Internationales

Propaganda aus Aleppo – Wie die Dschihadisten unsere Nachrichten kontrollieren

Was in den letzten Monaten aus Aleppo in die westlichen Medien gelangt ist, wird die Berichterstattung über Konflikte weltweit verändern – und zwar nicht zum Positiven. Der britische Journalist und Nahost-Experte Patrick Cockburn warnt davor, Informationen als authentisch und objektiv darzustellen, die aus von Dschihadisten kontrollierten Gebieten stammen. Alles, was aus diesen Gebieten nach außen dringt, unterliegt der strengen und brutalen Kontrolle dschihadistischer Gruppen. Medien, die das nicht reflektieren, machen sich zum Spielball in einem Propagandakrieg, so Cockburn im Independent.

Die letzten unabhängigen Nachrichten aus Aleppo haben uns in den Jahren 2011 und 2012 erreicht. Damals haben noch unabhängige Oppositionsaktivisten aus dem Land berichtet, wie der Nahost-Experte Cockburn schildert. Nachdem aber die Dschihadisten innerhalb der Opposition die Macht übernommen hatten, wurden diese Aktivisten zum Schweigen gebracht: Sie mussten ihre Arbeit einstellen, ins Ausland fliehen oder wurden ermordet.

Journalistenentführungen und Informationsvakuum

Auch für ausländische JournalistInnen ist es immer schwieriger geworden, aus Syrien zu berichten. Die dschihadistischen Machthaber ließen JournalistInnen in Ost-Aleppo schlicht nicht arbeiten. Ständig waren sie mit der Gefahr konfrontiert, entführt oder ermordet zu werden. Ersetzt wurden sie von Nachrichtenquellen in Form parteiischer „lokaler AktivistInnen“ – die natürlich unter der Kontrolle der dschihadistischen Gruppen standen.

Ist es aus Naivität oder aus Eigeninteresse – die internationalen Medien beziehen seither ihre Informationen von Gruppen, denen Jabhat al Nusra (Al-Qaida-Zweig in Syrien, seit Juli 2016 formal unabhängig) oder Ahar al-Sham erlauben, zu berichten. Diese Entwicklung wird über Syrien hinaus die Berichterstattung über Konflikte verändern. Denn es hat – erfolgreich – Schule gemacht, ausländische JournalistInnen davon abzuhalten, unabhängig zu berichten.

Die Morde und Entführungen schaffen zunächst ein Informationsvakuum. Und dieses wird dann mit Berichten höriger und kontrollierbarer InformantInnen (in diesem Fall der dschihadistischen Herrscher Ost-Aleppos) gefüllt.

So erweist es sich für die Dschihadisten als strategisch kluger Schachzug, Journalisten zu entführen und zu töten: Es ermöglicht ihnen, die Nachrichten zu kontrollieren, die die Außenwelt erreichen.

Für unabhängige JournalistInnen ist das eine sehr schlechte Nachricht: Sobald sie diese Gebiete auch nur betreten, bedrohen sie dieses Informationsmonopol und setzen ihr Leben aufs Spiel.

Vollkommene Kontrolle der Bevölkerung

Aber auch für die Bevölkerung vor Ort sind die Gefahren hoch, wie Cockburn schreibt. Deutlich wird dies anhand eines Berichts von Amnesty International, der im Juli diesen Jahres unter dem Titel „Folter war meine Strafe“ veröffentlicht worden war.  Philip Luther, Direktor des „Middle East and North Africa”- Programms von Amnesty International hielt fest: ZivilistInnen leben in vielen Gebieten „in ständiger Furcht vor Entführung, wenn sie das Verhalten der regierenden bewaffneten Gruppen kritisieren oder den strengen Regeln nicht folgen, die ihnen auferlegt wurden“.

Dem  Bericht zufolge werden explizit unabhängige Journalisten verfolgt. In Bezug auf die Dschihadistengruppe Jabhat al-Nusra (die sich in Jabhat al-Sham umbenannte und zuvor der syrische Zweig von Al-Qaida war) spricht etwa ein 24-jähriger Medienaktivist namens Issa:

„Sie haben die Kontrolle darüber, was wir sagen und was wir nicht sagen dürfen. Entweder du stimmst mit ihren Regeln und Richtlinien überein oder du verschwindest.“

Übergewicht der Propaganda

Internationale Medien übertrugen (kurz vor dem Fall Ost-Aleppos, Anm.) authentisch wirkende Videos und Skype-Interviews aus Ost-Aleppo. Die Videos waren mit ziemlicher Sicherheit nicht gefälscht – sehr wohl aber wurden große Teile der Wahrheit ausgelassen bzw. verschwiegen. So gab es etwa kein Anzeichen der 8.000 bis 10.000 bewaffneten Kämpfer, die sich nach UN-Schätzungen in Ost-Aleppo befanden. Tatsächlich kann ich mich nicht daran erinnern, in all den Aufnahmen je irgendjemanden mit einer Waffe gesehen zu haben. Die einzigen in Erscheinung tretenden EinwohnerInnen Aleppos waren unbewaffnete ZivilistInnen.

Es wäre naiv zu glauben, dass diese professionelle PR für die syrische bewaffnete Opposition deren alleiniges Werk ist. Ausländische Regierungen spielen eine wichtige Rolle bei der Finanzierung und Ausbildung von Oppositionsmedien und ihren Strategen. So erzählte mir in Beirut ein Journalist halbsyrischer Abstammung, dass ihm 17.000 $ pro Monat dafür angeboten worden waren, für ein solches PR-Projekt der Opposition zu arbeiten. Unterstützt wurde es von der britischen Regierung.

Dieses Übergewicht der Propaganda gegenüber Nachrichten in der Kriegsberichterstattung zu Syrien hat viele negative Folgen. In Syrien findet ein echter Bürgerkrieg statt. Der exklusive Fokus auf die schrecklichen Gräueltaten der syrischen Streitkräfte an einer unbewaffneten Zivilbevölkerung zeichnet jedoch ein schiefes Bild. Die beschriebenen Gräueltaten sind oft wahr: Laut UNO wurden im letzten Monat 82 ZivilistInnen in Ost-Aleppo exekutiert. So schlimm das auch ist, aber die medialen Vergleiche mit dem Völkermord in Ruanda von 1994 oder dem Massaker von Srebrenica im Jahr darauf sind schlicht übertrieben.

Es ist nicht überraschend, dass die syrische Opposition ihre Feinde verteufelt und negative Nachrichten über sich selbst verbirgt. Viel skandalöser ist die Art und Weise, wie sich die westliche Medienwelt in diesem wilden Konflikt für die Propaganda einer Seite instrumentalisieren lässt. Und zwar, indem sie die Berichte von InformantInnen, kontrolliert von dschihadistischen Bewegungen, die jedwede Kritik mit Folter oder Mord bestrafen, als authentische Information darstellt.

Durch das Wiederkäuen von Information aus derart zweifelhaften Quellen geben Medien Al-Qaida-artigen Gruppen jeden Anreiz, auch künftig JournalistInnen zu töten oder zu entführen, um ein Informationsvakuum zu schaffen, das sie selbst füllen.

 

Zum Originaltext Patrick Cockburn: There’s more propaganda than news coming out of Aleppo this week

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 59%, 1486 Stimmen
    59% aller Stimmen 59%
    1486 Stimmen - 59% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 383 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    383 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 13%, 316 Stimmen
    13% aller Stimmen 13%
    316 Stimmen - 13% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 222 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    222 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 111 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    111 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2518
12. März 2024
×
Von deiner IP-Adresse wurde bereits abgestimmt.
Share
Kontrast Redaktion

Neue Artikel

Andreas Babler’s Herz und Hirn Rede: Hier sind seine 24 Ideen für Österreich

Am 27. April hielt SPÖ-Chef Andreas Babler in Wieselburg seine "Herz und Hirn"-Rede. Darin präsentierte…

27. April 2024

Industriellenvereinigung fordert 41-Stunden-Woche und weniger Feiertage

Mehr arbeiten bei gleichem Lohn: Die Industriellenvereinigung fordert eine 41-Stunden-Woche. Zusätzlich sollen auch noch Feiertage…

26. April 2024

SPÖ-Chef Andreas Babler will gratis Öffis für alle unter 18

SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler präsentiert am Samstag in seiner „Herz-und-Hirn“-Rede 24 Projekte, die Österreich wieder gerechter…

25. April 2024

ÖVP gegen EU-weites Grundrecht auf Abtreibung

Das EU-Parlament hat das Recht auf Abtreibung zum Grundrecht erklärt - gegen die Stimmen der…

25. April 2024

Die FPÖ in Brüssel: Gegen Mindestlöhne, Lohntransparenz und bessere Arbeitsbedingungen

Das Europäische Parlament hat in den vergangenen fünf Jahren zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen…

25. April 2024

ÖVP für mehr Überwachung: Geheimdienste sollen im Messenger mitlesen dürfen

Die ÖVP will mehr Befugnisse für die Geheimdienste, sie soll auch die Nachrichten in den…

24. April 2024