Ewald Lochner: Psychische Probleme, die wir heute nicht behandeln, kommen chronisch zurück

Je länger die Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns andauern, umso mehr gerät auch die psychische Situation der Bevölkerung in den Fokus. Eine besondere Herausforderung stellt die Lage dabei für viele Kinder und Jugendliche dar. Ewald Lochner, der Wiener Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen, weiß: Psychische Probleme und Erkrankungen, die heute nicht richtig behandelt werden, müssen wir in einigen Jahren als chronische Krankheiten behandeln. 

Wir erleben in ganz Österreich, dass Lockdown, geschlossene Schulen und soziale Isolation zu einem Anstieg der psychischen Probleme bei jungen Menschen führen. Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass es sich dabei zunehmend auch um Kinder handelt, die aus einem stabilen Umfeld kommen und keine Vorerkrankungen aufweisen. Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie werden deshalb besonders stark in Anspruch genommen.

Den Grund für die Verschlechterung sehen ExpertInnen vor allem im Wegfall von sozialen Kontakten. Normalerweise zerbricht man sich mit 16 Jahren den Kopf über Schulstress oder die erste Beziehung – stattdessen dreht sich jetzt alles um Ausgangsbeschränkungen und Online-Lehre. Das verursacht enormen psychosozialen Stress bei jungen Menschen. Betroffen sind zunehmend auch besonders Junge, die unter Depressionen, Angst- oder Essstörungen leiden.

Wichtigste Perspektive: Sichere Schulöffnungen

Die wichtigste Zukunftsperspektive ist für sie die sichere Öffnung der Schulen. Der psychosoziale Krisenstab der Stadt Wien, der sich seit dem vergangenen Frühjahr intensiv um die Bewältigung der psychischen Folgen der Corona-Krise kümmert, hat deshalb schon im Herbst festgestellt: Schulschließungen dürfen immer nur das letzte Mittel im Kampf gegen den Virus sein. Vor allem dürfen sie aber kein Dauerzustand sein.

Geöffnete Schulen, mit Masken und einer guten Teststruktur, sind der sicherste Weg, um der sozialen Isolation junger Menschen entgegenzuwirken. Darüber hinaus braucht es aber auch Maßnahmen für sogenannte „High-Risk-Gruppen“, also Jugendliche, die entweder bereits unter psychischen Vorerkrankungen leiden oder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien kommen. Diese Gruppen werden durch die Krise noch weiter marginalisiert.

Wir dürfen auch nicht auf jene Jungen vergessen, die nicht mehr in der Schule sind. Der Ausfall von Lehr- und Arbeitsplätzen sorgt für enormen Druck am Arbeitsmarkt – mit den psychischen Folgen werden wir uns noch lange beschäftigen müssen.

Home-Treatment und Ausbau der Versorgung

Wien setzt daher auf besondere Maßnahmen, um so viele junge Menschen wie möglich zu unterstützen. Gearbeitet wird an speziellen Lösungen für Jugendliche mit psychischen Problemen, um nicht nur eine Tagesstruktur zu schaffen, sondern auch dabei zu helfen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Außerdem startet ab März das Projekt „Home Treatment“. Damit ermöglicht die Stadt Wien längerfristige Betreuungen für Familien durch Teams mit Fachleuten aus verschiedenen Bereichen in den eigenen vier Wänden. Angebote, die die Menschen zu Hause besuchen, sind gerade in der Pandemie extrem wichtig. Damit entlasten wir nicht nur die stationäre Versorgung, sondern helfen auch mit, zu verhindern, dass sich durch Wartezeiten psychische Erkrankungen verfestigen oder sogar chronisch werden.

Trotz aller Maßnahmen bin ich mir als Wiener Koordinator der Psychosozialen Dienste sicher: Die richtigen Auswirkungen der psychischen Krise werden wir erst nach der Pandemie erleben. Erkrankungen, die heute nicht richtig behandelt werden, müssen wir in einigen Jahren als chronische Krankheiten behandeln. Für mich steht deshalb der von der ÖGK angekündigte Ausbau von Psychotherapie-Plätzen mindestens ebenso im Fokus, wie die im österreichischen Strukturplan für Gesundheit definierten Kassen-Praxen für FachärztInnen, Erwachsenenpsychiatrie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie, multiprofessionelle Ambulatorian inkl. Tageskliniken und Heilstättenschulen für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einem niederschwelligem Zugang: „Wir müssen alles tun, damit kein junger Mensch in einer psychisch schwierigen Situation allein gelassen wird. Nur so können wir die psychosozialen Folgen der Corona-Krise abwenden!“

 

Ewald Lochner ist Geschäftsführer der Sucht- und Drogenkoordination Wien, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1662 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1662 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 442 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    442 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 351 Stimme
    12% aller Stimmen 12%
    351 Stimme - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 266 Stimmen
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    266 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 134 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    134 Stimmen - 5% aller Stimmen
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12. März 2024
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