Veronika Bohrn Mena - Prekäre Arbeit

Geschäftsmodell „Digitalisierung“ und die Mär von der Massenarbeitslosigkeit

Unsere Arbeitswelt verändert sich, das hat sie schon immer. Ein maßgeblicher Treiber sind technologische Fortschritte. Waren es früher Fließbandarbeit und die Entstehung von Fabriken, so ist es nunmehr die Digitalisierung. Technologische Errungenschaften sind immer auch Momente, in denen sich die Arbeitsbedingungen ändern. Zum Guten oder zum Schlechten – das ist eine Frage des Ausgleichs der Interessen, kein Naturgesetz.

Derzeit wird der digitale Wandel von manchen bewusst instrumentalisiert, um ihre Vorstellungen einer für sie hochprofitablen Arbeitswelt umzusetzen. Dabei wird unternehmerisches Risiko zunehmend auf Arbeitende abgewälzt, werden Kosten auf die Gemeinschaft übertragen und Profite entweder an der Steuer vorbeigeschleust oder gekonnt minimiert. All das passiert in bunten, poppigen Verpackungen, wer sich dagegenstellt sei „antiquiert“ oder „unzeitgemäß“.

Die Einsparung von Arbeitsplätzen, die Auslagerung von betrieblichen Abläufen, die Übertragung unternehmerischer Verantwortung – all das sind keine Notwendigkeiten und haben auch überhaupt nichts mit technologischem Fortschritt zu tun. Sie sind vielmehr das Ergebnis einer gefinkelten Strategie jener, die sich den Digital-Hype zunutze machen wollen. Auf Kosten der Arbeitenden, die in einer beschleunigten Arbeitswelt unter die Räder zu kommen drohen.

Dabei könnte es auch genau andersrum laufen. Der technologische Fortschritt könnte uns gesündere und bessere Arbeitsplätze bescheren. Er könnte dazu führen, dass wir mehr freie Zeit haben. Denn intelligent programmierte und gut vernetzte Maschinen könnten Tätigkeiten verrichten, die schädlich und belastend sind. Die ohnehin bereits um sich greifende Sammlung von Daten könnte dazu genutzt werden, dass Menschen entlastet und nicht ausspioniert und kontrolliert werden.

Druckmittel Angst, Horrorszenario Massenarbeitslosigkeit

Aber uns wird vor allem auch eines eingebläut: Wir werden alle ersetzt, Roboter werden uns die Arbeit wegnehmen und ein sicherer, ordentlich bezahlter Arbeitsplatz wir zum Privileg. Die Ökonomin und in der GPA-djp Bundesgeschäftsführung für das Digitalisierungsthema Verantwortliche Agnes Streissler-Führer kommt in einer im Vorjahr durchgeführten Studie zu dem Ergebnis, dass, wie die Mehrheit aller seriösen Berechnungen zeigen, die Menge der Arbeit nicht weniger wird, sie wird nur anders verteilt. Auch in Zukunft, auch im digitalen Wandel? „Die vergangenen 20 Jahre haben gezeigt, dass in Österreich die Beschäftigung insgesamt gestiegen ist. Es sind aber im Zuge des Strukturwandels auch Arbeitsplätze weggefallen. In den stärker digitalisierten Branchen sind mehr Arbeitsplätze hinzugekommen als weggefallen. Natürlich können wir die Zukunft nicht vorhersehen – die bisherigen Evidenzen lassen aber darauf schließen, dass im Saldo sich mittelfristig die Verluste an Arbeit in Grenzen halten sollten, weil auch immer neue Tätigkeiten entstehen, die wir heute noch gar nicht kennen“, so die Expertin.

So gab es zwar Rückgänge im Arbeitsvolumen in der Landwirtschaft und in der Industrie, im Detail besonders im Bergbau und bei der Herstellung von Waren. Aber dafür gab es ebenso sehr deutliche Steigerungen. 60.000 neue Arbeitsplätze sind beispielweise im Handel entstanden, im Tourismus gab es einen Zuwachs von 45.000 Stellen. Bei den unternehmensnahen Dienstleistungen sogar 246.000 und auch im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich sind ganze 152.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstanden.

Hinzu kommt, dass Österreichs Wirtschaft wächst und völlig neue Branchen hinzugekommen sind, etwa bei den Informationsdienstleistungen oder im Medienbereich. Diese Veränderungen haben nicht nur mit der Digitalisierung zu tun, sondern sind durch den allgemeinen Wandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft und ein anderes Konsum- und Freizeitverhalten bedingt. Dazu erklärt Agnes Streissler-Führer weiter: „Wir dürfen nicht vergessen, dass Digitalisierung zwar derzeit ein sehr wichtiger und viel analysierter Trend ist, der unseren Arbeitsmarkt beeinflusst, aber es gibt auch ganz andere Entwicklungen, die ebenso neue Tätigkeiten entstehen lassen. Vor 20 Jahren wussten wir noch nicht, was Webmaster und Social Media Manager sein könnten, wir wussten aber auch nicht, dass es einmal Feng Shui BeraterInnen geben wird. Die relevante Frage ist daher nicht so sehr, wie viele Arbeitsplätze es in Zukunft geben wird, sondern ob es sich dabei auch um gute und abgesicherte Arbeit handelt.“

Wir müssen also weniger Massenarbeitslosigkeit fürchten, als vielmehr das Risiko der Prekarisierung des Arbeitsmarkts. Denn wenn scheinbare Notwendigkeiten vorgeschützt werden, um unternehmerische Verantwortung abzuwälzen, geraten Arbeitende unter Druck. Und die Angst vor Arbeitslosigkeit ist es, die sie zunehmend nachgeben lässt, auch unter schlechteren Bedingungen zu arbeiten. Doch radikal marktwirtschaftliche Geschäftsmodelle, unter dem bewussten Rückbau von ArbeitnehmerInnenrechten, bedeuten auch einen gesellschafts- und sozialpolitischen Rückschritt. Denn wie schon in einer meiner letzten Kolumnen über den Sozialstaat beschrieben, müssen Arbeit und soziale Absicherung gemeinsam gedacht werden.

Von der Entgrenzung der Arbeit bis zur Arbeit auf Abruf

Ein weiterer Faktor ist, dass die Arbeitswelt neben einer ungeheuren Beschleunigung auch einer starken Verdichtung unterliegt. Es muss mehr in kürzerer Zeit gearbeitet werden, und das bei einer im Vergleich ohnehin langen Arbeitszeit. Begleitet durch ein immer diffuseres Verständnis der Grenze von Arbeit und Freizeit. Es mag zwar für manch formal gut Ausgebildete ein angenehmer Vorteil sein, jederzeit und überall arbeiten zu können, aber das Risiko zur Selbstausbeutung und Überforderung steigt dabei massiv. Mobile und neue Formen des digitalen Arbeitens brauchen jedenfalls Regeln über zeitliche Verfügbarkeit und Gesundheitsschutz. Arbeitsbedingungen müssen so gestaltet werden, dass alle Möglichkeiten, die autonomes, selbstbestimmtes und gesundes Arbeiten erhöhen, gestärkt und ausgeweitet werden.

Das Maximum an „flexibler Arbeitszeit“, so genannte „Null-Stunden-Verträge“ – oder Arbeit auf Abruf – wie sie in anderen Ländern bereits an der Tagesordnung stehen, sind das absolute Gegenteil von Selbstbestimmtheit. Arbeitende sind durch sie dazu gezwungen, ständig zur Verfügung zu stehen und auf Arbeit zu warten, werden aber nur für die Zeit bezahlt, in der sie arbeiten. Während sie warten, verdienen sie nichts. So müssen sie in ständiger Unsicherheit leben, ohne zu wissen, ob sie morgen wieder Arbeit bekommen werden und wieviel Geld sie sich im Laufe der Woche erarbeiten können.

Ähnlich ergeht es in Österreich vielen der „Ich AGs“, den Neuen Selbstständigen oder Ein-Personen-Unternehmen. Hier werden wir nicht daran vorbeikommen, den ArbeitnehmerInnen-Begriff neu zu definieren. Die Grenze muss zwischen jenen verlaufen, die tatsächlich wirtschaftlich abhängig sind, ohne jeden freien Gestaltungsraum für sich selbst, und denen, die freiwillig gewählten Tätigkeiten im Rahmen ihrer eigenen Interessen und Zeitvorstellungen nachgehen. Für Erstere muss die arbeits- und sozialrechtliche Absicherung auch auf diese neuen Beschäftigungsverhältnisse erweitert und Beschäftigungsbedingungen eingefordert werden, die ein sicheres Arbeiten ermöglichen.

Technologie muss im Dienste des Menschen stehen und nicht umgekehrt

Die Digitalisierung im Sinne der betrieblichen Nutzbarmachung des technologischen Fortschritts ist also eine große Chance für Beschäftigte und die Gesellschaft insgesamt. Mehr denn je muss jedoch beim Ausgleich der Interessen sensibel darauf geachtet werden, dass daraus resultierende Anpassungen in den Abläufen nicht zu Lasten der Arbeitenden gehen.

Das betrifft den Datenschutz gleichermaßen wie neue Arbeitszeitmodelle oder die Frage der Beteiligung an unternehmerischer Wertschöpfung. Der technologische Fortschritt birgt das Potenzial, Aufgaben gerechter und gleichmäßiger zu verteilen. Gleichzeitig besteht aber auch die Gefahr, dass der Konkurrenzdruck steigt und formal gering Qualifizierte aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden.

Dem gilt es vorzubeugen – die Digitalisierung muss daher von uns offensiv gestaltet werden. Wo Automatisierung und stärkere Vernetzung von Computersystemen betriebliche Prozesse bei gleichbleibenden oder steigenden Profiten obsolet machen, werden etwa auch Räume zur Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohn- und Personalausgleich geschaffen.

Unser Ziel muss sein, dass wir den technologischen Fortschritt dem Zwecke zuführen, den er schon immer hatte: Uns dabei zu unterstützen, unser Leben einfacher, gesünder und selbstbestimmter zu führen. Dann und nur dann ist es auch eine Errungenschaft. Gerade jetzt gilt es sich dafür zu organisieren.

 

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1627 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1627 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 431 Stimme
    15% aller Stimmen 15%
    431 Stimme - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 346 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    346 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 254 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    254 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 132 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    132 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2790
12. März 2024
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