Die Regierung will Kindern im Ausland die Familienbeihilfe kürzen. Denn in den Nachbarländern sei das Leben billiger. Betroffen sind vor allem 24h-PflegerInnen. Ihre Einkommen sind klein, die Familienbeihilfe ist für sie eine Lohn-Subvention. Mit den Kürzungen wird ihr monatliches Einkommen um bis zu 20 Prozent gekürzt. Jede 3. Pflegerin will dann aufhören, in Österreich zu arbeiten. Das zeigt eine aktuelle Umfrage. Es droht ein Pflegenotstand: Über 10.000 Pflegebedürftige könnten ihre Pflegerin verlieren.
Daiana ist 35 und kommt aus Rumänien. Sie hat zwei Kinder: Raoul ist 5, Sabina 3 Jahre alt. Alle zwei Wochen fährt die nach Wien und pflegt dort zwei Wochen lang den 91-Jährigen Josef. Dafür bekommt sie 980 Euro und ist scheinselbstständig. Den Großteil dessen, was Josef bezahlt, bekommt die Agentur, die sie vermittelt. 14 Tage lang bleibt sie 24 Stunden täglich bei Josef. Sie wäscht ihn, füttert ihn, fährt ihn spazieren. Die An- und Abreise dauert rund 18 Stunden mit Zug und Bus. Für ihre beiden Kinder bekommt sie jetzt monatlich 258 Euro Familienbeihilfe. Dazu kommen noch je 58,40 Euro Kinderabsetzbetrag. Nach den geplanten Kürzungen sind es nur mehr 124 Euro Familienbeihilfe und 56 Euro Absetzbetrag. Beide Beträge werden künftig für rumänische Pflegerinnen um den Faktor 0,48 reduziert. Das vermindert ihr Monats-Einkommen um 14 Prozent: Von 1.355 auf 1.161 Euro.
Vanja ist 28 und kommt aus Bulgarien. Ihr Sohn Petko lebt bei ihrem Ehemann in Plewen, es ist 1 Jahr alt. In Wien pflegt sie Leopoldine im Zwei-Wochen-Takt für nicht einmal 1.000 Euro. Mit Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag kommt sie zumindest auf eine Einkommen von 1.178 Euro – für eine 70-Stundenwoche. Ab Jänner 2019 muss sie mit 1.095 Euro auskommen.
Bianka ist 44 und hat drei Kinder in Ungarn: Kristóf ist 10, Zoltan 7 und Dóra 3 Jahre alt. Derzeit bekommt sie 437 Euro pro Monat für ihre Kinder. Dazu den Kinderabsetzbetrag von 175 Euro. Nach der Kürzung durch ÖVP und FPÖ bleiben ihr nur mehr 342 Euro für alle drei Kinder übrig. Bei einem Lohn von 920 Euro bedeutet das einen Einkommensverlust von 18 Prozent.
Jetzt wurden Pflegerinnen gefragt, was sie tun werden, wenn ihre Familienbeihilfe gekürzt wird. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte von ihnen wird aufhören, in Österreich pflegebedürftige Menschen zu betreuen. Ein knappes Drittel muss künftig mehr für ihre Dienste verlangen.
- Jede 3. 24-Stunden-Pflegerin aus dem Ausland wird die Arbeit in Österreich beenden.
- 26 Prozent der Pflegerinnen müssen mehr Geld verlangen.
Die Kürzung der Familienbeihilfe trifft eine Branche ins Herz, die große Teile der 24-Stunden-Pflege in Österreich übernimmt. Und sie treffen damit nicht nur die PflegerInnen, sondern auch die betreuten Personen. Wird die Familienbeihilfe für PflegerInnen gekürzt, müssen 80 Prozent der betroffenen betreuten Personen Auswirkungen in Kauf nehmen. Entweder kommt ihnen die Pflegekraft abhanden – oder die Pflege wird spürbar teurer.
In Österreich arbeiten aktuell etwa 65.000 24h-PflegerInnen. Fast alle von ihnen kommen aus Nachbarländern – und es sind vor allem Frauen. Etwa jede dritte Pflegekraft bezieht für ihre Kinder Familienbeihilfe. Die Kinder können nicht in Österreich leben. Die PflegerInnen wohnen während ihrer Arbeit meist direkt bei den betreuten Personen und haben keine eigene Wohnmöglichkeit.
Wenn – wie die Umfrage zeigt – jede zweite Pflegekraft die Arbeit in Österreich beendet, würden über 10.000 Pflegebedürftige ihre Pflegerin bzw. ihren Pfleger verlieren.
Die Turnus-Arbeit (z.B. zwei Wochen Dienst – zwei Wochen Pause) ermöglicht es den PflegerInnen aber, ihre Beziehung zu den im Heimatland lebenden Kindern aufrechtzuerhalten – trotz häufiger Abwesenheit. Für die Zeit der Abwesenheit müssen PflegerInnen aber Kinderbetreuung organisieren. Kümmert sich ein Vater um die Kinder, kann er keinen Vollzeit-Job annehmen – weil die Mutter fast die Hälfte der Zeit nicht da ist. Das bedeutet abermals einen Verdienstverlust.
Die Familienbeihilfe als eine Art Lohnsubvention für sehr schlecht bezahlte Pflegerinnen ist nicht ohne Alternativen. Zweifellos gibt es bessere Varianten: Höhere Grundlöhne der PflegerInnen könnten etwa durch einen aufgestockten Pflegefonds und höheres Pflegegeld finanziert werden – ohne die Pflegebedürftigen finanziell zu belasten. Doch dazu liegen keine Pläne am Tisch.
114 Millionen Euro versprechen sich ÖVP und FPÖ von der sogenannten „Indexierung“, also der Kürzung der Familienbeihilfe. Zum Vergleich: 66 Millionen beträgt das „Sonderbudget“ von Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache für PR. Weitere 46 Millionen kostet der ÖVP-Freundschafts-Deal, mit dem das Umweltbundesamt von Wien nach Klosterneuburg übersiedeln soll – zum Nachteil der dort Beschäftigten. Und entstehen erhebliche Kosten, die für die Administration des Systems draufgehen.
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Die Umfrage unter den PflegerInnen hat die Organisation „AIW – Altern in Würde“ durchgeführt. Mehr als 1.400 Antworten wurden ausgewertet und hochgerechnet.
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