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Das Sigi Maurer-Urteil macht das Sich-Wehren schlimmer als die Belästigung

„Dein fetter Arsch turnt mich ab. Du kleine dreckige Bitch!!!“ Sigrid Maurer hat obszöne Nachrichten auf Facebook bekommen und diese in sozialen Medien öffentlich gemacht. Sie wird wegen übler Nachrede verklagt – und verurteilt. Obwohl der Richter fand, dass der Kläger gelogen hat. Maurer hätte zu wenig „journalistische Sorgfaltspflicht“ an den Tag gelegt. Dabei ist Maurer keine Journalisten, sondern Opfer von sexueller Belästigung im Netz. Das Urteil ist ein übles Signal für Frauen, die sich gegen Hass im Netz wehren. 

Mai 2018: Ein Account schickt der ehemaligen Grünen-Politikerin Sigrid Maurer eine öbszöne, herabwürdigende Nachricht. Maurer muss lesen, dass der Verfasser vorhätte, sie in den „fetten Arsch zu ficken„. Der Account gehört einem Wiener Bierladen-Betreiber. Die rechtlichen Möglichkeiten, gegen die belästigenden Nachrichten vorzugehen, sind beschränkt. Das weiß auch Maurer. „Für den Tatbestand der Beleidigung fehlte die Öffentlichkeit, da dies eine ‚persönliche‘ Nachricht war. Der Tatbestand einer sexuellen Belästigung ist laut Gesetzestext offenbar ebenfalls nicht erfüllt. Und eine Klage wegen gefährlicher Drohung, die man allenfalls noch argumentieren könnte, wäre aussichtslos gewesen. Das zeigt die Erfahrung aus ähnlichen, noch drastischeren Fällen“, erklärt Michael Völker im Standard.

Deshalb macht Maurer die Nachricht, die sie bekommen hat, öffentlich. Was sie lesen muss, sollen auch andere sehen.

„Hallo, Du bist heute bei mir beim Geschäft vorbeigegangen und hast auf meinen Schwanz geguckt, als wolltest du ihn essen. […] Dein fetter Arsch turnt mich ab, aber da du prominent bist, ficke ich dich gerne in deinen fetten Arsch, damit dir einer abgeht, du kleine dreckige Bitch!!!“ (Nachricht, die an Sigrid Maurer gerichtet war, Mai 2018)

Maurer nennt auch den Account und macht die Identität des Bierladen- Betreibers publik. Statt sich zu entschuldigen, zerrt der Betreiber Maurer vor Gericht. Er klagt die junge Frau wegen übler Nachrede und Kreditschädigung an.

Sigi Maurer wird wegen übler Nachrede verurteilt – viele Frauen sind entsetzt

Das Wiener Straflandesgericht hat Maurer am 9. Oktober 2018 wegen übler Nachrede verurteilt. Ihr ist es nicht gelungen zu beweisen, dass die Nachricht eindeutig vom Bierladen-Betreiber stammte, befand der Richter. Aus dem Opfer wurde eine Täterin. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Binnen kurzer Zeit äußern User und vor allem Userinnen im Netz ihren Unmut. Sie befürchten, das Urteil könnte als Freifahrtschein für Belästiger dienen.

Ihnen wird signalisiert, so die Sorge, dass bei Belästigung per Facebook und Twitter keine Konsequenzen drohen. Und die Frauen? Die würden durch so ein Urteil erst recht eingeschüchtert und abgehalten, sich im Fall von Belästigung und Übergriffen zu wehren.

Kläger lügt – doch es gibt keine Konsequenzen für ihn

Ich bin überzeugt, dass der Kläger lügt„, erklärte der Richter bei der Urteilsverkündung und meinte dessen Behauptung, nicht zu wissen, wer die Nachricht verfasst hat. „Er hat tendenziös geantwortet, entweder er will seine eigene Tat verdecken oder er weiß genau, wer es war und will den nicht reinreiten„, so der Richter. Konsequenzen gab es jedoch keine.

Edit: Mittlerweile hat der Richter angekündigt, dass er die Staatsanwaltschaft darüber in Kenntnis setzt, dass der Kläger – laut Richter – im Prozess gelogen hat. Auf den Ladenbetreiber könnte dann ein Verfahren wegen falscher Zeugenaussage zukommen.

Mehr Diskussion über das Anprangern als über das Belästigen

Männer sorgen sich oft um den Ruf von Männern, denen Sexismus und sexuelle Gewalt unterstellt wird. Die Philosophin Kate Manne nennt diese Form der Empathie „Himpathy“ und meint eine „unangemessene“ Empathie, die man Männern entgegenbringt, denen frauenfeindliche Handlungen vorgeworfen werden.

Der gute Ruf von Männern steht über der verletzten Würde von Frauen.

Opfer, die sich nicht verstecken und schämen, sind da unerwünscht. Das bekommt auch Sigi Maurer zu spüren. Nicht die Belästigung ist das Fehlverhalten – sondern deren Veröffentlichung. So wirkt das Urteil.

Beweislast lag bei Maurer

Sigi Maurer saß als Belästigungsopfer und zugleich als Angeklagte vor Gericht. Irritierend am Prozess war für viele, dass von Maurer verlangt wurde, nachzuweisen, dass der Ladenbetreiber einwandfrei der Autor und Abensender der obszönen Nachricht war. Der Ladenbetreiber hat das bestritten, war aber in seinen Aussagen wiederholt unglaubwürdig, wie auch der Richter mehrmals angemerkt hat.

 

Wer belästigt wird, soll erst mal „sorgfältig recherchieren“

Das Gericht hat Sigi Maurer vorgehalten, sie hätte eine „journalistische Sorgfaltspflicht“ einhalten müssen. „Die Mindestanforderung wäre, dass Sie bei der Gegenseite nachfragen hätten müssen„, befand der Richter bei der Urteilsverkündung. Das bedeutet, Maurer hätte zuvor den mutmaßlichen Verfasser kontaktieren und fragen müssen, ob er das gerade wirklich selbst geschrieben hat. Erst wenn das bestätigt sei, könnte man daran denken, Namen öffentlich zu machen. Warum das an Absurdität grenzt, erklärt Ingrid Brodnig.

Es erscheint mir überbordend, wenn eine belästigte Frau bei dem Account, der sie belästigt hat, auch noch nachfragen soll – bitte mit Namensnennung – wer genau zu dem besagten Zeitpunkt am Computer saß. Eine solche „Recherche“ ist nicht nur unzumutbar gegenüber der Betroffen, sondern es ist auch unrealistisch, dass eine Antwort auf die Frage geliefert wird.

Praktisch bedeutet es, mehr Korrektheit von den Opfern einzufordern als von den Verfassern obszöner Nachrichten. Das ärgert auch viele Userinnen, die selbst schon Opfer von Hassnachrichten und obszönen Beleidigungen geworden sind. Denn die Aufforderung, die „Sorgfaltspflicht“ einzuhalten, würde auch für sie gelten, wenn sie sich wehren wollen:

Keine Namen, keine Glaubwürdigkeit – gibt es Namen, folgt Einschüchterung

Was wäre passiert, wenn Maurer die Nachricht ohne Name publik gemacht hätte? Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Doch die Erfahrung zeigt: Wenn Frauen anonymisiert über Fälle von Sexismus und Belästigung berichten, schenkt man ihnen häufig keine Glaubwürdigkeit. „Sie soll Namen nennen“, heißt es dann.

Wir erinnern uns: Als Nicola Werdenigg über Missbrauch im Skisport in den 1970er Jahren berichtet, sind schnell die Stimmen laut geworden, die ihre Schilderungen zurückwiesen. Sie solle doch einfach Namen nennen und die Täter anzeigen! Doch was passiert in solchen Fällen? Werden Namen genannt, folgt oft die Retourkutsche. Als sich nach den Schilderungen von Werdenigg  mehrere Sportlerinnen zu Wort melden und über sexuelle Gewalt eines Trainers berichten, dreht auch der den Spieß um und zeigt eine potenzielles Opfer wegen „übler Nachrede“ an.

Und warum keine Anzeigen? Weil es allzu oft an den Beweisen scheitert. Man muss dem Täter seine Schuld nachweisen. Ein Prozess kostet Zeit, kostet Geld, ist zermürbend. Geht die Klägerin als Verliererein heraus, trägt sie Prozesskosten – und kann im schlimmsten Fall erst recht selbst nochmal als Beschuldigte vor Gericht gezerrt werden.

Das Ganze ist eine Lose-Lose-Situation„, resümiert Ingrid Brodnig.

Maurer geht in Berufung

„Im Fall Sigrid Maurer findet eine de facto Täter-Opfer-Umkehr statt“, kritisiert die ehemalige Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Dass Frauen bestraft werden, wenn sie sich gegen Sexismus und Belästigung wehren, ist für sie ungerecht.

In Deutschland wäre die Nachricht an Maurer wohl als Beleidigung zu ahnden gewesen. Im Nachbarland reicht eine Email oder Privatnachricht aus, um dagegen vorzugehen. Maurer selbst will das Urteil so nicht akzeptieren. Sie hat Berufung angekündigt. Ob die zweite Instanz anders entscheidet oder an der Rechtslage etwas geändert werden muss, wird sich zeigen. Die Frauenministerin hat angekündigt, den Fall in einer Taskforce behandeln zu wollen.

Zum Weiterlesen:

Österreichs Justiz macht Sigi Maurer zur Täterin und schert sich nicht um Hass im Netz gegen Frauen (VICE)

Wie Frauen in sozialen Medien immer noch systematisch fertig gemacht werden (VICE)

Ingrid Brodnig über fehlende Handhabe, sich gegen sexistische Nachrichten zu wehren (Blogbeitrag)

Damit der Bitch einer abgeht. Warum der Umgang mit sexueller Belästigung immer noch so schwierig ist. (Kommentar auf derStandard.at)

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1623 Stimmen
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    1623 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 430 Stimmen
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    430 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 343 Stimmen
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    343 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 253 Stimmen
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    253 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 131 Stimme
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12. März 2024
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