Derzeit sind unser Leben uns unsere Freiheit in einem Maß einschränkt, wie es vor ein paar Monaten noch niemand für möglich gehalten hätte. Wie diese Einschränkungen zustande kommen und aus welchen Gründen, wird für die Akzeptanz in der Gesellschaft sehr wichtig sein. Doch immer mehr sehen den Stil der Regierung mit Sorge. Auch in einer Ausnahmesituation darf man sich nicht über die Verfassung und über das Parlament hinwegsetzen, sagt etwa Alt-Bundespräsident Heinz Fischer. Der Verfassungs- und Verwaltungsexperte Manfred Matzka sieht unsere Grundrechte und den Rechtsstaat bedroht.
In Deutschland, Dänemark und selbst in den USA kennt man die führenden Epidemiologen in der Corona-Krise bereits so gut wie die Staatschefs. Regelmäßig treten Christian Drosten (Deutschland), Anthony S. Fauci (USA) oder Anders Tegnell (Schweden) öffentlich auf, präsentieren ihre Erkenntnisse und begründen Entscheidungen im Sinne der öffentlichen Gesundheit. Nicht so in Österreich: Hier hat die ÖVP-Grüne Regierung das Informations-Monopol, allen voran der Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Das sieht man etwa am Fall Martin Sprenger. Der Public-Health-Experte war Mitglied des Expertenstabs der Corona-Taskforce. Er hatte das Schließen von Parks und Wandergebieten als „nicht nachvollziehbar“ bezeichnet und auch sonst auf Probleme hingewiesen. Kurz sprach daraufhin von „falschen Experten“, Sprenger trat zurück. Eine gefährliche Selbstüberhöhung des Kanzlers, wie der Standard schreibt.
Auch viele (Daten-)Journalisten beschweren sich über die Veröffentlichungspolitik des Gesundheitsministeriums. Mittlerweile gibt es zwar die Daten in einer verarbeitbaren Form zum Download bereit. Doch viele Informationen, beispielsweiße über das Alter oder Geschlecht der Erkrankten gibt es einfach nicht. Das macht die Maßnahmen der Regierung schwierig nachzuvollziehen – und zu kontrollieren.
Doch nicht nur den Gesundheits-Experten, auch dem Parlament hat die ÖVP-Grüne Regierung viel Mitsprache entzogen. Fristen werden verkürzt, Gesetze werden nicht einzeln, sondern in Sammelpaketen abgestimmt und regiert wird vor allem über Erlässe der Ministerien – was in Demokratien sehr zweifelhaft ist.
Die Opposition stört, dass weitreichende Maßnahmen ohne große Diskussion durchgeboxt werden. Dass Gesetze und Änderungen den Abgeordneten erst 48 Stunden vor dem Beschluss vorgelegt werden und Vorschläge der Opposition ausnahmslos immer abgelehnt oder vertagt werden.
„Da kamen drei Wellen von Covid-19-Ermächtigungsgesetzen. Allesamt husch-pfusch vorbereitet (was man angesichts des Zeitdrucks verstehen kann), alle in einem parlamentarischen Notverfahren ohne wirkliche Debatte (was man schon nicht mehr versteht) und zwei davon in der Form von aberwitzigen Sammelgesetzen, die 42 Novellen und dann 92 Artikel enthielten, welche niemand mehr, auch kein Parlamentarier, überblicken konnte“, kritisiert der Verfassungsexperte und langjährige Sektionschef im Bundeskanzleramt Manfred Matzka.
Auch der frühere Abgeordnete und Anwalt Alfred Noll hat eine Verfassungsklage gegen das COVID-Maßnahmengesetz eingebracht, er spricht von einemVerordnungsstaat.
Auch der ehemalige Bundespräsidenten Heinz Fischer fordert am Montag die Einhaltung der Verfassung ein: „Es ist unbestreitbar, dass es in jüngster Zeit parlamentarische Prozeduren gegeben hat, die den Grundsätzen einer sorgfältigen und verantwortungsvollen parlamentarischen Arbeitsweise zuwider laufen“, mahnt Fischer. Das sei in Zeiten der Corona-Krise nachvollziehbar, aber:
„Auch in einer solchen Situation darf man sich über die Verfassung und die Rechtslage nicht hinweg setzen. […] Wichtig ist aber meines Erachtens der Konsens zwischen Regierung und Opposition bei ausserordentlichen Massnahmen, die die parlamentarischen Prozeduren beschleunigen. Und man muss zu normalen parlamentarischen Prozeduren zurück kehren, sobald die heikle Phase einer Krise vorüber ist“, sagt der ehemalige Bundespräsident im Kurier-Interview.
Bereits Anfang April hat der Verfassungsexperte und ehemalige Sektionschef im Bundeskanzleramt Manfred Matzka in einem Kommentar vor verfassungsrechtlich gefährlichen Entwicklungen gewarnt.
Er vergleicht die Corona-Rechtssetzung der Regierung mit dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917 – mit dem 1933 der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt und der Austrofaschismus eingeführt wurde. Das Ermächtigungsgesetz ist mit der aktuellen Rechtssetzung ident – nur das Wort Krieg wurde durch COVID-19 und wirtschaftlich durch gesundheitlich ersetzt.
Matzka warnt vor der Geschichtsvergessenheit:
„Ermächtigungsgesetze haben ein gefährliches Potenzial, das unter bestimmten Bedingungen so exponentiell ansteigen kann wie eine Infektion. Man muss also sehr genau auf erste, kleinste Anzeichen der Kurve achten – und die sind nicht beruhigend.“
Neben Matzka sorgen sich auch die Verwaltungsrichter um den Rechtsschutz im Land und um die massive Beschränkung individueller Freiheiten per Erlass. Der Sprecher der Verwaltungsrichter Markus Thoma appellieret an die Regierung, bei ihren Maßnahmen „die Grundsätze des Rechtsstaats nicht außer Kraft zu setzen“ und Verhältnismäßigkeit zu wahren. Eine verpflichtende App zur Corona Kontrolle wäre etwa ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte, kritisierten die Verwaltungsrichter.
Der langjährige Sektionschef Matzka sagt, wenn nicht nur einzelne Stimmen, sondern eine „breite Front“ die Eingriffe ins Grundrechte problematisiert, muss das ernst genommen werden.
Man muss mit diesen Eingriffen sehr vorsichtig umgehen. In einer Krise ist immer der Ruf da, besonders drastische juristische Maßnahme zu setzen. „Da muss man sehr vorsichtig sein, damit man nicht eine Dynamik in Gang bringt.“ Sonst greifen Regierungen in Zukunft immer schneller zu diesen Werkzeugen, bei immer mehr Krisen.
Deshalb müsste die Regierung zusammen mit dem Parlament und den Expertinnen und Experten stets fragen: „Ist es notwendig, für diesen Eingriff den Rechtsstaat auszuhebeln oder beiseite zu schieben? Oder gibt es nicht auch eine andere Möglichkeit, die dem Rechtsstaat entspricht?“ Doch genau diese Diskussion fehlt in Österreich oft – oder wird unter Verweis auf den „nationalen Schulterschluss“ abgelehnt.
Besonders gefährlich ist aus Matzkas Sicht, dass die österreichische Regierung immer mehr per Erlass regiert – statt ordentliche Gesetze oder Verordnungen zu beschließen. Was ist der Unterschied? Gesetze werden im Parlament beschlossen, Verordnungen können von Ministern nur auf Basis von Gesetzen erlassen werden – und sind anfechtbar. Erlässe dagegen sind nicht viel mehr als Weisungen an Beamte, sie können jederzeit umgeschrieben, korrigiert oder wieder zurückgenommen werden.
Besonders der „Oster-Erlass“ aus dem Gesundheitsministerium hat gezeigt, wie weit das gehen kann: Da ordnete der Gesundheitsminister an, die Polizei soll Vorgänge in privaten Wohnungen kontrollieren – der schärfste Eingriff in Grundrechte aller bisheriger Maßnahmen, ganz ohne Parlament oder Gesetz.
Möglich gemacht hat das das 1. Covid-Maßnahmengesetz: Der Gesundheitsminister ist seither ermächtigt, Betretungsverbote zu erlassen, wo und wie immer er es für erforderlich hält – ohne nähere Kriterien oder verpflichtende Begründung.
Juristen wie Matzka sehen das sehr kritisch. Für ihn gibt es ein paar Verhaltensregeln, die die Regierung jetzt im Sinne des Rechtsstaates dringend einhalten muss: Keine Erlässe mehr und das Parlament so viel und so weit es nur geht in alle Entscheidungen einbinden.
„Der Staat ist auch in Krisen und Kriegszeiten an die Verfassung gebunden“, sagt Matzka.
Schließlich ist die österreichische Verfassung auch darauf ausgerichtet, in Krisenzeiten zu funktionieren und Sicherheit zu geben. Krisenzeiten sind also kein Grund, die Verfassung und Grundrechte außer Kraft zu setzen.
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