Der Kult-Schauspieler Karl Merkatz ist am 4. Dezmeber 2022 im Alter von 92 Jahren gestorben. Bekannt wurde er vor allem als Mundl in der Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“. In Memoriam hat Kontrast das letzte Interview, das wir mit ihm führen durften, erneut veröffentlicht. (Aus dem Archiv vom 19. August 2021).
Der Hof, den Karl Merkatz mit seiner Frau Martha Metz und den beiden erwachsenen Töchtern bewohnt, liegt am Ende eines kleinen Ortes am Waldrand und ist von außen kaum einsehbar. Die österreichische Schauspiellegende lebt zurückgezogen in Irrsdorf bei Straßwalchen in Salzburg. Im Sommer 2021 rückt ein Tross Lokalmedien an, nachdem Merkatz die Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Straßwalchen zuteil wird.
Karl Merkatz: Es sind im Prinzip immer die Verantwortlichen, die die Preise verleihen. Und die freuen sich, wenn sie einen neuen Preis anbringen. Es ehrt einen natürlich jeder Preis, auch wenn der schönste für mich die Auszeichnung in Kanada war. (Merkatz bekam 2012 den Preis als bester Schauspieler beim World Film Festival in Montreal für Gerhard Ertls Drama Anfang 80, Anm.) Man muss diese Auszeichnungen ehren und ich ehre auch die Verantwortlichen. Aber ich bewahre die Preise im Schrank auf.
Karl Merkatz: Ich bin auch zufrieden. Wir haben ein sehr gutes Familienverhältnis. Ich lebe hier mit meiner Familie, die Töchter leben gleich nebenan. Zufrieden sind wir alle, auch wenn es viel Arbeit bedeutet. Eine meiner Töchter kümmert sich um die Tiere am Hof, die Schafe, Hühner und Pferde, da kommt schon einiges an Arbeit zusammen. Früher war das meine Aufgabe, durch das Alter bin ich da aber hinausgerutscht und die Tochter hat das übernommen.
Die Familie ist das Wichtigste für ein zufriedenes Leben. Ohne die Familie geht nichts. Sie ist der Rückhalt, den man braucht. Das Leben geht nicht so wunderbar, wie es oft scheint. Die Familie ist der Ort, wo man sich offen äußern kann. Es sind die Menschen, die einem absolut zuhören und ehrlich ihre Meinung austauschen. Das macht uns zufrieden.
Karl Merkatz: Ja? So genau weiß ich das gar nicht!
Karl Merkatz: Auf jeden Fall! Wir Menschen sind mal gut, mal schlecht gelaunt. Aber ohne den Rückhalt, den wir einander geben, wären wir nicht solange zusammen geblieben.
Karl Merkatz: Als ich das Buch für den „Echten Wiener“ 1966 bekam, war ich nicht sehr glücklich, weil der „echte Wiener“ sehr aggressiv zu seiner Familie war. Wir sind selber Familienmenschen. Die Familie ist für uns – und auch für den „Mundl“ – das Wesentlichste. Wenn wir diese Änderung nicht vorgenommen hätten, wenn er so brutal geworden wäre wie in der Vorlage, hätte die Geschichte nicht funktioniert. Die Familie trägt jede einzelne Folge der Serie.
Ohne die wunderbare Rolle der Toni Sackbauer, ohne Ingrid Burkhard, wäre diese Serie nichts geworden. Auch die anderen Kolleginnen und Kollegen hatten Bedenken und Sorgen, die wir miteinander besprachen. Und so wurde das ein gutes Zusammenarbeiten während der Dreharbeiten. Wir waren zufrieden und sind heute noch befreundet.
Das war übrigens die erste Serie im ORF, die unabsichtlich entstanden ist. Es hätte ein Zweiteiler zu Ernst Hinterbergers Das Salz der Erde werden sollen, war dann aber so beliebt, dass wir weitergemacht haben. Der erste Abend war für den ORF niederbrechend, weil da tausende Anrufe kamen, und niemand wusste, weshalb. Da waren links und rechts Lob und Kritik dabei.
Ich wollte eigentlich nach den ersten zwölf Folgen aufhören, aber da hingen ja auch die Kollegen dran, die auch Arbeit brauchten. Nach langen Gesprächen mit dem neuen ORF-Intendanten sind dann 24 Folgen herausgekommen.
Karl Merkatz: Eine Notwendigkeit, so etwas zu spielen! Man hat auch den Arbeiter zu bedienen, nicht nur das „bessere Volk“. Die Bürohengste, die kommen von selber. Man arbeitet schon darauf hin, dass man eine Aussage vermittelt! Die Notwendigkeit ist ja, das, was man als Schauspieler liest, auch zu vermitteln. Ich lese zum Beispiel gerade Tyll von Daniel Kehlmann. Das ist natürlich Vergangenheit, aber die menschlichen Leiden, die kommen alle darin vor. So ist das Leben: Man leidet, man ist froh, man ist glücklich, heiter, traurig. Das ist unser Leben, das sich in den Werken findet. Und das muss man als Schauspieler finden und weitergeben.
Karl Merkatz: Ja was soll man denn eitel sein für die Kunst? Man versucht immer, etwas nachzueifern. Aber da ist ein Können dazwischen. Als wir in Moskau gelebt haben, waren wir viel in den Museen – meine Frau ist eine große Museen-Gängerin – und die sind übervoll mit Werken, die wir heute gar nicht mehr kennen. Was bin ich denn schon? Bin ich ein Künstler? Es ist wie in der Tischlerei: Wenn der Hobel nicht scharf ist, schneidet er nicht. Genauso müssen wir erarbeiten, was wir zum Ausdruck bringen wollen. Das ist eine reine Arbeit, da ist man kein Künstler. Schauen Sie sich einen richtigen Tischlermeister an! Der ist ein Künstler, wenn der Schrank wunderbar da steht. Was man mit Hingabe macht, ist wichtig, egal, was man macht.
Karl Merkatz: Ja sicher! Das ist eine Pflicht für Schauspieler, dass man nicht aufhören kann.
Karl Merkatz: Ich konnte nicht. Ich hab ja ganz vergessen, dass es überhaupt sowas wie Pension oder Rente oder wie das heißt, gibt. Als die ersten Zahlungen auf mein Konto gekommen sind, hab ich gesagt: „Was ist denn das für ein Geld?“ Meine Frau hat mich dann aufgeklärt, dass das die Pension ist.
Ich habe lange so schöne Sachen gespielt, wie Anfang 80 mit Christine Ostermayer und Erni Mangold. Aber ich habe in all den Jahren sehr schöne Rollen gespielt, die schönsten am Theater. Der Mann von la Mancha, Anatevka und so weiter. Ich kann mich aber nicht mehr an die einzelnen Stücke erinnern. Das ist die Vergangenheit. Das Alter lässt das verschwinden, so ist das.
Den Mann von la Mancha habe ich besonders gerne gespielt. Den habe ich wirklich empfunden. Das muss man ja, das gilt auch für die kleinen Rollen. Aber bei so großen Rollen bin ich für meine Frau tagelang nicht ansprechbar. Da werde ich diese andere Figur. Das sind seelische Momente, die ein Autor geschrieben hat, die man aufnimmt und nur empfindet. Da muss man tief hineingehen, dann kann man sie auch spielen.
Karl Merkatz: Ja, beim Bockerer kamen meine effektiven Erinnerungen aus der Zeit zutage, ohne dass ich darüber nachgedacht habe. Plötzlich war es da. Meine Frau und ich haben heute noch eine schöne Nummer: Sie sagt immer: „Rechts ist meine Hand ein bissl krank, links kann i’s scho mochn!“ Das war auch notwendig an diesem Stück, dass es einen gewissen Charme hat – zusätzlich zu der Grundaussage, die ich sehr mitempfunden habe.
Karl Merkatz: Ja, weil die Dinge ja auf einen zukommen. Die Politik heutzutage ist vielleicht eine geschäftliche Anlage. Unter Hitler, in den Dreißiger-Jahren und davor, war man einfach arm, hatte nichts. Der Krieg war seit 1918 zu Ende, in den Zwanziger-Jahren musste man neu beginnen und alles wieder aufbauen. Da war, glaube ich, Hitler für viele die Zukunft. Welche Art von Zukunft das war, hat man aber erst gesehen, als sie da war – und da war es dann zu spät. Die Leute haben gejubelt, bis sie die Erkenntnis erlangten.
Ich wohnte am Stadtrand von Wiener Neustadt, mit 16 Jahren. 1945/46 war ich in der Tischler-Lehre. Mein täglicher Weg führte bei den Raxwerken* vorbei. Die Frauen dort taten mir sehr leid. Sie baten immer um etwas, ein Stück Brot und so weiter. Ich habe ihnen manchmal mein Pausenbrot hineingegeben. Diese Frauen waren dann weg. Wir haben erst später erfahren, was da wirklich passiert ist. Da war es schon zu spät, leider.
*Die sogenannten Raxwerke waren ein Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen. Hier wurden 1942-43 von KZ-Häftlingen Raketen gefertigt, Anm.
Karl Merkatz: Ich habe als Kind schon die Jugendvorstellungen im Kino am Sonntag geliebt. Hans Moser, Charlie Chaplin! Mit meinem besten Freund habe ich die Filme gesehen und ich hatte das Verlangen, etwas Ähnliches zu machen. Also haben wir zuerst Kasperltheater und später Laientheater im Keller einer Kirche gespielt. Nach 1945/46 hatten wir damit viel Erfolg – zuerst bei den Kirchenweibern, den älteren Damen, die beim Stück über den „verlorenen Sohn“ sehr geweint haben. Da haben wir gleich zueinander gesagt: „Spielen wir’s gleich nochmal?“
Mein Freund war talentierter als ich, er hat dann bei den Pfadfindern die Hauptrollen bekommen. Ich hab halt mitgespielt. Aber ab da war das Verlangen geweckt, Schauspieler zu werden. Meine Eltern waren dagegen, meine Mutter sagte: „Schauspielerei ist ein Hungerleider-Beruf. Du musst was Handfestes lernen.“ Das habe ich befolgt und bin Tischler geworden. Den Tischler bei uns gegenüber kannte ich, weil ich bei ihm immer das Holz für das Kasperltheater geholt habe. Am 2. Januar 1946 kam ich zu ihm in die Lehre, habe drei Jahre gelernt, war drei Jahre arbeitslos und bin dann in die Schweiz gegangen. Da hatte ich Arbeit als Lieferant für einen Bäcker, bin aber nach drei Monaten ausgewiesen worden, weil das Visum ausgelaufen ist.
Sehr bald darauf begann ich das Mozarteum, und da fing die Schauspielerei so richtig an. Bei meinem ersten Engagement nach der Schauspielschule habe ich eine Frau kennengelernt, die ständig ins Theater lief. Wir sind bis heute verheiratet.
Karl Merkatz: Das Volkstheater hat ja die Vorgabe, für das Volk da zu sein. Das Akademietheater kam aus der Burg heraus, die Josefstadt ein Vorstadttheater. So hatte man die Aufgabe, das Volk zu lehren. Das, was die Autoren schrieben, ging schon durch die Dramaturgie ins Publikum über.
Karl Merkatz: Ja, das tut mir bis heute leid, dass ich nie Brecht gespielt habe! In meinen Adern fließt immer noch Brecht, aber dafür ist es jetzt zu spät.
Es gibt zwei Autoren, die mich seit meiner Studienzeit begleiten: Franz Kafka und François Villon. Man muss verstehen, wie Kafka gelebt hat und wie schnell er gestorben ist. Auch Villon: Er hat sich gegen die Gewalt und die Missstände der Gesellschaft gewehrt und diese angegriffen. Das ist heute noch notwendig.
Karl Merkatz: Ja, als ich damals gefragt wurde, habe ich gleich gesagt, „Natürlich mache ich mit!“ Ich lasse mich auch heute noch darüber auf dem Laufenden halten, was die Initiative macht. Dieses Engagement ist wichtig und gut.
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