Die chilenische Bevölkerung stimmt bei den Parlamentswahlen mit einer überwältigenden Mehrheit für einen politischen Kurswechsel. Die meisten Stimmen gingen an linke und unabhängige Kräfte und bescherten diesen einen überraschend hohen Sieg. Abgewählt wurden nicht nur die konservative Regierung, sondern auch die Parteien der Mitte.
Die Wahlen am vergangenen Sonntag gelten als die wichtigsten Abstimmungen Chiles seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie vor 30 Jahren. Sie bestimmen, wer die neue Verfassung Chiles ausarbeiten wird. Eine neue Verfassung war die zentrale Forderung wochenlanger Proteste 2019 und 2020. Rund 14 Millionen ChilenInnen waren aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Derzeit gilt in Chile noch jene Verfassung, die aus der Zeit der Pinochet-Diktatur (1973 – 1990) stammt. Diese bestimmt unter anderem die Privatisierung von Wasser in dem südamerikanischen Land, was zu erheblicher Wasserknappheit für die chilenische Bevölkerung führt. Ein erster Entwurf für die neue Verfassung soll 2022 zur Abstimmung gestellt werden.
Die Prognosen sahen zunächst gut aus für den regierenden Präsidenten Piñera und seine konservative Regierung. Nach Auszählung der Stimmen wurde jedoch klar, dass seine Koalition nicht einmal das gesetzte Ziel von einem Drittel der Sitze erreichen konnte. Die ChilenInnen erteilten der bisher regierenden konservativen Partei eine unerwartete Abfuhr, wohl um deren Einfluss auf die neue Verfassung möglichst gering zu halten.
Die linken Parteien “Lista del Pueblo” (Volks-Liste) mit 15,1%, “Apruebo Dignidad” (Zustimmung, Würde) mit 18,5% sowie einige unabhängige Parteien wie die “Lista del Apruebo” (Liste Zustimmung) mit 14,7%, zählen zu den großen Gewinnerinnen der Wahl. “Apruebo” (Zustimmung) oder “Rechazo” (Ablehnung) war die Frage bei der Volksabstimmung für eine neue Verfassung.
Zwar kam Piñeras Partei “Vamos por Chile” (Auf geht´s Chile) auf 21,2 Prozent und ist damit stärkste Kraft, doch wird sie im weiteren Geschehen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die linken Parteien sehen den Wahlausgang als klares Zeichen für den Zusammenhalt der chilenischen Bevölkerung für eine grundlegende Reform in Chile.
Politische Experten deuteten schon das Ergebnis des Referendums, dass dies wegweisend für den weiteren politischen Weg in Chile sei. Linke Parteien sprachen von einem großen Sieg für das chilenische Volk und seine Unabhängigkeit. Sowohl das Ergebnis des Referendums als auch der Wahlausgang im Mai 2021 könnten richtungsweisend sein für die 2022 anstehenden Präsidentenwahlen. Die Menschen wollten weder eine neue rechte Regierung, noch einen neoliberalen Mitte-Weg.
Seit 2018 wird das südamerikanische Land mit seinen rund 19 Millionen EinwohnerInnen vom liberal-konservativen Präsidenten Sebastian Piñera regiert. Dieser war bereits von 2010 bis 2014 unter der rechten Chile-Vamos-Koalition Präsident des Landes. Danach zog er sich aus der Politik zurück und wandte sich seinem Leben als Milliardär zu, bis er 2017 erneut kandidierte.
Kritik erntete Piñera unter anderem, weil er trotz seines politischen Amtes Anteile an einem privaten chilenischen TV-Sender und einem Fußballclub hält. Laut Finanzmagazin Forbes beläuft sich das Vermögen des Regierungsoberhaupts auf 3 Milliarden Dollar.
Natürlich ging die Pandemie auch an Chile nicht spurlos vorbei. International gab es zunächst vor allem Lob für das erfolgreiche Impfvorgehen, doch nun kämpft das Land mit einer neuen Virus-Welle. Vermutet wird, dass dies mit dem eingesetzten chinesischen Impfstoff Sinovak zusammenhängt, dieser soll einen deutlich niedrigeren Schutz als die mRNA-Stoffe von Biontech und Pfizer bieten. Das sorgt derzeit für politische Diskussionen im Land.
In Chile ist Wasser Privatgut, private Unternehmen bauen Pipelines im ganzen Land. Allerdings nicht für die chilenische Bevölkerung, sondern um den gewinnbringenden Avocadoanbau voranzutreiben. Die Früchte werden ins Ausland exportiert. Während die Avocado-Plantagen grün erstrahlen, trocknen wenige Meter weiter ganze Flüsse aus und die Bevölkerung kämpft mit Wasserknappheit. Die bisherige Verfassung stützte dies.
Während die Demonstrationen zunehmend größer wurden, begann Präsident Piñera das Militär gegen die Bevölkerung einzusetzen und scheute dabei nicht vor Brutalität. Mehrere Dutzend Demonstrierende wurden getötet.
Im Rahmen eines Referendums im Oktober 2020 sprachen sich 80% der ChilenInnen für eine neue Verfassung aus. Nun wurden jene 150 VertreterInnen gewählt, die diese neu entwerfen sollen – die Hälfte davon Frauen und auch Sitze für indigene Bevölkerungsgruppen sind vorgesehen.
Die neue Constituyente (Verfassung) wird maßgeblich für die Entwicklung des Landes in den kommenden Jahrzehnten sein, denn das bisher geltende Grundgesetz stammt noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur.
Sie verunmöglichte bisher jegliche Sozialreformen und gilt als eine der Ursachen für die massive wirtschaftliche Ungleichheit im Land, die schließlich in Massenprotesten der letzten zwei Jahre mündeten. Die Verfassung der Militärdiktatur gehört nun der Vergangenheit an, dies ist das Ergebnis erfolgreicher Proteste der chilenischen Bevölkerung.
Der Weg zur neuen Verfassung wird kein leichter. Die Verfassung der Militärdiktatur hat zu enormer Ungleichheit geführt. Diese wurde in den letzten 20 Jahren zwar etwas abgebaut, aber blieb im wesentlichen weiterhin bestehen. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 15.000 US-Dollar pro Kopf liegt Chile zwar an der Spitze Lateinamerikas, dennoch konzentrieren sich 30% des Einkommens auf nur 1% der Bevölkerung. Fast 15% der ChilenInnen leben in Armut. Nun muss entschieden werden, welche Teile der Verfassung gänzlich abgeschafft und welche reformiert gehören.
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