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Verschlechterung statt Reparatur: Regierung streicht erhöhte Familienbeihilfe für Behinderte

Ohne Vorwarnung wurde Menschen mit Behinderung im August 2018 die erhöhte Familienbeihilfe gestrichen. Das bedeutet monatlich rund 380 Euro weniger für sie. Die Aufregung war groß. Die Familienministerin hat eine Reparatur des Gesetzes versprochen, bringt nun aber einen Antrag in den Familienausschuss, der Verschlechterungen für Behinderte befürchten lässt. 

Völlig überraschend und ohne Vorankündigung oder Diskussion darüber hat das Bundeskanzleramt Ende August 2018 die bisherige Rechtsauslegung geändert und tausenden behinderten Personen einen wesentlichen Teil ihres Einkommens gestrichen. Behindertenvertreter sind fassungslos.

Grund für Kürzungen ist ein fünf Jahre altes Urteil

Grund dafür sind Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahr 2013 und 2016, die besagen: Wer seinen Lebensunterhalt hauptsächlich aus der öffentlichen Hand sicherstellt, soll keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Die Urteile bezogen sich auf einen Subsidiär-Schutzberechtigten und einen Häftling, denen das Gericht den Anspruch auf Familienbeihilfe aberkannte. Um Menschen mit Behinderung ging es in den Urteilen nicht.

Und auf sie wurde das Urteil auch lange nicht angewandt: Behinderte Menschen bezogen weiter die erhöhte Familienbeihilfe, auch wenn sie Mindestsicherung erhielten. Bis August 2018.

Selbstbestimmtes Leben kaum noch finanzierbar

Denn im Sommer wurde diese Rechtsauslegung plötzlich geändert und Finanzämter haben die Auszahlung der erhöhten Familienbeihilfe gestoppt. Davon betroffen sind Menschen über 18, die für ihre Arbeit in Behinderten-Werkstätten oder in  Betrieben der Behindertenhilfe nur rund 60 Euro Taschengeld erhalten. Neben der Mindestsicherung bekommen sie auch im Erwachsenenalter die erhöhte Familienbeihilfe ausbezahlt, um ihr Leben finanzieren zu können.

Martin Ladstätter vom Behindertenberatungszentrum BIZEPS fordert: Die bisherige Praxis soll beibehalten und der Bezug der Familienbeihilfe nicht mit der Mindestsicherung verknüpft werden. Andernfalls würde man Tausende Menschen mit Beeinträchtigungen in die Armut stürzen, wie Die Presse berichtet.

380 Euro haben oder nicht haben, ist für Menschen mit Behinderungen eine Frage der Existenz.

Selbstbestimmt in der eigenen Wohnung leben, mobile Dienste, Therapien, Medikamente, Gehilfen oder Rollstuhl – all das kostet Geld und Behinderte leben heute schon am finanziellen Limit. „Der Bezug der erhöhten Familienbeihilfe kann in dieser fragilen Gesamtkonstruktion zur Absicherung des selbstbestimmten Lebens zum Zünglein an der Waage werden“, sagt das Vertretungsnetz. Und man fragt sich, warum muss man es diesem Menschen noch schwerer machen?

Antrag bringt keine Reparatur, sondern Verschlechterungen

Nach heftigem Protest hat die Familienministerin Bonger-Strauß (ÖVP) eine Reparatur angekündigt. Betroffene und ihre Familien sind zunächst erleichtert. Doch der Initiativantrag im Parlament bringt Ernüchterung:

„Wir befürchten wesentliche Verschlechterungen für viele Menschen mit Behinderung in Österreich, falls dieser Antrag in der gegenwärtigen Form beschlossen wird“, warnen der Behindertenanwalt und Betroffenen-Organisationen.

Denn darin heißt es: Behinderte Menschen verlieren die erhöhte Familienbeihilfe, wenn sie die bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen oder in einer betreuten Einrichtung untergebracht sind. Nichtmal die rückwirkenden Aberkennung der erhöhten Familienbeihilfe wird ausgeschlossen – Betroffenen drohen dann hohe Rückzahlungen.

Die erhöhte Familienbeihilfe auch für Kinder unter 18 Jahren

Die Kürzungen treffen nicht nur Mindestsicherungs-Bezieher. Auch Kindern mit Behinderung unter 18 Jahren, die unter der Woche in einer Einrichtung sind und an den Wochenenden zuhause leben, soll die erhöhte Familienbeihilfe gestrichen werden.

Den Eltern stand sie bisher zu, weil sie Mehrkosten für Pflegebetten und barrierefreien Wohnraum haben. Doch diese pauschalierte Abgeltung von Behandlungs- und Therapiekosten sowie Kosten für therapeutisches Material droht gestrichen zu werden.

Denn Finanzbeamte sind angehalten, dass die Eltern begelegen müssen, dass sie monatlich den gesamten Betrag der erhöhten Familienbeihilfe auch wirklich für „behinderungsbedingten Mehraufwand“ ausgeben. Ist die Summe von 380 Euro nicht durch Rechnungen gedeckt, können sie die ganze Familienbeihilfe verlieren.

 

„Ich komme mir vor wie eine Bettlerin“

So macht man es Familien, die es ohnehin schon schwer haben, noch schwerer. „Es liegt dann im Ermessen des Finanzbeamten, ob dieses Kleidungsstück, jenes Paar Schuh oder Spielzeug eine gerechtfertigte Ausgabe ist“, warnt die SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderungen Birgit Sandler.

„Ich komme mir aber auf den Ämtern vor wie eine Bettlerin“, sagt die Mutter des schwer behinderten Luca gegenüber dem Kurier. 30.000 Kinder leben in Österreich mit einer schweren Behinderung. Sie und ihre Eltern hätten viel zum Thema Inklusion zu sagen, doch es hört ihnen kaum jemand zu.

Behinderten-Vertreter fordern daher, den Beschluss über die erhöhte Familienbeihilfe im Parlament zu verschieben und Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen in die Debatte einzubeziehen. Die SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderung kündigt „alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten des parlamentarischen Protests“ an. Sie fordert ein öffentliches Hearing, bei dem NGO-VertreterInnen zu Wort kommen. Auch NEOS und Liste Pilz sprechen sich für eine Ausschussbegutachtung aus, um Betroffene zu Wort kommen zu lassen.

[veröffentlicht am 29. August 2018, aktualisiert am 9. Oktober 2018]

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