Offiziell gilt für die 10 Vollzeitkräfte im Sozialunternehmen “wirkt.” seit dem 1. Jänner 2023 die 36-Stunden-Woche bei vollem Gehalt. Am Freitag ist für alle frei. Bereits 2020 – drei Jahre nach ihrer Gründung – haben sie die 4-Tage-Woche eingeführt und dann schrittweise die Arbeitszeit verkürzt. Seitdem haben sich Umsatz und Mitarbeiter:innenzahl mehr als verdoppelt. Es ist nicht ausgeschlossen, die Arbeitsstunden künftig weiter zu reduzieren, wie uns Mitbegründer Julian Richter verrät. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen.
Julian Richter: Mit dem 1. Jänner haben wir heuer offiziell auf die 36-Stunden-Woche umgestellt. Davor hatten wir bereits eine inoffizielle: Wenn sich die Arbeit in vier Tagen ausgegangen ist, war es davor auch schon möglich, früher ins Wochenende zu gehen. Denn der Freitag ist bei uns schon seit 2020 frei. Jetzt ist es fix: Niemand arbeitet mehr länger als 36 Stunden – andernfalls gibt es Zeitausgleich.
Wir haben es drei, vier Monate ausprobiert und dann hätten wir eine Evaluationsphase gehabt. Aber zu dem Zeitpunkt war aus Einzelgesprächen mit allen Beteiligten sehr klar, dass es das überhaupt nicht braucht. Es war für alle Mitarbeiterinnen inklusive Geschäftsführung überhaupt keine Frage: Das ist nichts, was wir wieder hergeben wollen.
Richter: Unsere wertvollste Ressource ist die Zeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und weil die Menschen im Sozialbereich häufig mit sehr viel Engagement dabei sind – und richtig darin aufgehen können – muss man sie davor schützen, nicht 70 Stunden in der Woche zu arbeiten. Wir wollten einen Ausgleich schaffen, der länger ist als von Samstagvormittag bis Sonntagabend. Es war uns wichtig, Arbeit und Freizeit fair zu verteilen. Es ist mir sehr wichtig, dass unsere Kolleg:innen gut ihr Leben gestalten können, Familie und Freund:innen haben können und nicht nur arbeiten. Wir glauben als Organisation fest daran, dass das möglich ist, wenn man will. Das hat nichts damit zu tun, dass wir weniger arbeiten wollen, sondern dass man schaut, ob man durch eine Fokussierung der Arbeitszeit auf 36 Stunden nicht eigentlich genau gleich viel zustande bekommt.
Außerdem macht es uns als Arbeitgeber bei neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern attraktiver. Das ist auch gut, weil wir die besten Leute brauchen und oft nicht mit der normalen Wirtschaft mithalten können. Wir können nicht dasselbe zahlen wie die großen Wirtschaftsunternehmen da draußen. Wir sind ein kleiner Fisch und wir sind im Sozialbereich – wo es immer zu wenig Geld gibt. Wir müssen die Arbeit also mit anderen Dingen schmackhaft machen.
Richter: Ich glaube, es haben sich eher alle darüber gefreut. Aber am Anfang war die Umstellung durchaus schwierig. Dass man auf einmal sehr viel mehr an vier Tagen unterbringen muss, hat schon den Stress erhöht. Selbst wenn man gleich viel Stunden arbeitet, hat man einen Tag weniger, an dem man Termine unterbringt. Wir mussten auch den Kund:innen und Förderstellen beibringen, dass wir am Freitag einfach nicht da sind.
Manchmal musste man sich schon zwingen, am Freitag nicht den Computer aufzumachen oder Meetings zu planen, ganz egal, wie dringend es ist. Einfach damit wir in den Modus hineinkommen. Jetzt sehen wir es lockerer, weil klar ist, dass bei uns die Arbeitswoche grundsätzlich am Donnerstag aufhört.
Die ersten freien Freitage waren total absurd, weil man trotz Vollzeit auf einmal einen Freitagvormittag frei hat. Zum Amt zu gehen hat sonst immer einen halben freien Tag gebraucht und war plötzlich ganz easy möglich. Fast ein bisschen beängstigend, dieser zusätzliche Tag. Aber man gewöhnt sich dran. Ich glaube, jetzt wäre die Umstellung zurück deutlich schwieriger.
Richter: Ich würde schon behaupten, dass wir keine Produktivitätseinbußen in irgendeiner Form haben. Eher im Gegenteil. Ich glaube, die Leute kommen ganz anders aus einem 3-Tage-Wochenende zurück. Wir arbeiten tendenziell effizienter. Mitarbeiterinnen sind kürzer da und damit fokussierter. Grundsätzlich haben wir uns seit der Einführung der 4-Tage-Woche 2020 mehr als verdoppelt – sowohl was den Umsatz als auch was die Mitarbeiter:innen betrifft. Das hat nicht per se was mit unserer Umstellung zu tun, weil wir auch einfach sehr viel Arbeit hatten. Aber wir haben damit auch viel mehr leisten können.
Richter: Ich habe ursprünglich Volkswirtschaft studiert, ich versteh das Argument total. Klar, mit einer generellen 36-Stunden-Woche verknappe ich mein Arbeitskräfteangebot um 10 Prozent. Aber erstens glaube ich nicht, dass wir einen Produktivitätsverlust haben. Das ist zumindest das, was wir gesehen haben. Das ist ein Aspekt, den man nicht außer Acht lassen darf, ganz wirtschaftlich gedacht. Und zweitens wird Arbeiten damit attraktiver. Wir werden so auch mehr Leute in Beschäftigung bzw. in Vollzeitbeschäftigung bringen. Wenn wir die Vereinbarkeit zwischen Familie, Leben und und Beruf stärken, dann werden mehr Menschen diesen Weg gehen. Dazu zählt etwa auch, dass es in vielen ländlichen Regionen immer noch ein Riesenproblem ist, einen Kindergartenplatz zu bekommen – das müsste man angehen.
Ich glaube, es geht eher darum, genug attraktive Arbeitsangebote zu schaffen. Ich glaube, dass das Modell von kürzeren Arbeitszeiten auf dem Vormarsch ist – gerade in einer Zeit, in der wir Fachkräfte und Mitarbeiterinnen suchen. Und ich meine, in vielen Bereichen gelten bereits die 38,5 Stunden – da geht es um zweieinhalb Stunden weniger die Woche. Also lassen wir mal die Kirche im Dorf.
Richter: Ich würde sehr gut kommunizieren, was die Erwartungshaltung an jeden Einzelnen ist, was es sein soll und was nicht. Ich glaube, eine klare Kommunikation im Vorfeld und die Möglichkeit, über Ängste und Bedenken sprechen zu können, ist wichtig. Man muss schon auch Überzeugungsarbeit leisten, warum das etwas ist, was spannend sein kann. Und dann sollte man eine Periode definieren, in der man es ausprobiert, evaluiert und schaut, ob man mit dem weitergehen kann oder nicht.
Richter: Wir wollten keine 4-Tage-Woche, die auf den Schultern der Mitarbeiter:innen ausgetragen wird, dass sie sich vier Tage wie verrückt abarbeiten und dafür am Freitag freimachen dürfen. Dass man jeden Tag zehn Stunden und manchmal sogar elf Stunden dasitzt, das darf und das sollte nicht sein und ist auch nicht produktiv.
Diese zusätzliche Stunde ist ganz unternehmerisch gedacht, überhaupt nicht produktiv und rein menschlich gedacht purer Zwang und bringt nichts.
Richter: Ich glaube, dass es grundsätzlich in allen Betrieben – vom Handwerk bis zur Krankenpflege – sinnvoll ist, Menschen zu entlasten, weil sie dann in der Zeit, in der sie da sind, deutlich belastbarer arbeiten können. Ich würde mir wünschen, dass das von allen Seiten so unterstützt wird. Als Unternehmer fühle ich mich nicht dadurch vertreten, dass man sagt, die Mitarbeiter wollen nicht arbeiten. Es geht mehr um eine Grundhaltung, dass das nicht beäugt wird, sondern dass man sagt, ja klar, das ist auch rein wirtschaftlich ein sinnvoller Schritt.
Maximal 4 Antwortmöglichkeiten
Am 27. April 2024 fand in Wieselburg der Bundesparteirat der SPÖ statt. Dort hielt der…
Die Europäische Union (EU) vereint 450 Millionen Menschen in Europa. Damit ist sie eine der…
Immer weniger Kassenärzt:innen, dafür immer mehr Wahlärzte: Eine gute und schnelle Gesundheitsversorgung ist zunehmend eine…
Nach großangelegten Pilotprojekten zur 4-Tage-Woche in Großbritannien, Südafrika und Australien, zieht jetzt auch unser Nachbarland…