Sie sitzen in den obersten Etagen der Wirtschaft und sind eng mit Regierung und Medien verzahnt. Rund 1.000 Menschen in Österreich zählt der Soziologe Michael Hartmann zur „Elite“. Sie selbst stammen aus großbürgerlichen Familien und haben es wieder in Top-Positionen geschafft. Und jedes Jahr trennt sie noch mehr vom Rest der Gesellschaft: Die soziale Ungleichheit nimmt zu und bleibt für die Elite eine abstrakte Diskussion – denn sie wissen nicht, wie normale Menschen leben und kennen niemanden, der von existenziellen Sorgen geplagt ist. Trotz ihrer Abgehobenheit treffen sie Entscheidungen, die uns alle betreffen, wie uns Hartmann im Interview erklärt.
Kontrast: Elite ist ein häufig verwendeter Begriff, was bedeutet Elite für Sie?
Hartmann: Die Elite ist sehr klein. In Deutschland spricht man immer ungefähr von 4.000 Personen, in Österreich wahrscheinlich von nur 1.000. Das obere Bürgertum ist das Rekrutierungsfeld der Eliten. Das Merkmal der Eliten ist, dass sie durch ihr Amt oder ihr Eigentum gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich beeinflussen können. Zum Bürgertum gehört etwa auch ein gutverdienender Arzt, aber der hat nicht unbedingt gesellschaftlichen Einfluss. Dafür muss man schon in hohen politischen Ämtern, Justiz- oder Verwaltungspositionen oder eben in hohen Positionen in der Wirtschaft sitzen.
Kontrast: Wer gehört konkret zur Elite?
Hartmann: In der Wirtschaft die Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte, in den Medien die Chefredakteure und Herausgeber. In der Politik sind das Regierungsmitglieder, Landespolitiker, hohe Verwaltungsbeamte wie Staatssekretäre oder Abteilungsleiter in Ministerien. In der Justiz sind es im Wesentlichen die Bundesrichter und Verfassungsrichter. Grob gesagt 40% aus der Wirtschaft, 40% im Staat und dann noch ein kleiner buntgemischter Rest.
Kontrast: Sie widmen sich dem Thema Eliten seit den 1970er Jahren – sind die heutigen Eliten abgehobener als früher?
Hartmann: Die Wirtschaftselite war immer sehr exklusiv. Vier von fünf stammen aus den oberen 4% der Bevölkerung. In der politischen Elite war das lange nicht der Fall. Da stammten bis in die 90er Jahre zu gut zwei Drittel aus der breiten Bevölkerung. Das hat sich im letzten Jahrzehnt umgekehrt.
Das heißt: Es stammen auf einmal auch zwei Drittel der politischen Elite aus dem Großbürgertum. Die Verbindungen zwischen der Polit- und Wirtschaftselite sind viel enger geworden. Ob sie es wollen oder nicht, aber es wird für die Elite dadurch zunehmend schwerer zu begreifen, wie normale Menschen leben, und welche Probleme für sie relevant sind.
Das zweite ist, die Elite hat von den politischen Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte profitiert. Diese neoliberale Politik hat die hohen Einkommen und Vermögen begünstigt, während die unteren Einkommen geschrumpft sind. Das heißt: Die Lebenssituation der Elite entfernt sich immer weiter von der normalen Bevölkerung, weil die Elitenmitglieder alle die Gewinner der Entwicklung sind. Deswegen spreche ich von einer Abgehobenheit.
Kontrast: Was für Konsequenzen hat diese Entfernung der Eliten von der normalen Bevölkerung?
Hartmann: Wir haben bei einem Projekt Personen aus der Elite gefragt, wie sie soziale Ungleichheit bewerten, wie sie höhere Steuern als Gegenmaßnahme bewerten, wie sie die Finanzkrise sehen. Und es war eindeutig: Die Mehrheit der Elite sagt: „Ungleichheit gibt es, ist aber nicht weiter schlimm“. Die große Mehrheit der restlichen Bevölkerung sagt: „Da muss man was dagegen tun!“ Man kann aber auch sagen, dass soziale Herkunft statistisch gesehen das Denken und das Verhalten einzelner Elitenmitglieder prägt. Das Problem ist, dass Personen prinzipiell aufgrund ihres Aufwachsens in einem privilegierten Bereich der Bevölkerung eine andere Sicht auf die Wirklichkeit haben.
Für die ist soziale Ungleichheit etwas völlig Abstraktes, die kennen das Überhaupt nicht.
Kontrast: Wie stehen wirtschaftliche und politische Elite zueinander?
Hartmann: Das Druckpotenzial der Wirtschafselite hat natürlich zugenommen, aber da ist viel auch nur Schein und nicht Sein. Viele dieser Drohungen von wegen Globalisierung und ‚wir können ja auch einfach in ein anderes Land gehen‘, sind nicht wirklich realistisch. Die Politik und die Verwaltung haben viel mehr Verhandlungsspielraum als sie öffentlich eingestehen. Beim Dieselskandal in Deutschland hätten sie vorher eingreifen können. Sie hätten sich mit der Autoindustrie anlegen müssen, das wäre möglich gewesen. Mit den Energieversorgern legen sie sich ja auch an. Sie haben es nicht gemacht, weil die Beziehungen zwischen Autoindustrie und Politik in Deutschland extrem eng sind. Jetzt müssen sie handeln, weil die Justiz sie dazu zwingt. Das kann die Wirtschaft nicht verhindern, auch nicht die mächtige Autoindustrie.
Kontrast: Wie schaut es mit der österreichischen Polit-Elite aus?
Hartmann: Man muss sagen, dass in Österreich die politischen Eliten immer etwas offener waren als in Deutschland. Ich habe mir die österreichischen Kabinette der letzten dreißig Jahre angesehen. In den 90ern stammten in Deutschland zwei Drittel aus der breiten Bevölkerung, ein Drittel aus dem Bürgertum. In Österreich war es drei Viertel zu einem Viertel aus dem Bürgertum. Aber man kann beobachten, dass sich das auch in Österreich verschiebt.
Hier hängt es stark von der Regierungsbeteiligung ab. Wenn die SPÖ drinnen ist, ist der Arbeiterkinderanteil vergleichsweise hoch.
Bei der SPD gibt es in der jetzigen Regierung kein einziges Arbeiterkind mehr. Die Ungleichheiten sind in Österreich traditionell niedriger, die Eliten sind heterogener zusammengesetzt, aber der Trend ist derselbe.
Kontrast: Wie passt dieser Elitenbegriff zur FPÖ, die sich ja als Partei des kleinen Mannes inszeniert?
Hartmann: Wenn man sich die FPÖ ansieht, stimmt der Mythos des kleinen Mannes einfach nicht. Immer wenn die FPÖ in der Regierung sitzt, gibt es einen Schwung Richtung sozialer Exklusivität. Das ist in Deutschland beim klassischen AFD-Flügel auch nicht anders. Alle West-Politiker, Gauland, Meuthen, Weidel, sind alles Bürgerkinder, es weiß nur keiner. Wer weiß dass der Vater von Gauland Polizeipräsident von Chemnitz war? Sie sprechen ja auch nicht darüber. Sie greifen ja auch nicht die soziale Herkunft von Eliten an, sondern sie greifen DIE ELITE an, oder DAS ESTABLISHMENT. Sie inszenieren sich, als die, die aus dem breiten Volk kommen und sich nur durch Leistung hochgearbeitet haben, aber wenn man genauer hinsieht, stimmt das bei vielen einfach nicht.
Der Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann hat zuletzt das Buch „Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden“ veröffentlicht. Das Interview führten Carla Schick und Matthias Mayer für Kontrast.at.
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