Die Parlamentswahlen am 4. März brachten zumindest zwei Überraschungen: Die Fünf-Sterne-Bewegung wurde stärkste Kraft, und innerhalb des Mitte-rechts-Bündnisses war es die rechtsextreme Lega, die Berlusconis Forza Italia überholte. Die Ergebnisse sind regional sehr unterschiedlich: Im Norden war das Mitte-rechts-Bündnis äußerst stark, in ihren Kerngebieten kam die Lega auf bis zu 38 Prozent. Im Süden hat die 5-Sterne-Bewegung stark zugelegt und liegt in Sizilien bei fast 50 Prozent. Die Forza Italia und die Demokratische Partei konnten eigentlich nur in den Zentren der großen Städte punkten. Das hat vor allem soziale Gründe.
Der größte Gewinner der Wahlen ist der Movimento 5 Stelle unter Luigi Di Maio. Die Bewegung trat ohne Verbündete an und errang 32,7 % der Stimmen und nach derzeitigem Stand 227 Abgeordnetensitze (noch gibt es keine endgültigen Ergebnisse). Das bedeutet ein Plus von über 7 % gegenüber den Wahlen von 2013. Ähnlich das Ergebnis der Bewegung bei den gleichzeitigen Wahlen zum Senat, der zweiten Parlamentskammer. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist bei den Wahlen für beide Kammern eindeutig die stärkste Einzelpartei, weit vor dem Partito Democratico und der Lega.
Dass die Mitte-rechts-Koalition als stärkste Listenverbindung aus den Wahlen hervorgegangen ist, war zu erwarten. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhielt sie insgesamt 37,0 % der Stimmen bzw. wahrscheinlich 265 von 630 Sitzen. Von einer absoluten Mehrheit in der ersten Parlamentskammer ist sie damit weit entfernt. Überraschend war nur, dass nicht Forza Italia von Silvio Berlusconi die führende Kraft innerhalb des Bündnisses ist, sondern die fremdenfeindliche Lega. Unter ihrem Chef Matteo Salvini hat sie 17,4 % erreicht – das ist ein Gewinn von über 13 % gegenüber 2013. Forza Italia verlor dagegen über 7 % und liegt bei lediglich 14 %.
Eine klare Niederlage setzte es für den regierenden Partito Democratico (PD) unter der Führung des ehemaligen Regierungschefs Matteo Renzi sowie für die italienische Linke insgesamt. Der PD konnte nur mehr 18,7 % der WählerInnen für sich gewinnen, was gegenüber 2013 einen Verlust von 6,7 Prozent bedeutet. Laut IPSOS-Analysen konnten der PD nur 43 % seiner WählerInnen halten: Mehr als ein Fünftel blieb zu Hause, etwa 15 % wählten diesmal die Fünf-Sterne-Bewegung.
Die Mitte-links-Allianz, der insgesamt sechs Parteien angehören, darunter die Südtiroler Volkspartei, erhielt 22,9 Prozent der Stimmen und damit vermutlich 122 Sitze im Abgeordnetenhaus.
Landesweit lag die Mitte-links-Koalition nur in zwei Regionen in Führung: In Trentino-Südtirol sowie der Toskana. Ernüchternd sieht die Bilanz auch in den 232 Einerwahlkreisen des Landes aus: Nur 28 davon konnte die Koalition unter der Führung des PD erobern. Sie befinden sich in der Emilia Romagna, der Toskana, in Südtirol sowie den großen Städten Rom, Mailand und Turin.
Wie schmerzhaft die Niederlage des Partito Democratico ausfiel, zeigt sich besonders in einer der bisherigen Hochburgen der Linken: In der „roten“ Emilia Romagna. Vor zehn Jahren konnte die Linke dort noch über 50 % der Stimmen erreichen, diesmal kam das Mitte-links-Bündnis nur mehr auf 30,8 %. Der PD errang 26,4 % davon. Stärkste Einzelpartei wurde auch hier die Fünf-Sterne-Bewegung (27,5 %), stärkste Listenverbindung die Mitte-rechts-Koalition mit 33 %.
Der Norden des Landes ist bis auf die genannten Ausnahmen in der Hand der Rechtsparteien, insbesondere der Lega. Die Mitte-rechts-Koalition gewann in der Lombardei fast 47 % der Stimmen, ähnlich war das Ergebnis in Venezien. In diesen Regionen kam die Lega im landesweiten Vergleich auf ihre besten Resultate: Im Veneto waren es 32 %, in der Lombardei 28 % und in Friaul-Julisch Venetien fast 26 %.
In den südlichen Landesteilen konnte die Lega dagegen weniger punkten. Im Latium waren es noch über 13 %, in Kampanien und Sizilien etwa 5 %. Im Süden ist die Fünf-Sterne-Bewegung eindeutig die stärkste Kraft. In Sizilien und Kampanien näherte sie sich der 50 %-Marke, in Apulien immerhin der 45 %-Marke. Noch besser waren die Resultate in manchen Städten: Die NeapolitanerInnen wählten zu fast 53 % die Fünf Sterne, in Syrakus waren es gar 56 %.
Die Verluste des Partito Democratico und die saftigen Gewinne für die Fünf-Sterne-Bewegung sowie die fremdenfeindliche Lega haben verschiedene Gründe:
Die Arbeitslosenrate liegt mit über 11 % immer noch weit über dem Stand vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise (2007: 6,1 %). Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 30 % und ist damit die dritthöchste in der EU. Das durchschnittliche Einkommen der Italiener liegt heute wieder da, wo es schon vor 20 Jahren war. Das Wirtschaftswachstum ist seit Jahren schwach, 2017 lag es bei geschätzt 1,5 % (Österreich: 3,1 %). Zwei Jahrzehnte von Stagnation und Verschlechterung haben Spuren hinterlassen: Die Italiener vertrauen nicht mehr darauf, dass es ihnen bald wieder besser gehen wird.
Sie trauen den traditionellen politischen Parteien nicht zu, effizient zu arbeiten. Das schadete der führenden Regierungspartei am meisten.
Die wirtschaftliche Lage und damit verbundene Abstiegsängste der Bevölkerung sowie die steigende Kriminalität befeuerten die Ressentiments gegenüber MigrantInnen zusätzlich. Dass über 20 % der ItalienerInnen zumindest gewisses Verständnis für die Schüsse eines Faschisten auf sechs MigrantInnen Anfang Februar in Macerata äußerten, ist bezeichnend.
Da keine Partei und auch kein Bündnis über eine Mehrheit in den beiden Parlamentskammern verfügen, ist eine Koalition unausweichlich. Als wahrscheinlichste Variante gilt derzeit eine Koalition zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und dem Partito Democratico. Der scheidende Parteichef Renzi möchte aber genau das verhindern, während etliche andere prominente PD-ExponentInnen für Verhandlungen mit Di Maios Bewegung eintreten.
Dr. Gerhard Marchl ist Experte für Europäische Politik im Renner-Institut
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