Viele Mütter erleben in Österreich ähnliches: Das Kind weint, braucht eine Windel – und erntet böse Blicke, Belehrungen von Fremden. Die Mütter werden kritisiert – wenn nicht sogar attackiert. Wenn wir als Gesellschaft bestehen wollen, müssen auch kleine Kinder einen Platz im öffentlichen Raum bekommen. Denn der ist zu selten an ihre Bedürfnisse angepasst.
Unlängst, an einem besonders heißen Tag, wollte ich in einer Bäckerei eine Flasche Wasser für meinen zweieinhalbjährigen Sohn kaufen. Er hatte so großen Durst, dass er geschrien hat. Während ich darauf wartete, bedient zu werden, ernteten mein Sohn und ich böse Blicke, begleitet von Augenrollen. Niemand hatte uns Hilfe angeboten oder mich gefragt, ob alles in Ordnung ist.
Mir wurde mitgeteilt, von dem Geschrei meines kleinen Sohnes bekäme man Kopfweh, ich soll gehen und das Geschäft verlassen.
Ich war schockiert, stand auf der Straße und kämpfte mit einer Mischung aus Wut und Entsetzen mit den Tränen.
Vier Tage später landet das Foto einer Mutter in der Zeitung. Sie wechselt ihrem Baby in einem Zug die Windeln. Die Schlagzeile: „Pendler flüchten, weil Mutter Kind im Zug wickelt“. Jemand hatte sie ohne ihr Wissen und Zustimmung – mit dem Baby – fotografiert und das Foto samt Beschwerde an eine Zeitung geschickt. Der Zug sei voller PendlerInnen gewesen und der selbsterklärte Leserreporter empörte sich: „Sie blockierte eine Viertelstunde lang alle vier Sitze mit ihrem Zeugs. Wie viel Verständnis muss man als Mitfahrer dafür aufbringen?“. Er hielt es allerdings nicht für notwendig, die Frau direkt anzusprechen oder sie zu fragen ob er ihr helfen könnte.
Strenge Blicke und Menschen, die verärgert den Kopf schütteln, wenn Mütter ihren Kinderwagen in die Straßenbahn hieven. Jugendliche und Männer im besten Alter drängen sich vor, nur damit sie noch vor Müttern und Kindern in den Lift steigen können. Beides ist Alltag im öffentlichen Verkehr.
All diese kleinen Stiche gehören dazu, sobald Mütter im öffentlichen Raum mit einem Kinderwagen oder weinenden Babys unterwegs sind. Bei einer Freundin von mir hat jemand beim Aussteigen aus einem vollen Straßenbahnabteil sogar einmal nach dem Kinderwagen getreten. Eine Bekannte von mir wurde gefragt, warum sie es sich erlaubt mit ihrem Kind mitten in der morgendlichen Stoßzeit die U-Bahn zu verwenden.
Egal ob beim Einkauf, in Wartezimmern oder Restaurants und Cafés: In Österreich es gibt Menschen, die sich an der Anwesenheit von kleinen Kindern stören. Viele Eltern wagen es gar nicht erst, mit ihren Kindern ein Restaurant oder einen Gastgarten zu betreten, geschweige denn ein Kino oder ähnliches.
Die Angst, das eigene Kind einmal nicht beruhigen – oder besser gesagt: zum Schweigen bringen – zu können, überwiegt meist.
Ich kann mich noch daran erinnern, als mein Sohn gerade acht Monate alt war und sich eine alte Dame in einem Café zu uns umgedreht hat, um zu ermahnen: „Sagen Sie ihrem Kind, es soll still sein.“. Unser Sohn hatte zuvor nicht einmal geweint, sondern sehr lieb und nicht sonderlich laut gelacht.
Doch Kinder lassen sich nicht einfach per Knopfdruck ausschalten. Babys und kleine Kinder lassen sich auch nicht durch gutes Zureden von etwas überzeugen. Sie haben Bedürfnisse, die sie nicht anders ausdrücken können – und die man stillen muss.
Böse Blicke und herablassende Kommentare ändern daran nichts, im Gegenteil. Sie tragen in der Regel dazu bei, dass sich Kinder erst recht unwohl fühlen.
Will jemand positiv zur Entspannung der Situation beitragen, wäre ein ruhiges und freundliches Lächeln auf jeden Fall erfolgsversprechender. Wer sich in die Lage eines Kindes versetzt, wird das nicht überraschend finden. Es ist eigentlich ziemlich simpel.
Der öffentliche Raum gehört auch der wickelnden Mutter im Zugabteil. Dem kurz durchatmenden Großvater auf dem Gehweg. Der gehbehinderten Frau in der Einkaufsstraße. Wir alle haben das gleiche Recht auf Platz. Es ist aber traurig, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.
In was für eine Gesellschaft verwandeln wir uns, wenn im öffentlichen Raum nur noch die schnellen, gesunden, und großen Menschen dulden?
Der öffentliche Raum und Gehwege müssen auch Raum für die kleinen, alten, langsamen und beeinträchtigten Menschen Platz bieten.
Es fehlt an Zivilcourage. Etwa, wenn ein selbst erklärter „Leser-Reporter“ sein Handy zückt, um eine wickelnde Mutter an den Pranger zu stellen. Oder wenn jemand nach einem Kinderwagen tritt. Wenn jemand den kurzatmigen Großpapa beschimpft oder die Frau auf Krücken fast umrennt.
Hier gilt es zu helfen, zu widersprechen, hinzuschauen und Anteil zu nehmen. Solidarität verschwindet, wenn wir sie nicht immer wieder pflegen und hochhalten, auch im Alltag. Und dort, wo wir selbst einen Beitrag leisten können, egal ob unmittelbar, oder später in Diskussionen. Wir sollten so handeln, wie wir hoffen, dass jemand handelt, wenn wir selbst betroffen sind. Geht der öffentliche Raum für die einen verloren, geht er für uns alle verloren.
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