Europa

Bald Verspätungen wie in Deutschland? Die EU-Kommission will den Bahnverkehr liberalisieren

Verspätungen, überfüllte Züge, veraltete Garnituren und eine in die Jahre gekommene Infrastruktur: Was Alltag für viele deutsche Bahnfahrer:innen ist, erlebt man inzwischen auch in Österreich. Der öffentliche Verkehr steht vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Doch statt die Infrastruktur massiv auszubauen will die EU-Kommission den Bahnverkehr liberalisieren. Und das, obwohl man in Großbritannien und Deutschland die erschreckenden Auswirkungen der Privatisierung sieht.

In den Jahren 2001 bis 2016 hat die EU insgesamt vier Eisenbahnpakete zur Entwicklung eines „besser vernetzten, sicheren und nachhaltigen“ Eisenbahnnetzes verabschiedet. Die wichtigste darin enthaltene Maßnahme: Die Öffnung des Eisenbahnsektors für den Wettbewerb. Bis zu deren endgültiger Umsetzung war es Österreich großteils möglich, Bahnverbindungen direkt bei den Anbietern – meist die ÖBB – zu bestellen. Regionale Netze wurden von den Ländern meist an städtische oder kleinere private Unternehmen vergeben. Ziel war es, neben den Öffis in der Stadt auch einen Teil des peripheren Raums abdecken zu können.

EU-Kommission: Direktvergabe soll zur Ausnahme werden

Bereits im vierten Eisenbahnpaket von 2016 war vorgesehen, dass die Direktvergabe nur mehr bei einer zu erwartenden qualitativen Verbesserung der angebotenen Dienstleistungen oder einer höheren Kosteneffizienz möglich sein soll. In der neuen Leitlinie vom Juni 2023 heißt es noch einmal verschärfend:

„Nach Artikel 5 Absatz 4a kann die zuständige Behörde öffentliche Dienstleistungsaufträge für öffentliche Personenverkehrsdienste direkt vergeben, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind. Als Ausnahme vom Grundsatz des wettbewerblichen Verfahrens für die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge sollte diese Bestimmung restriktiv ausgelegt werden.“

Die EU-Kommission knüpft die erste Bedingung an die Geografie des Marktes, kurz: Wenn sich im ländlichen Raum kein Anbieter findet, kann direkt vergeben werden. Während also die gut ausgelastete Verbindung zwischen Wien und Salzburg bereits seit 2011 auch von der Westbahn als privaten Anbieter bedient wird, können für kleine Nebenstrecken wie ins Kärntner Gailtal oftmals keine Verkehrsdienstleister gefunden werden. So mussten Teile der Strecke zwangsläufig aufgegeben werden. Ein Betriebsrat der ÖBB-Lokführer:innen meint dazu:

„Neben den kleinen Nebenstrecken, die niemand bedienen will, darf auch der Güterverkehr nicht vergessen werden. Die privaten picken sich da die Rosinen heraus und fahren die langen Transporte, die rentabel sind und für die ÖBB bleiben die aufwendigen, die oft umgestellt werden müssen. “

Deutschland & GB: Bahn-Privatisierung brachte massive Verschlechterung

Die zweite Bedingung für die Direktvergabe verlangt die bereits angesprochene verbesserte Qualität der Dienste und/oder der Kosteneffizienz gegenüber dem zuletzt vergebenen öffentlichen Auftrag. Paradox ist, dass diese Verbesserungen bei einer öffentlichen Ausschreibung nicht explizit verlangt werden. Die EU-Kommission dürfte hier großes Vertrauen in die Wettbewerbsfähigkeit des Marktes setzen. Dabei gibt es mit British Rail oder der Deutschen Bahn durchaus prominente Beispiele für ein massiv schlechter werdendes Angebot im Zuge einer umfassenden Marktliberalisierung. SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder äußert demgegenüber allerdings grundlegende Bedenken:

„Liberalisierung und Ausschreibungszwang im Eisenbahnverkehr würden nur einen Wettlauf nach unten befeuern, statt das Angebot im Interesse der Kund*innen zu verbessern. Der Vergleich macht sicher, schauen wir zum Beispiel nach Großbritannien oder Deutschland, wo eine Marktöffnung immer zur Verschlechterung des Angebots geführt hat. Der Eisenbahnverkehr in Österreich gehört zum besten in Europa und nirgendwo fahren so viele Menschen mit der Bahn. Achten wir darauf, dass es so bleibt. Das macht aus sozialer Sicht und im Interesse eines nachhaltigen Mobilitätsmixes Sinn!“

Ähnliches befürchtet die Gewerkschaft Vida. Sie spricht in einer Aussendung von „Lohndrückerei“ und schlechteren Arbeitsbedingungen für die Bediensteten, auch werde durch die Vergabe an den Billigstbietenden die Qualität für Kund:innen schlechter.

Die Leitlinie als ein rechtlicher Graubereich

Jedenfalls dürfte die neue Leitlinie der EU-Kommission nicht ohne juristische Folgen bleiben. Sie sind für die Mitgliedsstaaten zwar nicht bindend, müssen aber dennoch berücksichtigt werden. Wird eine Direktvergabe nicht ausreichend begründet, könnten private Anbieter Österreich künftig dafür verklagen. Noch ist es ein rechtlicher Graubereich, der juristisch abgesteckt werden muss. Zwar sind die meisten Verträge mit der ÖBB auf 10 Jahre abgeschlossen und laufen erst 2031 aus, durch die neue Leitlinie der EU-Kommission erscheint das zukünftige Vergabeprozedere aber als ungewiss.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1903 Stimmen
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    1903 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 16%, 509 Stimmen
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    509 Stimmen - 16% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 387 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    387 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 300 Stimmen
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    300 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 163 Stimmen
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    163 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 3262
12. März 2024
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Michael Thaler and Florian Steininger

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