Dossier

Der Cartellverband: Die große Jobvermittlungs-Agentur der ÖVP

Die meisten ÖVP-Bundeskanzler seit 1945 waren Mitglieder des Österreichischen Cartellverbandes ÖCV (oder CV), einer katholischen konservativen Studentenverbindung. Aber was ist der CV? Die Erklärung und die Kritik am CV sind hier ident: Der Cartellverband ist ein Verband katholischer, elitärer und rein-männlicher Studentenverbindungen mit weitreichenden Beziehungen in die Wirtschaft und einem sehr nahen Verhältnis zur ÖVP. Mit Kanzler Karl Nehammer sitzt aktuell ein CV-Mitglied an der Spitze der Regierung. Stellt sich die Frage: Ist der CV eigentlich mehr als ein Jobvermittlungs-Agentur für Konservative?

Der österreichische Cartellverband (ÖCV oder umgangssprachlich CV) ist der Dachverband der katholischen Studentenverbindungen. Während rechts- und deutschnationale Studentenverbindungen der FPÖ nahe stehen, steht der ÖCV der ÖVP nahe. Beide Gruppen haben aber durchaus Ähnlichkeiten: Sowohl der ÖCV als auch die Burschenschaften sind reine Männerbünde. Dem ÖCV stehen allerdings seit einigen Jahren auch katholische Studentinnenverbindungen in separat organisierten Dachverbänden nahe. Verbindungen des ÖCV sind streng hierarchisch, elitär und halten an veralteten Rollenbildern fest. So schließen sie Frauen, Nicht-Katholiken, Andersgläubige systematisch aus. Die Mitglieder des Cartellverbandes werden auch CVer, CVler, Couleur-Studenten oder Korporierte genannt.

Im Grunde genommen ist der ÖCV eine Art Arbeitsvermittlungsstelle der ÖVP. Kritiker nennen den CV sogar „das Arbeitsamt der ÖVP“. Mitglied wird, wer später einmal einen gut bezahlten Job in der Wirtschaft, Kultur oder Politik im Umkreis der Volkspartei haben möchte. Das Stichwort lautet: Vitamin-B(eziehung). Denn Beziehungen sind für die Mitglieder alles. Denn schon der Nachwuchs im ÖCV profitiert von den (Macht-)Positionen der älteren Mitglieder. Und wer einmal dabei ist, bleibt es sein Leben lang. Nach Beendigung des Studiums nennen sich die CV-Mitglieder „Alte Herren“. Das Karriere-Netzwerk öffnet Türen, bringt einen Im Job nach oben. Das oberste Gebot ist Loyalität und alle Mitglieder sind verpflichtet, sich auf der Karriere-Leiter ein Leben lang gegenseitig zu helfen.

Als Einstieg in den Cartellverband dient vielen Mitgliedern der Mittelschüler-Kartell-Verband MKV. Auch dort herrscht eine strenge Hierarchie, wie beim CV trägt man Fantasie-Uniformen und legt viel Wert auf gemeinsames Feiern und oft exzessiven Alkohol-Genuss unter Minderjährigen.

Das folgenden Dossier beleuchtet die Entstehung und Struktur des CV, das Näheverhältnis zur ÖVP und seinen Einfluss auf die Politik in Österreich.

Auch ÖVP-Kanzler Karl Nehammer ist „Kartellbruder“ und damit Teil des katholischen Netzwerkes. (Foto: Screenshot Facebook/ÖCV)

Kultur des Cartellverbandes

Mitglieder des Cartellverbandes bedienen sich einer sehr eigenen, gemeinschaftlichen Kultur. Man trägt äußerliche Erkennungszeichen, bei festlichen Anlässen sogar Fantasie-Uniformen, begeht gemeinsam rituelle Handlungen, politisiert, trinkt reichlich Alkohol und singt gemeinsam Lieder. Sinn dieser kulturellen Inszenierungen war und ist durchaus auch die Abgrenzung zum „normalen“ Volk und nicht-korporierten Studierenden.

Abzeichen, Schärpen, Käppis und Fantasie-Uniformen

Als Erkennungsmerkmale tragen die sogenannten Cartellbrüder verschiedene Kleidungsstücke in den jeweiligen Farben ihrer Verbindung. DieDas wichtigsten Elemente dabei sind das über die Brust getragene “Band” (auch „Bierband“ genannt) und der “Deckel” (eine bunte Kappe). Bei besonders festlichen Anlässen erscheinen die CVer in „voller Wichs“. Es wird eine an eine Husarenuniform aus dem 19. Jahrhundert erinnernde Uniform getragen, die aus einer farbige Jacke mit Schärpe, einer Reithose, Ledergamaschen („Kanonen“) und eine Fechtwaffe („Schläger“) besteht. Auch Wein- und Biergläser werden gern in den jeweiligen Farben der Verbindung benutzt.

Die Lieder: Das Studentenleben, die vergängliche Jugend und die Treue zur Kirche

Jede Verbindung hat ein eigenes „Farbenlied“, indem meist die gemeinsame Zugehörigkeit und Treue besungen wird. Die Hymne des gesamtösterreichischen Cartellverbandes heißt „Auf des Glaubens Felsengrunde“ und besingt die Treue zur katholischen Kirche:

1. Auf des Glaubens Felsengrunde stehe du, Cartellverband,
Wohlgeeint zu jeder Stunde, treu zu Gott und Vaterland!
Unserm Österreich zur Ehre, was auch bringen mag die Zeit,
[: und zum Schutze der Altäre sieh uns, Herr, im Kampf bereit! :]

Manche der Lieder wie etwa das bekannte Gaudeamus Igitur werden in lateinischer Sprache gesungen. Die Inhalte behandeln oft das Studentenleben, das Feiern und die Vergänglichkeit der Jugend oder auch historische Begebenheiten in satirischer Form.

2018 kam auf, dass der Cartellverband im Jahr 1957 gemeinsam mit dem Katholischen Mittelschüler-Verband ein Liederbuch herausgegeben hatte, indem sich sechs Lieder mit eindeutig antisemitischem Inhalt fanden. Unter anderem hieß es im Lied „Es lagen die alten Germanen“: „Heil Hitler, ihr alten Germanen, ich bin der Tacitus.“ Im Liederbuch des CV kam allerdings nicht die Zeile „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“ (Eine Anspielung an die sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden) vor. Diese Fortsetzung im Text wurde allerdings bei den Schlagenden Burschenschaftern gesungen, wie der FPÖ-Europa-Abgeordnete Andreas Mölzer bestätigte.

Exzessiver Alkohol-Genuss verbindet die Cartell-Brüder

Gemeinsame Abenteuer bis hin zu Exzessen und Peinlichkeiten schaffen Vertraulichkeit und verbinden Menschen miteinander. Diese gesellschaftliche Erfahrung nutzen auch studentische Verbindungen. Gemeinsame Vollräusche, die durch Trinkrituale gefördert werden und andere Handlungen, von denen die Außenwelt besser nichts weiß, werden auf der sogenannten „Bude“, dem Vereinslokal der jeweiligen Verbindung abgehalten. Gemeinsam werden oft große Mengen an Alkohol zu sich genommen, besonders berüchtigt ist der “Krambambuli”, dem im Dezember gerne zugesprochen wird. Auf vielen „Buden“ gibt es eigene Kotzbecken, in denen nach übermäßigem Alkoholkonsum erbrochen werden kann.

Feierliche Zusammenkünfte, die nach genauen Regeln (”Comment”) abgehalten werden, nennen die Korporierten „Kneipe“. Das Wort hat es in unsere Alltagssprache geschafft und wird heute als Ausdruck für ein Gasthaus oder eine Bar verwendet. In der Sprache der Cartell-Studenten schlägt sich vor allem der Bierkonsum nieder. Bier, so heißt es im CV, sei der „einzige Comment-fähige Stoff“, die auf der „Kneipe“ getragenen „Kneipjacken“ sind natürlich „bierfest“. Und es gibt „Bierfamilien“, „Bierkinder“, „Bierminuten“, die „Bierehre“, „Bierorgeln“, „Bieropern“, die „Biersau“ bis hin zum „Bierverschiss“, der den vorübergehenden Ausschluss von weiterem Alkoholkonsum bedeutet. #

Der sogenannte „Bierjunge“ meint ein „Bierduell“, wo eine gewisse Menge an Alkohol um die Wette getrunken werden muss, was samt „Sekundanten“ und Richter vollzogen wird. Bei der endgültigen Aufnahme in eine Verbindung wird vom Probemitglied (“Fuchs” oder “Fux”) in der Regel verlangt, im Rahmen einer Kneipe vor dem versammelten Publikum eine Maß Bier in einem Zug in sich hineinzuschütten.

Wie ist der Cartellverband aufgebaut?

Als Dachverband hat der CV 50 katholische Studentenverbindungen unter sich versammelt. Das sind rund 13.000 aktive Studenten und ein Vielfaches an ehemaligen Mitgliedern. Die Verbindungen sind alle nicht-schlagend. Das heißt, im Gegensatz zu rechts-nationalen Burschenschaften wird nicht mit Degen gegeneinander gefochten. Die Mitglieder des CVs haben also nicht die typischen Narben (Mensuren) im Gesicht, welche die Schnittwunden hinterlassen sollen.

Zu den 50 Verbindungen gehört etwa die katholisch-akademische Verbindung Norica Wien, die akademische Verbindung Austria Innsbruck und die katholisch-österreichische Hochschulverbindung Carolina Graz. Eine der größten Verbindungen des CVs befindet sich im „Haus zum Weißen Stern“, gleich hinter dem Wiener Rathaus in der Lenaugasse: die Rudolfina.

Erkennungszeichen und Job-Vergaben

Während des Alltags und in der Öffentlichkeit erkennen sich die Mitglieder an einer winzigen dreieckigen grünen Nadel, die sie am Kragen tragen. Die Farbe Grün wird gerne mit den Heimwehren der Zwischenkriegszeit 1918-1938 assoziiert. Zudem gibt es ein Online-Verzeichnis, indem alle Mitglieder des CVs eingetragen sind. Da dieses Verzeichnis nicht öffentlich ist, können nur Mitglieder darauf zugreifen. Es dient in erster Linie zur Kontrolle, wer dabei ist und wer nicht. CVler in höheren Positionen in Wirtschaft und Politik könnten dort nachschauen, ob ein möglicher Job-Bewerber Mitglied des CV ist und somit dieselbe gesellschaftspolitische Einstellung teilt –  ein hilfreiches Instrument bei Bewerbungsverfahren. Ein beliebter Scherz in diesen Kreisen lautet: “Kennst Du einen arbeitslosen Carteller?”

Mitglied eines Cartellverbands – Gemälde von Wilhelm Laforet

Durch die enge Verbundenheit des ÖCV zur ÖVP und deren Umfeld sitzen die ehemaligen Mitglieder oftmals in hohen Beamtenpositionen, bekleiden Ministerien-Jobs oder erhalten Jobs in den Chefetagen von privaten oder ÖVP-nahen Wirtschaftsunternehmen. Man ist stets bemüht, die aktiven Mitglieder nach Studienabschluss in Machtpositionen zu hieven oder als Nachfolger heranzuzüchten. Mitglied im CV sein ist somit fast eine Top-Job-Garantie.

Die CV-Karriereleiter: Vom Fuchs über den Burschen zum Alten Herren

Die Hierarchie des CVs ist in drei Stufen unterteilt. Auf der untersten Stufe stehen die sogenannten Füchse. Das sind neu-beigetretene Mitglieder auf Probe, die keinerlei Rechte innerhalb der Gruppe haben. Ihre Rechte werden von ihrem “Leibburschen” vertreten. Aus diesen Verhältnissen entstehen die “Bierfamilien”. Ihnen übergeordnet sind die die Burschen. Gemeinsam bilden Füchse und Burschen die “Activitas”, die aktiven Mitglieder, weil sie noch studieren. Die Burschen „befehligen“ die Füchse. Nach Außen wird die jeweilige Verbindung durch den “Senior” (dem auf ein Semester aus dem Kreis der “Burschen” gewählten Leiter der Verbindung) gemeinsam mit dem Altherren-Senior. Den meisten Einfluss haben jedoch die “Alten Herren”, die bereits im Berufsleben angekommen sind. Als „Alte Herren“ steuern sie die Ausrichtung und die Geschicke ihrer Verbindung – allein schon dadurch, dass sie die Mitglieder des ÖCV in Jobs bringen.

Seit jeher sind die einzelnen „Buden“ von großer Bedeutung für die jeweiligen Mitglieder. Denn dort treffen sie sich und sind unter sich. Dort organisieren sie Veranstaltungen, auf denen sich Alt und Jung vernetzten können. Und vor allem werden dort zukünftige Job vermittelt.

Prinzipien und Kritik: patriotisch, exklusiv und konservativ

Religio, Scientia, Amicitia und Patria – Glaube, Wissenschaftlichkeit, Lebensfreundschaft und Vaterland – der Leitspruch des ÖCV offenbart seine Prinzipien, das konservative und exklusive Weltbild der Mitglieder. Denn sowohl die Macht als auch der Einfluss des Verbands stützt sich auf die Dreifaltigkeit vergangener Tage: männlich, weiß und privilegiert.

Das Weltbild der CVler ist eine Mischung aus prüden christlichen Werten und rückwärtsgewandter, stark konservativer gesellschaftlicher Vorstellungen. Der Verband sieht sich der katholischen Kirche verpflichtet und hat nach eigenen Angaben einen Sendeauftrag für die damit verbundenen Positionen und Meinungen. Wohl auch deswegen unterstützt der CV offiziell den „Marsch fürs Leben“ der Abtreibungsgegner

Die Kritik an den veralteten Vorstellungen der katholischen Kirche trifft sich mit der Kritik am Cartellverband. Beide Organisationen vertreten Rollenbilder und Ideen, die einer modernen Gesellschaft nicht gerecht werden: Der Mann macht Karriere, die Frau führt den Haushalt und regiert nur hinter dem Herd.

Und auch Homosexualität, Schwangerschaftsabbrüche, queere Geschlechtsidentitäten und ein selbstbestimmtes Sexualleben über die reine Fortpflanzung hinaus werden eher als Abweichungen der „Normalität“ gesehen. So äußerte sich ein CVler im Oktober 2014 in einem Standard-Interview folgendermaßen: „Die offizielle Position ist: Homosexualität ist ein Faktum, aber sie darf nicht ausgelebt werden.“ 

Gleichzeitig sind die 4 Grundsätze so etwas wie Beitrittkriterien: Wer etwa das Studium abbricht oder aus der Kirche austritt, darf auch nicht mehr länger Mitglied sein.

ÖVP-Politiker als Mitglieder im Cartellverband

Seit Ausrufung der 2. Republik waren insgesamt 12 von 18 ÖVP-Chefs in Studentenverbindungen, die zum CV gehören. Darunter etwa Karl Nehammer, Reinhold Mitterlehner und Michael Spindelegger. Nicht dabei waren Sebastian Kurz, Wolfgang Schüssel und Erhard Busek. Da sowohl Schüssel als auch Busek dem CV kritisch gegenüberstanden, ging dessen politischer Einfluss unter beiden stark zurück. Ebenso unter Kurz, da dieser eher auf enge Freund:innen und ehemalige Wegbegleiter:innen aus der Jungen Volkspartei (JVP) zurückgriff. Lediglich Ex-Finanzminister Gernot Blümel kommt aus einer CV-Verbindung (Norica). Doch seit dem Amtsantritt von Karl Nehammer gewinnt der CV wieder an Bedeutung. Noch stärker war dieser nur unter Michael Spindelegger. 

Kanzler Karl Nehammer und sein Team aus CVlern

Karl Nehammer ist Mitglied im CV. Genau wie 11 weitere Abgeordnete, die für die ÖVP im Jahr 2023 im Parlament sitzen. Darunter: Finanzminister Magnus Brunner, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker und Florian Tursky, der Staatssekretär für Digitales. Sowie folgende ÖVP-Nationalratsabgeordnete: Nikolaus Berlakovich, Klaus Fürlinger, Wolfgang Gerstl, Peter Haubner sowie Reinhold Lopatka.

Auch die beiden EU-Abgeordneten Othmar Karas und Lukas Mandl, sowie Stephan Pernkopf (NÖ-Landeshauptfrau Stv.) gehören dem Cartellverband an. Neben den Abgeordneten-Rängen sind auch verschiedene Jobs in den Kabinetten und Ministerien mit Mitgliedern des Männerbundes besetzt: Wie zum Beispiel mit Arnold Kammel, der als Generalsekretär im Verteidigungsministerium arbeitet. 

Zudem gehören folgende fünf Nationalratsabgeordnete der Vorfeld-Organisation MKV des CVs an: Hans Stefan Hintner, Nico Marchetti, Andreas Minnich, Johannes Schmuckenschlager, Peter Weidinger.

Wolfgang Sobotka mit CV-„Deckel“ beim Maskenball „Rudolfina-Redoute 2020“ in der Wiener Hofburg Wiener Hofburg, Rudolfina-Redoute 2020

Machtpolitischer Höhepunkt des CVs: Die ÖVP unter Michael Spindelegger

Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger ist Mitglied in der bereits erwähnten Studentenverbindung Norica. Er trat dieser 1980 während seines Studiums bei. Auch sein selbst erwähltes politisches Vorbild Alois Mock, ehemaliger ÖVP Außenminister und Vizekanzler, ist Mitglied der Norica.

Spindeleggers politische Laufbahn ist ein Paradebeispiel für die Empfehlungspraktiken und die politische Nähe der ÖVP zum ÖCV. Denn es war Richard Wanzenböck, damaliger Bezirkshauptmann von Baden, der ihn dem Verteidigungsminister Robert Lichal als Sekretär empfahl und somit den Weg in die Politik ebnete. Beide Mitglieder des Cartellverbandes: Wanzenböck ist bei der Danubia Wien-Korneuburg, Lichal bei der Rhaeto-Danubia. Von da an nahm die politische Karriere Spindeleggers Fahrt auf und führte ihn zuerst ins Europaparlament, dann in den Nationalrat und schließlich ins politische Machtzentrum der ÖVP. Zuerst als Außenminister (2008) und später dann als Vizekanzler (2013).

Fast das komplette Regierungsteam Spindeleggers bestand aus „Cartellbrüdern“. Alle Männer, bis auf zwei Ausnahmen: Sebsatian Kurz und Andrä Rupprechter, damaliger Minister für Land- und Forstwirtschaft. So etwa der Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (Austro-Peisonia), der Minister für Wissenschaft Karlheinz Töchterle (Ehrenmitglied in zwei ÖCV-Verbindungen und der Vorfeld-Organisation MKV), Finanzminister Josef Pröll (Ehrenmitglied bei Amelungia und Franco-Bavaria), sowie Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner.

Nach dem Rücktritt von Spindelegger übernimmt mit Mitterlehner ein weiteres Mitglied des ÖCV (Austro-Danubia) die Führung der ÖVP. Wie sehr der CV mit der ÖVP verflochten ist, zeigt auch ein Blick auf die ÖVP-Liste für die Nationalratswahlen 2013. Darauf befanden sich 28 Mitglieder von katholischen Studentenverbindungen. Bei der darauffolgenden Nationalratswahl 2017 waren es nur noch 3 Mitglieder. Das legt den Umkehrschluss nahe: Wenn kein CVler an der Spitze der ÖVP steht, haben es die anderen Mitglieder schwerer, auf die begehrten Positionen zu gelangen. Denn Kurz selbst war nie Mitglied und bewegte sich nicht im Kreis des ÖCV, sondern in dem der JVP.

Katholische Frauenverbindungen: Nicht Teil des Cartellverbandes, doch dem CV stark verbunden

Der Cartellverband ist auch 2023 noch immer ein reiner Männerbund. Wiederholt, zuletzt im Mai 2022 stimmten die Mitglieder erneut gegen eine Aufnahme von Frauen in den Österreichischen Cartellverband. Dennoch gibt es seit den 60er Jahren katholische Frauenverbindungen, die den Verbindungen des CVs nicht nur wegen der geteilten konservativen Werte nahe stehen, sondern auch wegen verschiedener gemeinsam-organisierter Veranstaltungen. Im Vergleich zu den Männerverbindungen gelten sie jedoch als weniger einflussreich. Das passt wiederum zum veralteten Rollenverständnis des CV: Die Frau als Stütze oder vielmehr als Unterstützung des Mannes. 

Trotzdem gibt es auch in Frauenverbindungen Mitglieder, die in höhere Positionen innerhalb der ÖVP aufgestiegen sind. So ist zum Beispiel Johanna Mikl-Leitner, Landesparteiobfrau der ÖVP Niederösterreich, Mitglied der Studentinnen-Verbindung KÖMMV Babenberg Klosterneuburg. Oder: Michaela Steinacker, ÖVP-Nationalratsabgeordnete und ehemalige Raiffeisen-Geschäftsleiterin. Sie war eine der Mitgründerinnen der Norica Nova. Diese gehört zwar nicht dem Cartellverband an, doch ist sie eng mit der Norica Wien verbandelt. So gibt und gab es etwa gemeinsame Veranstaltungen oder Schulungen in den Verbindungsräumlichkeiten. 

Auch die ehemalige Verfassungsministerin Karoline Edtstadler ist Ehrenmitglied in der Katholischen Salzburger Hoch- und Mittelschul-Mädchenverbindung. Sowie Maria Rauch-Kallat (Ehrenmitglied der Norica Nova),  Ex-ÖVP-Frauenminsiterin. Obwohl sich die Norica Wien in den 90er für einen Beitritt von Frauen einsetzte, kann sie lediglich als progressiver Rand des CV gesehen werden. Denn damals wie heute sind es nicht nur die Alten Herren, die gegen eine Aufnahme von Frauen stimmen, sondern ebensoviele junge Mitglieder. 

Die Antisemiten als Ehrenmitglieder: Karl Lueger, Leopold Kunschak und Engelbert Dollfuß

Der ÖCV tut sich schwer, sich klar von historisch belasteten Persönlichkeiten ausreichend zu distanzieren. So sind beispielsweise zwei bekennende Antisemiten auch heute noch Ehrenmitglieder in zahlreichen Verbindungen des ÖCV: Karl Lueger und Leopold Kunschak. Lueger bezeichnete Einwanderer gerne als „Betteljuden“, sah die Börse von „Geldjuden“ gelenkt und verhöhnte kritische Journalist:innen als „Tintenjuden“. Eine Wortwahl, die antisemitischer kaum sein könnte. 

Auch der ehemalige Diktator und Begründer des Austrofaschismus, Engelbert Dollfuß, war Mitglied der “Franco-Bavaria” und forderte als CV-Funktionär die Einführung des “Arier-Paragrafen” im gesamten CV (der damals alle katholischen Verbindungen in Österreich und dem Deutschen Reich umfasste). Bis zum Zeitpunkt seines Todes war er Ehrenmitglied in allen anderen Verbindungen des ÖCV und ist bis heute überall Ehrenmitglied. Weder die politischen Verfolgungen und Internierungen von Andersdenkenden, noch der Umbau der Republik in eine Diktatur, noch das Verbot anderer Parteien, hindert den ÖCV daran, die Zeit des Austrofaschismuss unter Dollfuß, sowie seine Person weiterhin zu verklären und zu huldigen.

Gerhard Hartmann nennt Dollfuß in „Der CV in Österreich“ einen „Märtyrer“. Das Buch ist eine Art Basisliteratur für jeden CVler. Hartmann ist selbst CVler und Verfasser von mehreren Werken über den Verband. In seinem Buch verharmloster neben Dollfuß auch den Austrofaschismus als „autoritäres Regime“. In so mancher Verbindungsbude hängt bis heute ein Portrait oder Abguss der Totenmaske von Dollfuß, so zum Beispiel bei der Franco-Bavaria in Wien.

Bereits damals lebte Dollfuß seinen Antisemitismus voll aus. So stellte er 1920 als Mitglied der „Katholischen Österreichischen Hochschulverbindung (KÖHV) Franco-Bavaria Wien“ einen Antrag für einen „Arierparagrafen“, der Juden den Beitritt in eine Verbindung des Cartellverbandes verbieten sollte. Der Antrag wurde damals abgelehnt.

11 der 45 männlichen ÖVP-Abgeordneten im Nationalrat sind Teil des Cartellverbands oder des Mittelschüler-Kartell-Verbands (MKV).

Die Geschichte des Cartellverbands

Die Anfänge des CV liegen im 19. Jahrhundert, als sich nach und nach immer mehr Studentenverbindungen (Korporationen) gründeten. Die erste Studentenverbindung wurde 1815 in Jena gegründet. Sie gilt als Urburschenschaft, an der sich die heutigen Verbindungen in Brauch und Auftreten orientieren. Sie war stark deutschnational. Erst 1844 wurde dann ein „katholisches“ Gegenmodell gegründet: die Bavaria in Bonn. Sie gilt als Vorbild für die erste österreichisch-katholische Studentenverbindung, die auch heute noch Teil des CVs ist. Nämlich: die Austria Innsbruck, gegründet 1864.

Anders als Burschenschaften – also Studentenverbindungen, die ihren Ursprung im deutschnationalen Lager haben und auch heute noch rechte bis rechtsextreme Wertvorstellungen vertreten – sind die Verbindungen des Cartellverbands seit jeher katholisch.

Das exakte Gründungsdatum des Cartellverbandes ist nicht bekannt. Die Statuten, die den Verband ausmachen, wurden 1871 beschlossen. Doch bereits 15 Jahre davor wurde das erste „Cartell“ zwischen zwei Verbindungen geschlossen. Nach und nach schlossen sich Verbindungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs (1914) hatten sich rund 80 Verbindungen im CV versammelt.

Der Cartellverband in der Ersten Republik: CVler als Träger des Austrofaschismus

Der Großteil der CV-Mitglieder in der Ersten Republik kam aus den Pfarren oder fand über die Kirche Anschluss an die Verbindungen. Die Studenten repräsentierten meistens die katholische Mittelschicht. Das damalige Großbürgertum ging hingegen in die deutschnationalen Verbindungen.

„Die ideologische Ausrichtung ist nicht so sehr von einer Partei bestimmt, sondern man ist von Anfang an vor allem an der katholischen Kirche orientiert“, sagt Gernot Stimmer, Politikwissenschaftler an der Universität Wien.

Im Austrofaschismus wurden viele politische Spitzenfunktionen von Männern aus katholischen Gruppen besetzt. Mitglieder des Cartellverbands waren in den politischen Spitzenpositionen der Dollfuss-Regierung stark überrepräsentiert. Sie wurden zu Trägern der Diktatur zwischen 1933 und 1938. Rund 40 Prozent der Abgeordneten im Bundestag waren CVler. Darunter sowohl Dollfuß als auch sein Vorgänger Ignaz Seipel und sein Nachfolger Kurt Schuschnigg. 

„Wer aber später die Geschichte dieser bewegten Jahre schreiben wird, der wird – will er nicht die geistigen und bündischen Grundlagen vernachlässigen, von denen sich das katholische Führertum Österreichs abhebt – jenes Verbandes gedenken müssen, dessen Mitglieder die Waffen des Geistes ebenso zu führen vermochten, als sie mit dem Stutzen für Ehre, Freiheit, Vaterland zu kämpfen bereit waren.“ (Mitteilungsblatt des ÖCV und des ÖAHB, Mai 1936)

Aus: „Die Dollfußstraße ist keine andere als die traditionelle CV-Straße.“ – Der österreichische CV im Austrofaschismus

1932 beschloss das Gremium des Verbandes, dass eine Mitgliedschaft in der NSDAP mit einer im CV unvereinbar sei. Wobei dieser Beschluss rund ein Jahr später widerrufen wurde. 

Mit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland und dem Verbot aller studentischen Organisationen, spalteten sich die österreichischen CV-Verbindungen vom CV ab und bildeten den ÖCV. Letzterer wurde nach dem “Anschluss” 1938 ebenfalls aufgelöst. Nach 1945 nahmen die Verbindungen des ÖCV wieder ihren Betrieb auf, es kam aber zu keiner Wiedervereinigung mit den deutschen Verbindungen, deren Dachverband “CV” heisst (im Gegensatz zum ÖCV).

1935 kam es in Wien sogar zu tödlichen Krawallen zwischen CV-Studenten und jüdischen Studenten. Es gab zwei Flügel im Cartellverband: Ein gegenüber dem deutsch-nationalen aufgeschlossener Flügel unter dem späteren Bundeskanzler Josef Klaus (Rudolfina Wien) und ein betont patriotisch-österreichischer, welcher der katholischen Kirche die Treue hielt. 

Der Cartellverband im Nationalsozialismus

Mit der Machtübernahme der Nazis und dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland wurde der Cartellverband 1938 verboten. Die Rolle des CVs während des Nationalsozialismus ist komplex: Zum einen agierten Mitglieder im Untergrund und gingen in den aktiven Widerstand, zum anderen begeisterten sich einige für die Ideologie der Nazis. Dennoch wurden sowohl katholische Verbindungen, als auch einzelne Mitglieder Opfer der NS-Zeit.

Nach dem Ende des „Zweiten Weltkriegs“ wurde der ÖCV wieder erlaubt. Von da an begann die enge Verwicklung zwischen ÖVP und ÖCV, die den Verband und die österreichische Politik bis heute prägt.

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  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1726 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1726 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 16%, 463 Stimmen
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12. März 2024
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