Sie legen die Arbeit nieder: Ärzt:innen, Pfleger:innen, Assistent:innen im Gesundheitsbereich. Zumindest für ein paar Minuten. Um 12.05 Uhr haben Mitarbeiter:innen des Gesundheits- und Langzeitpflegebereichs heute vor den Häusern, in denen sie Menschen versorgen, protestiert: für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter. Es ist „5 nach 12“, sagen sie. Mit einer Bürgerinitiative mobilisieren sie jetzt Unterstützer:innen und verstärken den Druck auf die Politik.
Die „Offensive Gesundheit“ ist ein Zusammenschluss aus Arbeiterkammer, Ärztekammer sowie der Gewerkschaften im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich. Heute, am 24. Februar startet die „Offensive“ eine parlamentarische Bürgerinitiative, mit denen Unterzeichner:innen die Forderung nach besseren Gehältern und Arbeitsbedingungen unterstützen. „Achtung Gesundheit! Es ist 5 nach 12“, ist der Titel der Initiative, die man ab heute unterschreiben kann.
Covid-19 hat im Gesundheitsbereich ein Problem befeuert, das bereits lange glimmt. Schon seit Jahren kennt man die Probleme in der Pflege. Seit Jahren gibt es viele Forderungen, um die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen der Pflege zu verbessern. Gewerkschaften, Arbeiterkammer und Ärztekammer haben dem Gesundheitsminister schon 2020 einen umfassenden Forderungskatalog übergeben. Ins Budget haben es die Forderungen von damals aber nie geschafft.
Die „Offensive Gesundheit“ hat im Sommer 2021 unter Gesundheitsmitarbeiter:innen eine Befragung zu ihrem Wohlbefinden und ihrem psychischen Zustand während der Pandemie durchgeführt. Fast 7.000 Personen – von Heimhelfer:innen über Hebammen, Sanitäter:innen bis hin zu Ärzt:innen – haben sich damals beteiligt. Das Ergebnis: Das Gesundheitspersonal musste während der Pandemie viel mehr arbeiten als zuvor, konnte Urlaubstage nicht konsumieren und es traten häufig Symptome zum Vorschein, die mit einer Depression einhergehen. Die Situation ist dramatisch:
Laut der Befragung leidet fast die Hälfte der Beschäftigten im Gesundheitsbereich unter mittleren bis schweren Depressions-Symptomen.
Die Überlastung macht sich auch an Problemen im Alltag bemerkbar. Die häufigsten Beschwerden – Schlafstörungen, Vergesslichkeit und Konzentrationsprobleme – können dabei im Arbeitsalltag für die zu versorgenden Patient:innen zur Gefahr werden.
Die ständige Überlastung bringt viele Pflegekräfte und Ärzt:innen dazu, den Job wechseln zu wollen.
„Jede zweite Pflegekraft denkt darüber nach, den Job zu wechseln. Und viele machen es auch, sie wechseln den Job oder schlittern ins Burnout und fallen lange aus“, sagt Silvia Rosoli, Leiterin der Abteilung Gesundheitsberufe und Pflegepolitik der Arbeiterkammer. „Krankenhäuser können den Betrieb nicht mehr aufrechterhalten, weil ihnen schlicht und einfach die Pflegekräfte fehlen, die die Arbeit machen.“
Von Kündigungen durch Kolleg:innen weiß auch die Intensivmedizinerin Dr.in Barbara Sitter zu berichten. Sitter ist Leiterin einer Intensivstation und arbeitet im Verein Second Victim. Dieser richtet sich an Mitarbeiter:innen im Gesundheitssystem, die aufgrund eines Erlebnisses traumatisiert wurden bzw. in eine Krisensituation geraten sind. Beispielsweise weil sie miterlebt haben, wie eine Patientin zu Schaden gekommen oder verstorben ist. Der Verein stellt den Kontakt zu Psycholog:innen her, die – unabhängig von den Gesundheitseinrichtungen, in denen man selbst arbeitet – für Gespräche zur Verfügung stehen.
Sitter bekommt täglich mit – in der Arbeit im Krankenhaus oder durch die Vereinsarbeit – wie die Belastung an ihren Kolleg:innen zehrt. „Auf der Intensivstation bei uns hat jetzt schon ein Viertel bis ein Drittel des Pflegepersonals gekündigt. Ich weiß auch von Kolleg:innen in anderen Wiener Spitälern, dass sie überlegen, zu gehen und sich aktiv um eine andere Stelle umzusehen. Manche wechseln nur den Bereich – also wollen zum Beispiel weg von der Intensivstation. Andere kündigen ganz – und wissen noch nicht, was sie danach machen. Dazu kommen noch die ganzen Krankenstände. Das macht mir wirklich Sorgen. Denn was heißt das für unser Gesundheitssystem in den nächsten Jahren, wenn wir die Leute nicht mehr haben?“, erzählt Sitter.
Die Omikron-Welle flacht in Österreich langsam ab, aber Pfleger:innen und Ärzt:innen sind immer noch an ihren Grenzen – körperlich wie seelisch. Sie sind unbestritten die Held:innen der Pandemie. Wir bräuchten mehr von ihnen – das Personal braucht dringend bessere Arbeitsbedingungen und faire Gehälter. Doch das Budget, das ÖVP und Grüne Ende 2021 präsentiert und beschlossen haben, sieht das schlicht nicht vor. Man spart an der falschen Stelle.
Auf den ersten Blick wirkte es so, als gäbe es eine Erhöhung beim Gesundheitsbudget. Doch netto bleibt nicht mehr übrig als zuvor. Das vermeintliche „Plus“ entsteht zum einen aus pandemiebedingten Kosten, die keinen nachhaltigen Effekt haben. Die Kosten für Corona-Tests zum Beispiel. Zum anderen entsteht es durch die höheren Ersatzleistungen. Mit der Senkung der Krankenversicherungsbeiträge für kleine Einkommen fehlt den Krankenkassen das Geld. Der Staat übernimmt zwar diesen Betrag, doch netto bleibt nicht mehr im System.
Für den Ausbau der Leistungen und der Spitäler, um beispielsweise Wartezeiten zur verkürzen und mehr Pflegekräfte anzustellen, gibt es kein Geld.
Nur für die Kinder und Jugendpsychiatrie werden mehr Mittel zur Verfügung gestellt, nämlich 13 Millionen. Zum Vergleich: Das gesamte Gesundheitsbudget liegt bei etwa 20 Milliarden.
Das ist den Gesundheitsmitarbeiter:innen nicht genug. Sie wollen sich abermals Gehör verschaffen und jetzt durch Unterstützung aus der Bevölkerung und mit Nachdruck. Inhaltlich fordert die Offensive im Rahmen der Bürgerinitiative vom Nationalrat, umgehend Maßnahmen zu beschließen, die die Krise im Gesundheitswesen und der Langzeitpflege beenden.
Hier kann man die Unterschriftenliste herunterladen, drucken und unterschreiben. Danach die Liste per Post an die Gewerkschaft Younion (Hauptgruppe II Kennwort: Achtung Gesundheit, Schnirchgasse 12/1, 1030 Wien) oder an die Ärztekammer für Wien (Kurie angestellte Ärzte, Kennwort: Achtung Gesundheit, Weihburggasse 10-12, 1010 Wien) schicken.
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