Teuerung

Gemeinde Schwarzau schlägt Alarm: Wirtshäuser und Nahversorger vor dem Aus, wenn jetzt nicht Hilfe kommt

Wenn die Energiepreise explodieren, bedeutet das für Orte wie die Gemeinde Schwarzau im Gebirge, dass der Wirt und der Nahversorger zusperren müssen und Radwege nicht gebaut werden können. Bürgermeister Michael Streif macht sich große Sorgen um die Zukunft seiner Gemeinde, die jetzt schon ausgedünnt ist.  „Die Aktionäre feiern einen Rekordgewinn nach dem anderen. Aber Hilfen für die Gemeinden und die kleinen Unternehmen bleiben aus.“ Ein Lokalaugenschein. 

„Mit 31.12.2022 sperrt der Raxkönig zu“, sagt Josef Hajszan, der Alt-Pächter des renommierten Wirtes über den Lautsprecher am Telefon. Der Bürgermeister von Schwarzau im Gebirge, Michael Streif (SPÖ), war vorgewarnt – und doch fällt ihm das Gesicht ein. Jetzt ist es fix. Einer der verbliebenen drei Gastronomen in seiner Gemeinde gibt auf. Es ist ein weiterer Schlag für die Gemeinde. Ein weiterer Wirt hat bereits um Hilfe angesucht. Hilfe, die sich die 600-Personen-Gemeinde nicht leisten kann.

Der Raxkönig ist seit 1835 ein Gasthaus im Süden Niederösterreichs – an der Rax, wie der Name vermuten lässt. Ab 1903 besaß der Wirt die k.u.k. Gasthauskonzession. Viele Krisen hat das Haus erlebt. Doch es sind die Energiepreise, die ihm jetzt den Todesstoß geben. Zuvor wurde die öffentliche Anbindung in den letzten Jahren massiv gekürzt, dazu kommt, dass die Gemeinde schrumpft und die touristische Saison kurz ist. „Mai, Juni, Juli und August – damit kann man die Energiekosten-Explosion nicht abfangen. Bei diesen Kosten kann man einfach nicht deckend wirtschaften“, sagt Hajszan. Der Pächter hat 2003 noch fast 2 Mio. Euro in die Sanierung gesteckt, und hat florierende Restaurants in Wien betrieben. Er kennt sein Fach und weiß, wann es ein „Kampf gegen Windmühlen ist“ und er aufgeben muss. 

Seit mehr als 150 Jahren wird in diesem Haus bewirtet. Jetzt steht der Raxkönig vor dem Aus.

Mehr als nur Steuereinnahmen

Für die Gemeinde bedeutet das viel: Sie verlieren nicht nur Steuereinnahmen und Arbeitsplätze, sondern auch einen sozialen Treffpunkt. Ein zweiter Wirt droht nächstes Jahr schließen zu müssen. Auch er fürchtet von Heizkosten und steigender Pacht erschlagen zu werden. Der Tischler wird wegen der Energiekosten von acht Mitarbeitern auf zwei herunterfahren. Der Nahversorger im Ort hat auch bereits um Hilfe am Gemeindeamt angesucht. Hilfe, die sich die 600-Personen-Gemeinde nicht leisten kann. Das Dorf zerfällt. Bürgermeister Streif ist wütend: 

„Die Aktionäre feiern einen Rekordgewinn nach dem anderen. Aber Hilfen für die Gemeinden und die kleinen Unternehmen bleiben aus. Gleichzeitig machen sie beim Verbund Milliarden!“

Wieso die einen Milliardengewinne machen und die anderen nicht wissen, ob sie im Winter heizen können, kann und will der Bürgermeister Michael Streif nicht akzeptieren.

Selbst der örtliche Tankstellenbetreiber, Martin Rauckenberger, steht ordentlich unter Druck. Er betreibt eine Privattankstelle und macht alles andere als Übergewinne. Im Gegenteil: Er hat große Probleme, überhaupt Benzin und Diesel zu bekommen. Durch die Lage im Gebirge kommen Kosten für die Anlieferung noch dazu. 

„Ich habe Glück, dass die Leute hier solidarisch sind, und bereit sind, ein paar Cent mehr zu zahlen als im Tal. Den Preis kann ich bei meinen Kosten nicht anbieten“, sagt Rauckenberger. Die Bewohner:innen wollen die lokale Infrastruktur behalten, auch weil es zur nächsten Tankstelle 30 km sind – in eine Richtung. Auch Rauckenberger ist die Gemeinde wichtig, er sitzt im Gemeinderat und scheint jeden Winkel in- und auswendig zu kennen.

Die Lage spitzt sich selbst als Tankstellenbetreiber zu. Gehört man nicht zu den großen Anbietern, hat man Probleme, Sprit zu bekommen.

Die Gemeinde schrumpft

Schwarzau im Gebirge kann auf eine einzigartige Flora und Fauna verweisen. Die Gemeinde hat einen Naturpark, der zur Gänze von der Gemeinde betreiben wird. Doch das reicht nicht. Die Gemeinde verliert im Schnitt alle zehn Jahre hundert Einwohner. Vor allem die Jungen gehen. Dass in der Nacht vor dem Interview die Gemeinde um einen Bürger reicher geworden ist, bringt den Bürgermeister zum Lächeln – auch in Krisenzeiten ist eine Geburt ein kleines Wunder. 

Gemeinden fehlen 2023 bis zu 1,2 Milliarden Euro

Die Energiekrise samt Inflation trifft die österreichischen Gemeinden fast doppelt härter als die Corona-Krise. Den Gemeinden (ohne Wien) werden im nächsten Jahr bis zu 1,2 Milliarden Euro fehlen – errechnete das Zentrum für Verwaltungsforschung. Denn: Die laufenden Ausgaben steigen doppelt so stark wie die Einnahmen. Die Gemeinden sind gezwungen, zu sparen: Man begrenzt Raumtemperaturen in öffentlichen Gebäuden, schaltet Warmwasser und Außen-Beleuchtung ab, wo es möglich ist. Doch das allein wird nicht reichen. Darum fordern viele Gemeinden Hilfen von Bund und Ländern oder sogar eine Energiepreis-Bremse.

Je weniger Leute und je älter die Bevölkerung, umso schwieriger lässt sich die Infrastruktur aufrechterhalten. Gemeinden finanzieren sich wesentlich aus der Kommunalsteuer, die drei Prozent der Lohnsteuer aller Arbeitsplätze in einer Gemeinde ausmacht. Es ist eine Abwärtsspirale – je weniger Menschen hier leben und arbeiten, umso weniger Geld hat die Gemeinde. Der Verkehrsbund Ost-Region fährt mit seinen Bussen seit 2018 nicht mehr alle Siedlungen an. Nur wenn die Gemeinde die Fixkosten übernommen hätte, wäre der Verkehrsverbund bereit dazu gewesen. Doch das ist finanziell nicht möglich. Schwarzau ist eine der flächenmäßig größten Gemeinden Niederösterreichs und organisiert jetzt über Taxiunternehmen einen Transport für Schüler:innen und Kindergartenkinder, damit wenigstens diese Wege abgedeckt sind. Doch eine Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz wäre auch für die Gastronomen notwendig. Der Raxkönig wurde zum Schluss nur mehr einmal am Tag angefahren, noch dazu morgens. 

 

Zuschussgemeinde – und kein Weg raus

Seit 2000 ist Schwarzau eine „Zuschussgemeinde“. Das heißt, sie kann sich selbst nicht erhalten und jede außerordentliche Ausgabe braucht die Zustimmung der Landesregierung. Damals wurde die Abwasserbeseitigungsanlage neu gebaut. Das Ziel, in den nächsten Jahren wieder unabhängig zu werden, ist mit den aktuellen Energiepreisen gestorben. 

Pläne hätte man allerdings: für einen Campingplatz zum Beispiel. Doch der war damals mit Kosten von 600.000 bis 800.000 Euro außer Reichweite. Bei den derzeitigen Baukosten braucht man sich gar kein Angebot mehr legen zu lassen. 

Mindestpension und Pelletpreise

Den Bürgermeister Michael Streif und den Tankstellenbetreiber und Gemeinderat Martin Rauckenberger treffen wir im Gemeindeamt von Schwarzau im Gebirge. Die Stimmung ist gedrückt.

„Wir haben in der Gemeinde auch Mindestpensionsbezieher:innen. Wie die über den Winter kommen sollen, weiß ich nicht“, sagt Streif. Denn viele haben in den letzten Jahren auf Pellets umgestellt. Auch der Pelletsmarkt ist außer Kontrolle geraten. Kostete eine Tonne Pellets letztes Jahr im September noch 230 Euro, zahlt man dieses Jahr jenseits der 700 Euro. Mehr als eine Verdreifachung. Da hilft natürlich kein Strompreisdeckel. Dazu kommt, dass der Markt fast leergekauft ist: „Manche im Dorf sind überhaupt nur vorgemerkt für Pelletslieferungen“, sagt Streif. Sie wissen nicht, ob sie überhaupt Heizmaterial bekommen. Doch Schwarzau im Gebirge heißt nicht nur „im Gebirge“ – im Winter wird es in den Bergen sehr kalt. Streif ärgert sich:

„Während sich die Minister:innen in Wien einbunkern, muss ich den Menschen in die Augen schauen, und kann ihnen aber leider nicht helfen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

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Jakob Zerbes

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