Im Sommer 2017 wurde der Nationale Aktionsplan zu Frauengesundheit im Parlament beschlossen. Aber braucht es in Zeiten von personalisierter Medizin überhaupt noch einen eigenen Gesundheitsplan für Frauen? Miriam Leitner ist Ärztin am AKH in Wien und erklärt, warum es ein Problem ist, dass Männer als medizinische Norm gelten.
1991 fiel erstmals auf, dass Frauen in den USA in absoluten Zahlen häufiger an einem Herzinfarkt verstorben waren als Männer, obwohl Herzerkrankungen immer als klassische „Männerkrankheiten“ angesehen waren. Damals publizierte die erste Präsidentin des NIH (National Institute of Health) der USA, Dr. Bernadine Healy, in einem Topjournal einen Text zu Herzkreislauferkrankungen bei Frauen.
Zu Beginn der 1990er Jahre wurden dann gleich mehrere Studien veröffentlicht, die aufzeigten, dass Herzinfarkt-Symptome bei Männern anders sind als bei Frauen. Das Problem: Bei Frauen wurde seltener und vor allem viel später die richtige Diagnose gestellt – weil die Symptome, die Männer zeigten, als Norm für alle galten. Healy erkannte darin die Ursache dafür, dass Frauen mit Herzinfarkt seltener als Männer die beste medizinische Behandlung erhielten und öfter starben. In Anlehnung an den Film „Yentl“ (in dem sich eine junge Frau als Mann ausgeben muss, um studieren zu dürfen) schloss sie: „ (…) once a woman showed that she was just like a man (…) then she was treated as a man would be“.
Wenn eine Frau also die gleichen Symptome wie ein Mann zeigte, erhielt sie auch die beste medizinische Behandlung. Zeigte sie aber abweichende Symptome bei derselben Erkrankung, hatte das verheerende Auswirkungen auf ihre medizinische Versorgung.
20 Jahre später können wir stolz sagen, dass der „atypische“ Herzinfarkt, wie absurderweise die Symptome bei Frauen, die immerhin 51% der Bevölkerung umfassen, genannt wird, in die Lehrbücher eingegangen ist.
Herzerkrankungen sind nach wie vor die Haupttodesursache von Frauen in der westlichen Welt. Jährlich sterben mehr Frauen an einer Herzerkrankung als an Brustkrebs. Diese Daten sind aber häufig unbekannt. Als Ärztin halte ich Vorlesungen und Vorträge und erlebe jedes Mal die Betroffenheit, wenn ich frage: “Woran sterben Frauen in der westlichen Welt?“, oder „Wie hoch schätzen Sie Ihr eigenes Risiko ein, im Alter an einer Herzerkrankung zu erkranken?“ Es ist jedes Mal eindrucksvoll – egal vor welchem Publikum. Denn trotz der Fortschritte von Gender Medicine und Co. haben wir nach wie vor einen massiven Mangel an geschlechtsspezifischer Forschung, Daten, Studien, Richtlinien und angewandter Medizin. Und wir haben einen Mangel an Aufklärung von den Betroffenen.
Über die Gründe, warum Frauen häufiger als Männer an einer Herzerkrankung sterben, wird trotzdem immer mehr bekannt. Eine Ursache ist zentral: Die Dauer, bis Frauen die richtige Diagnose gestellt bekommen, ist sehr lange. Warum? Frauen gehen erst Montagfrüh zum Hausarzt, nachdem sie das ganze Wochenende Brustschmerzen hatten, wohingegen Männer (glücklicherweise) noch Sonntagnacht den Rettungsdienst verständigen.
Neben dem unterschiedlichen Gesundheitsverhalten von Männer und Frauen wissen wir auch immer mehr um die unterschiedliche Pathophysiologie von Erkrankungen und erkennen zahlreiche geschlechtsspezifische Unterschiede bereits auf zellulärere Ebene. Da jedoch die Mehrzahl der Zellkulturen männlich sind, an denen zu Erkrankungen geforscht wird, fehlen uns noch viele wichtige Informationen.
Auch die meisten Tiermodelle für Erkrankungen, die Frauen betreffen, sind überwiegend männlich. Das Fehlen dieser Daten, ebenso wie die Unterrepräsentation von Frauen in klinischen Medikamentenstudien erschwert Aussagen zu geschlechtsspezifischen Behandlungsempfehlungen und Arzneimitteltherapien.
Valide, sogenannte „harte“ Daten helfen, die Argumente für mehr Forschung über Frauen zu stärken. Für zahlreiche Erkrankungen existieren diese Daten allerdings schon. Im Fall der Herzerkrankungen helfen sie unter anderem Betroffenheit auszulösen und damit „awareness“, also Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Die Betroffenheit die ich in meinen Vorträgen und Vorlesungen beim Thema Herzgesundheit sehe, der Moment, in dem die Notwendigkeit von geschlechtsspezifischer Medizin an den validen „Cause-of-death“-Daten im Publikum realisiert wird, diesen Moment der Erkenntnis vermisst man schmerzlich, wenn man über Einkommensunterschiede, Armut und Doppelbelastung referiert. Und das, obwohl es hierfür nicht an Daten fehlt.
Anhand von validen und „harten“ Daten können wir die Schieflage zwischen den Geschlechtern bei Fragen des Einkommens, Betreuungspflichten, Gewalt und Body Image darstellen. Die gläserne Decke, Armut und Armutsgefährdung, die Doppel- bis Dreifachbelastung und das chronische Gefühl, nicht zu genügen, sind relevante und messbare Faktoren, die letztendlich ihren Anteil zu den Todesursachen beitragen.
In Österreich gibt es jetzt einen Aktionsplan Frauengesundheit, der genau diese Faktoren beachtet. Er weiß um sie, er benennt sie und zeigt, welche Auswirkungen sie auf die Gesundheit von Frauen haben. Gleichzeitig weiß er aber auch um die notwendigen Hebel in der Grundlagenforschung und der Übertragung von geschlechtsspezifischem Wissen in die angewandte Medizin. Er ermöglicht den Ausbau von geschlechtsspezifischer Forschung und nennt Maßnahmen, um die Ergebnisse in die Behandlung von Männern und Frauen einfließen zu lassen.
Außerdem findet das Wissen Eingang in Lehrpläne, um den medizinischen Nachwuchs auszubilden. Zusätzlich enthält er 36 konkrete Maßnahmen für Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen und richtet sich auch an bisher in der Gesundheitspolitik unterrepräsentierte Gruppen von Frauen, z.B. Frauen mit Beeinträchtigungen. Der Plan fußt auf einem breiten Gesundheitsbegriff und wird dazu beitragen, das Bewusstsein für die medizinischen Bedürfnisse von Frauen zu schärfen und eine gezieltere Versorgung zu ermöglichen.
Zum Weiterlesen
Umfassende Informationen zum Aktionsplan Frauengesundheit sowie Texte von Expertinnen finden sich auf der Homepage des Ministeriums für Frauen und Gesundheit hier.
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