Wie steht Österreichs Wirtschaft nach zehn Jahren sozialdemokratisch geführter Regierung da? Darüber wird es in den kommenden Monaten viele Diskussionen geben. Die neoliberale Phalanx aus Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, Agenda Austria und den Wirtschaftsredakteuren etlicher Medien wird ein trübes Bild zeichnen. Um die sozialen und ökologischen Probleme von Wohnungsmangel bis zur wenig nachhaltigen Ressourcennutzung wird es ihnen nicht gehen. Nein, sie werden sich darauf konzentrieren zu behaupten dass Österreich nicht wettbewerbsfähig ist. Und das hört sich so an:
„Wirtschaftsstandort Österreich im freien Fall“
(Agenda Austria, 27. Mai 2015)
„Österreich rutscht im internationalen Wettbewerbsvergleich ab“
(Industriellenvereinigung, 30. September 2014)
„Wirtschaftsstandort Österreich bei Wettbewerbsfähigkeit in Abwärtsspirale?“ (Wirtschaftskammer, 30. Mai 2013)
Die Mahner stützen sich auf Rankings, laut denen Österreich angeblich mit der Wettbewerbsfähigkeit hadert. Ihre Aussagekraft muss jedoch stark angezweifelt werden wie hier und hier eindrücklich dargelegt wird.
Wetteweberbsfähigkeit ist einer der am häufigst verwendeten politischen Begriffe. Trotzdem ist nicht ganz klar, was Wettbewerbsfähigkeit überhaupt bedeutet.
So hat Reinhold Mitterlehner bei seinem Abschied als Vizekanzler versichert, dass es ihm ein Anliegen gewesen sei „Österreich in der Wettbewerbsfähigkeit nach vorne zu bringen“. Die Frage ist nur, was meint er damit?
Alleine die EU-Kommission verwendet drei verschiedene Definitionen für Wettbewerbsfähigkeit:
Über jede einzelne Definition lässt sich streiten. Wieso soll der Absatz auf den Weltmärkten per se besser sein als auf dem heimischen Markt? Große Volkswirtschaften wie die USA exportierten nur rund zehn Prozent ihrer gesamten Produktion, sind aber pro Kopf deutlich reicher als viele typische Exportnationen. Auch die Definition von Wettbewerbsfähigkeit als Lebensstandard ist strittig. Für diesen gibt es nämlich schon bewährte Maße wie z.B. die Produktivität. Oder wie Starökonom Paul Krugman es ausdrückt: „Competitiveness would turn out to be a funny way of saying productivity.“ Da ist die Definition vom Lebensstandard bei ausgeglichenem Außenhandel schon eher sinnvoll. Die Krux damit ist nur, dass die meisten Leute mit Wettbewerbsfähigkeit genau das nicht meinen. Österreich müsste demgemäß nämlich die bestehenden Überschüsse im Außenhandel abbauen.
Zerbrechen wir uns nicht weiter den Kopf über die Sinnhaftigkeit der Definitionen, sondern klopfen wir einfach einmal ab: Wie steht Österreich gemäß jeder einzelnen Definition da? Die Einführung des Euro im Jahr 1999 hat für das Thema Wettbewerbsfähigkeit große Veränderungen mit sich gebracht.1 Aus diesem Grund ist es vernünftig, sich die Entwicklung seit damals anzusehen. Die alten EU-Mitgliedsstaaten eignen sich für einen Vergleich besser als die neuen, weil erstere schon 1999 ein relativ hohes Wohlstandsniveau aufwiesen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, auch die Schweiz und Norwegen zu berücksichtigen. Mit diesen beiden sowie den alten EU-15 haben wir insgesamt 17 vergleichbare Staaten.
Beginnen wir also mit Definition 1:
Wir sehen, dass Österreich bei der Exportentwicklung eine solide Position einnimmt. Bereinigt man die Liste um Irland und Luxemburg, die auf Grund von Besonderheiten 2 schwer mit den anderen EU-Staaten vergleichbar sind, dann liegt Österreichs Exportentwicklung im oberen Drittel. 3 Gemäß Definition 1 der EU-Kommission ist Österreich also wettbewerbsfähig.
Kommen wir zur zweiten Definition:
Hier handelt es sich um zwei Unterfragen. Für die erste Frage ist der gängiste Vergleichsmaßstab die Kaufkraft pro Kopf. Um also zu sehen, wie reich unsere Volkswirtschaft ist, betrachten wir unsere 17 Staaten im Jahr 2016:
Auch beim Wohlstandsniveau belegt Österreich eine solide Position. Sieht man von den statistischen Sonderfällen Luxemburg und Irland wiederum ab, liegt Österreich ganz nahe an der Spitzengruppe. Innerhalb der EU gehört es zur Spitzengruppe.
Jetzt stellt sich die zweite Unterfrage, nämlich ob der Lebensstandard „auf Pump“ basiert, also auf Importen, oder ob die Menschen in Österreich selbst so viel produzieren, wie sie verbrauchen. Um uns ein Bild über die aktuelle Lage zu machen betrachten wir dazu den Saldo aus Exporten und Importen seit 1960. Übersteigen die Exporte die Importe war die Bilanz im Außenhandel in diesem Jahr positiv, im umgekehrten Fall negativ. Jährliche Schwankungen sind egal, wichtig ist: Wenn eine Volkswirtschaft mittelfristig genauso viel ausführt, wie sie einführt, ist der Wohlstand nicht auf Sand gebaut.
Die Grafik zeigt, wie sich die Bilanz im Außenhandel seit 1960 entwickelt hat. Herausragend ist die Dynamik seit der Einführung des Euro 1999, seit damals ist die Bilanz positiv. Das Land führt also jährlich mehr aus als es ein einführt: Seit 17 Jahren konsumieren die Menschen weniger, als sie erwirtschaften. Die ÖsterreicherInnen leben nicht über, sondern unter ihren Verhältnissen. 4 Das aktuell hohe Wohlstandsniveau (BIP/Kopf) könnte sogar höher sein, wenn der Außenhandel ausgeglichen wäre. Gemäß Definition 2 der EU-Kommission könnte Österreich sogar mehr importieren und wäre immer noch wettbewerbsfähig. Kommen wir zur letzten Frage.
Zuvor haben wir den Lebensstandard als Kaufkraft pro Kopf verwendet und gesehen, dass man schon in der Schweiz leben muss, um es besser zu haben als in Österreich. Es ist jedoch ein Unterschied, ob man für diesen Lebensstandard 38 Wochenstunden mit 25 Tagen Urlaub oder, wie oftmals in den USA, 50 Wochenstunden mit zehn Tagen Urlaub arbeiten muss. Je höher das technologische Niveau einer Gesellschaft, je besser ausgebildet die Menschen und je entwickelter die Infrastruktur, desto höher ist die Wirtschaftsleistung pro Arbeitsstunde. Der Fachbegriff dafür ist Produktivität. Paul Krugman sagt Produktivität ist nicht alles, aber auf lange Sicht fast alles. Wäre Österreich abgesandelt, müsste es eine schlechte Entwicklung der Produktivität aufweisen. Werfen wir einen Blick auf die Dynamik der Produktivität in unseren 17 Vergleichsländern seit Einführung des Euro.
Bei der Entwicklung der Produktivität liegt Österreich im absoluten Spitzenfeld. Berücksichtigt man Irland aus den genannten Gründen nicht, weist Österreich seit 1999 die zweitstärkste Entwicklung der Produktivität in der EU nach Schweden auf und die stärkste Entwicklung innerhalb der Eurozone.
Die österreichische Volkswirtschaft hat durchaus reale Probleme, vor allem die relativ hohe Arbeitslosigkeit. Ein Blick auf die Daten zeigt jedoch, dass ein Mangel an Wettbewerbsfähigkeit nicht die Ursache dafür sein kann, auch wenn viele Medien diese Geschichte erzählen. 5 Wir haben gesehen, dass in Bezug auf alle drei Definitionen der EU-Kommission die Fundamentaldaten in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit solide bis ausgezeichnet sind. 6 Die österreichische Volkswirtschaft ist nicht abgesandelt, sondern kerngesund. Zehn Jahre Wirtschaftspolitik unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung bedeutet keineswegs, dass alles eitle Wonne ist, aber die Volkswirtschaft hat sich in diesem Zeitraum prinzipiell gut entwickelt. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme liegen anderswo, der Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit ist eine Themenverfehlung.
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