kaftrio” gegen die Lungenkrankheit Mukoviszidose. Der Preis schwankt innerhalb der europäischen Länder sehr stark. Das Pharmaunternehmen Vertex Pharmaceuticals hat das Monopol über das Medikament und kann mehr als 200.000 € pro Patient:in im Jahr dafür verlangen – laut britischen Forschern übersteigt das den Produktionspreis um das 40-fache.

(Foto: Unsplash)

Kaftrio gehört zu den sogenannten CFTR-Modulatoren, also Medikamente zur Behandlung von Mukoviszidose, eine Stoffwechselerkrankung, bei der Organe mit Schleim verstopft werden. Die nachfolgende Grafik wurde von Investigate Europe erstellt und übernommen – es handelt sich dabei um geschätzte Zahlen der durchschnittlichen realen Kosten für alle vier CFTR-Modulatoren aus dem Jahr 2022 (außer für Polen und Litauen).

Zentral- und osteuropäische Länder wie Polen und Tschechien müssen hohe Kosten für die Behandlung von Mukoviszidose mit neuen Medikamenten tragen. In Polen betragen die Ausgaben pro Patient:in für CFTR-Modulatoren etwa 110.000 Euro pro Jahr (ohne Mehrwertsteuer). In Tschechien liegen die Kosten sogar bei geschätzten 140.000 Euro, basierend auf Daten des größten öffentlichen Versicherers. Hingegen zahlte Frankreich “nur” etwa 71.000 Euro und Italien 81.000 Euro. Die angegebenen Kosten sind Durchschnittswerte, da manche Patient:innen möglicherweise erst später im Jahr Zugang zu den Medikamenten erhielten oder zwischen verschiedenen Medikamenten wechselten.

Patientin musste Heimat verlassen, um Medikament zu bekommen

Monika Luty, eine 27-jährige Polin, hat Mukoviszidose. Ihr Zustand war 2020 so schlecht, dass sie nur noch 37 kg wog und 20 % ihrer Lungenkapazität hatte. Zu dem Zeitpunkt gab es das Medikament gegen die Krankheit in großen Teilen der EU – in Polen nicht, weil es keine Einigung beim Preis gab. Sie flehte in einem Video Vertex an, ihr Zugang zu dem Medikament zu geben.

Das Flehen war erfolglos. Schlussendlich sammelten ihre Freund:innen 200.000 € und ihr Vater verkaufte sein Auto, sodass sie nach Deutschland auswandern und dort das Medikament kaufen konnte. In Polen wurde es zwei Jahre später erstattet, wohin sie dann auch zurückkehrte.

„In der EU zu leben, Polin zu sein, ich wurde diskriminiert, weil ich nicht Deutsche oder einer anderen Nationalität war, wo die Behandlung verfügbar war. Es sollte keine Diskriminierung in der EU geben”, sagte sie.

Ärmere Länder zahlen mehr für Medikamente als reiche

Trotz Preisnachlässen (Rabatten) zahlen ärmere Länder meistens höhere Preise als reiche. Ein Hauptgrund dafür ist, dass ärmeren Ländern oft die Verhandlungsmacht und Expertise fehlt, um bessere Konditionen auszuhandeln. Große und wohlhabende Länder können sagen: Wir nehmen euch eine große Menge von dem Medikament ab, dafür zahlen wir einen niedrigeren Preis. Das ist für die Konzerne ein guter Deal. Umgekehrt verlangen sie von Ländern, die weniger Geld für Medikamente zur Verfügung haben bzw. allgemein weniger Medikamente brauchen, einen höheren Preis, um ihren Gewinn zu maximieren. Für die Konzerne ist es in dem Fall natürlich wichtig, die niedrigeren Preise für Länder mit einer hohen Abnahmemenge geheim zu halten, weil sie sonst in Ländern, die nicht so viel abnehmen, bei demselben Preis einen viel niedrigeren Gewinn machen würden.

Diese Preisgestaltung führt zu großen Ungleichheiten beim Zugang zu lebensrettenden Medikamenten. Ärmere Länder haben schweren bis gar keinen Zugang zu benötigten Medikamenten. Ob man von einer schweren Krankheit geheilt werden kann, hängt also oft davon ab, in welchem Land man lebt. Die EU hat bislang keine wirksamen Maßnahmen zur Preistransparenz ergriffen.

„Die Strategie der Unternehmen ist immer die Gewinnmaximierung (…). Wenn ein Unternehmen Milliarden an Gewinn macht, kann man definitiv davon ausgehen, dass wir alle viel zu viel bezahlen”, sagte ein Verhandlungsführer, der anonym bleiben möchte.

Pharmakonzerne und Steueroasen: Ein System der Steuervermeidung

Um die höchstmöglichen Gewinne zu erzielen, versuchen Pharmaunternehmen – neben den geheimen Preisverhandlungen – Steuern so gut es geht zu vermeiden. Pharmakonzerne parken dazu ihre Tochterfirmen in Steueroasen, also in Niedrigsteuerländern. Die 15 größten europäischen und amerikanischen Pharmaunternehmen haben allein über 1300 Tochtergesellschaften in Steueroasen. Expertinnen und Aktivisten gehen davon aus, dass vor allem Irland, die Schweiz, Luxemburg und die Niederlande bevorzugte Standorte sind.

Wie verstecken Pharmakonzerne ihre Gewinne in Steueroasen?

Irland ist eine beliebte Steueroase (Foto: Unsplash)

Eine Steueroase ist ein Land oder Gebiet, das sehr niedrige Steuersätze oder spezielle Steuervorteile für ausländische Unternehmen – etwa  Pharmakonzerne – und Investor:innen bietet. Diese Orte ziehen Unternehmen an, die ihre Steuerlast reduzieren möchten, indem sie ihre Gewinne dorthin verlagern. Irland und die Niederlande haben attraktive Steuerregelungen und werden deshalb oft als Steueroasen genutzt. Irland hat einen niedrigen Körperschaftsteuersatz von 12,5 %, und die Niederlande bieten günstige Regelungen für Lizenzgebühren und Dividenden.

Lizenzgebühren sind regelmäßige Zahlungen, die man leistet, um etwas nutzen zu dürfen, das jemand anderem gehört, wie z.B. ein Patent, eine Marke oder ein urheberrechtlich geschütztes Werk. Zum Beispiel werden Medikamente patentiert und für den Verkauf müssen an den jeweiligen Pharmakonzern Lizenzgebühren gezahlt werden. Lizenzgebühren ermöglichen es den Besitzer:innen, Geld mit der eigenen Idee oder Erfindung zu verdienen, ohne sie selbst zu verkaufen oder zu produzieren. Gleichzeitig kann diejenige Person, die die Gebühren zahlt, das geschützte Material nutzen, um eigene Produkte zu entwickeln oder zu verkaufen.

Gesundheitsversorgung leidet unter den niedrigen Steuern

Pharmakonzerne nutzen legale Taktiken der Steuervermeidung, um ihre Gewinne zu maximieren und ihre Steuerlast zu minimieren. In Irland haben viele Tochtergesellschaften von Pharmakonzernen Beträge in Millionenhöhe angehäuft, weil die Steuern dort niedrig sind. Das führt dazu, dass die Gesundheitsversorgung schlechter ausfällt. Denn: Weniger Steuergelder bedeuten weniger finanzielle Mittel für Krankenhäuser, Medikamente und andere Gesundheitsdienste, was besonders negative Auswirkungen auf Länder mit ohnehin knappen Budgets für das Gesundheitswesen hat. Und genau das bekommen dann die Patient:innen zu spüren.

Irland: Teure Medikamente trotz Steuervorteilen für Pharmakonzerne

Der US-amerikanische Pharmakonzern BMS verlangte in Irland einen Startpreis von 1.311 Euro für eine 100-mg-Dosis Opdivo, obwohl die Herstellungskosten nur 9,50 bis 20 Dollar betragen. Das irische Gesundheitssystem warnte 2019 vor den hohen Kosten und erstattete Opdivo erst 2021 – zweieinhalb Jahre später als Frankreich. Trotz der hohen Kosten produziert BMS das Medikament in Dublin und nutzt steuerliche Vorteile durch eine Doppelresidenz in der Schweiz. BMS holte einen Steuersatz von 4,7 % heraus – weit unter dem US-Satz von 21 %. Die irische Tochtergesellschaft zahlt Lizenzgebühren an andere Unternehmensbereiche, um Gewinne in Länder mit niedrigeren Steuersätzen zu verlagern, was die Steuerlast senkt und gleichzeitig hohe Medikamentenpreise aufrechterhält – und das Gesundheitssystem belastet.

Steuerschlupfloch: “Double Irish with a Dutch Sandwich”

Die Vorgehensweise des Pharmakonzerns erinnert an ein berüchtigtes Steuerschlupfloch, das den Namen “Double Irish with a Dutch Sandwich” trägt. Es handelt sich dabei um eine Strategie von multinationalen Konzernen, um ihre Steuern zu vermeiden und damit Gewinne zu maximieren. Der Trick mit den Steueroasen funktioniert folgendermaßen (hier mit Beispiel eines Pharmakonzerns):

  • Gründung der Tochtergesellschaften: Ein US-Pharmakonzern gründet zwei Tochtergesellschaften in Irland (Irish A und Irish B) und eine in den Niederlanden (Dutch C).
  • Lizenzierung des geistigen Eigentums:
    Irish A besitzt die Rechte an einem wertvollen Medikament.
    Irish A lizenziert diese Rechte an Dutch C in den Niederlanden.
  • Weiterlizenzierung und Vertrieb:
    Dutch C lizenziert die Rechte weiter an Irish B.
    Irish B verkauft das Medikament in Europa.
  • Fluss der Lizenzgebühren:
    Irish B zahlt hohe Lizenzgebühren an Dutch C, wodurch Irish B geringe Gewinne ausweist und weniger Steuern zahlen muss.
    Dutch C überweist die Lizenzgebühren an Irish A.
  • Niedrigere Besteuerung:
    Die Niederlande besteuern diese Lizenzgebühren nur minimal.
    Irish A ist in einem Steuerparadies wie Bermuda ansässig, wo die Lizenzgebühren kaum besteuert werden.

Beispiel:
Der Pharmakonzern hat ein wertvolles Medikament.
  1. Er gründet Irish A, das die Rechte an dem Medikament besitzt.
  2. Irish A lizenziert die Rechte an Dutch C.
  3. Dutch C lizenziert die Rechte weiter an Irish B, die das Medikament in Europa verkauft.
  4. Irish B zahlt Lizenzgebühren an Dutch C, wodurch Irish B kaum Gewinne ausweist.
  5. Dutch C überweist die Lizenzgebühren an Irish A in Bermuda, wo sie kaum besteuert werden.

Durch diese Struktur kann der Pharmakonzern seine Gewinne durch verschiedene Länder leiten und so die Gesamtsteuerlast erheblich verringern.

Ein großer Teil des Gewinns fließt zu Aktionär:innen

Die Pharmaindustrie erzielt mehr Gewinn aus dem Verkauf bestehender Medikamente, als sie in die Entwicklung neuer Medikamente investiert. In fünf Jahren nahmen 15 multinationale Unternehmen 580 Milliarden Euro nach Steuern ein und gaben 572 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Trotz dieser hohen Ausgaben für Forschung schütteten die Konzerne fast den gesamten Gewinn an Aktionäre aus.

Unternehmen wie Abbvie, Johnson & Johnson und Pfizer gaben mehr für Aktionärsbelohnungen aus als für Forschung und Entwicklung.

Im Gegensatz dazu investierten Firmen wie AstraZeneca, Merck und Bayer mehr in Forschung als in Gewinne oder Ausschüttungen.

Pharmakonzerne schütten an Aktionäre aus (Foto: Unsplash)

Wie können Pharmakonzerne in die Pflicht genommen werden?

Menschen, die auf teure Medikamente angewiesen sind, leiden am stärksten unter der Profitgier großer Pharmakonzerne. Während sie auf die Arzneimittel warten, sind die Unternehmen damit beschäftigt, einen möglichst lukrativen Preis zu bekommen. Und oft können sie sich nicht einmal einigen oder die Staaten können sich die Medikamente nicht leisten. Der Gewinn von mächtigen Konzernen, die ohnehin viel Geld besitzen, führt zum großen Verlust für Menschen, die auf die Medikamente der Konzerne angewiesen sind. Und dewegen ist es zumindestens fragwürdig, wenn Pharmakonzerne Gewinne in Steueroasen verstecken – auch wenn es nicht gesetzlich verboten ist.

Ansätze, um diesem ungerechten System entgegenzuwirken, wären, Steuerschlupflöcher zu schließen, Preise transparent zu machen, ärmere Länder zu unterstützen und gemeinsam als EU zu verhandeln. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass Pharmakonzerne mehr Geld in die Forschung stecken, als es an Aktionär:innen auszuschütten.

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7. August 2024
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