Es ist einer der massivsten Eingriffe in die österreichische Sozialversicherung: Trotz heftiger Kritik und laufender Verfassungsklagen beginnt jetzt der große Umbau des Gesundheitssystems. Aus 21 Kassen sollen fünf werden, die größten Änderungen treffen die Krankenkasse der Beschäftigten. Dort verlieren die Beschäftigten ihre Mehrheit und Unternehmer bekommen mehr Macht.
Der große Umbau hat begonnen: Ab April bereiten die so genannten Überleitungsausschüsse den Umbau des Gesundheitssystems vor. Bis Jahresende arbeiten sie parallel zu den noch bestehenden Gremien in den aktuell 21 Sozialversicherungsträgern, 2020 soll die Reform abgeschlossen sein. Übrig bleiben dann 5 Kassen: Die unselbständig Beschäftigten werden in der Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengefasst – sie ersetzt die bisherigen Gebietskrankenkassen. Beamte, Eisenbahner und Bergbau-Arbeiter sowie Bauern und Selbständige bekommen eigene Versicherungen: Die Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst, Eisenbahnen und Bergbau und die Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS).
Das heißt: Es wird weiterhin verschiedene Kassen mit unterschiedlichen Leistungen geben. Die großen Ungerechtigkeiten zwischen Beamtenversicherung und Angestellten-Versicherung werden nicht beseitigt.
Umgebaut wird vor allem in der Versicherung der Beschäftigten – hier kommt es zu einer krassen Machtverschiebung.
Bei der ÖGK sind 7 Millionen unselbstständig Beschäftigte und Mitversicherte zusammengefasst. Und dort gewinnen die Unternehmer künftig an Macht: Bisher standen in den Gebietskrankenkassen 4 Arbeitnehmer einem Unternehmer-Vertreter gegenüber. Schon das hat die Realität nicht abgebildet: Denn tatsächlich kommen in Österreich auf einen Unternehmer 11 Beschäftigte. Dabei ist aber kein einziger Unternehmervertreter in der ÖGK versichert – sie entscheiden aber über die Gesundheitsleistungen für ihre Beschäftigten. Auch die Beiträge rechtfertigen die starke Rolle der Arbeitgeber nicht:
Gerade einmal 29 Prozent der Gesamteinnahmen der Gebietskrankenkassen stammt von den Arbeitgebern – das ist nicht einmal ein Drittel der Beiträge. Trotzdem gibt ihnen die Regierung jetzt in der ÖGK die Hälfte der Entscheidungsmacht über die Gelder der Beschäftigten.
Jetzt sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich stark vertreten. In den Überleitungsgremien sitzen jeweils sechs Arbeitgeber- und sechs Arbeitnehmervertreter. Dazu hat sich die Regierung eine Mehrheit gesichert. Die Überleitungsgremien werden schleißlich in identer personeller Besetzung automatisch in den jeweiligen Verwaltungsrat übergehen.
Die letzten Wochen haben einige Verfassungsklagen gegen die Reform gebracht: So klagt der Seniorenrat, weil Pensionisten im Hauptverband das Stimmrecht verlieren. Dabei machen die Pensionisten mit 2,4 Millionen Beitragszahlern ein Drittel der Versicherten aus. Sie zahlen fast 30 Prozent der Beiträge – und damit mehr als die Arbeitgeber.
Auch die SPÖ klagt, weil die Selbstverwaltung zerschlagen wird und Arbeitnehmer die Mehrheit in ihrer eigenen Versicherung verlieren. Ebenso die Arbeiterkammer Tirol und Oberösterreich.
Und weil sie die Entmachtung der Arbeitnehmer in ihrer eigenen Krankenversicherung nicht gut verkaufen können und sie auch keine Harmonisierung zwischen den Leistungen für Beschäftigte, Beamte und Selbständige zustande gebracht haben, versprechen sie eine Milliarde Einsparungen bis 2023.
Doch wo auch immer man sucht und fragt – die Milliarde, die dann bei den Patienten ankommen sollte, findet sich nicht. Die Einsparungsmöglichkeiten bei der Verwaltung sind klein – sie sind mit 40 Euro pro Versichertem und Jahr die niedrigsten in Europa. Zum Vergleich: Die effizienteste Krankenkasse in Deutschland wendet 136 Euro pro Patient und Jahr für Verwaltung auf.
Private Krankenversicherungen sind ohnehin weit teurer, weil sie hohe Summen für Marketing, Werbung und hohe Vorstandsgehälter ausgeben.
Wo soll die eine Milliarde also herkommen? Die Regierung hat das nicht berechnet, denn: „Wenn so viele Experten das schon berechnet haben, brauchen wir nicht auch noch etwas berechnen.“ (Hartinger-Klein, ZIB 2, 14.9.2018)
Allerdings: Die „vielen Experten“ gibt es auch nicht. Genau genommen gibt es nicht einmal einen einzigen Experten, der die Zahlen der Regierung bestätigt. Es ist sogar umgekehrt: Alle Experten, die sich zur Krankenkassenreform äußern, ziehen die Summe von einer Milliarde Euro Einsparungsvolumen stark in Zweifel.
Selbst im Gesetzesentwurf der Regierung ist keine Spur von einer Milliarde Euro. Dort ist lediglich von einem Einsparungspotenzial von 33 Millionen Euro im Jahr 2023 die Rede. Bis dahin werden die Einsparungen mit Null beziffert. Die 33 Millionen sollen dann bis 2026 immerhin auf 350 Millionen wachsen:
Sogar die eigene Kostenschätzung der Regierung im Gesetzesentwurf widerspricht also der Regierungs-PR radikal.
Auf der anderen Seite finden sich klare Zahlen zu den zusätzlichen Kosten für die Krankenkassen. Denn mit dem Umbau der Sozialversicherung werden vor allem Kosten verschoben – zum Vorteil der Unternehmer und zum Nachteil der Krankenkassen der Beschäftigten.
Das macht in Summe Belastungen von 560 Millionen Euro bis 2023. Zieht man die Einsparungen von 33 Mio. Euro ab, bleibt immer noch ein Defizit von 527 Millionen Euro für 2023. Zusätzlich müssen aber auch noch die Koste berücksichtigt werden, die der Prozess der Fusion mit sich bringt. Als die Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und Angestellten zusammengelegt wurden, hat das 200 Millionen gekostet. Bei der Krankenkassenfusion sind aber nicht nur 2 sondern gleich 21 Kassen betroffen. Experten schätzen die Kosten auf etwa 600 Millionen Euro.
Sobald die Kassen strukturelle Defizite schreiben, wird der Dachverband also Selbstbehalte beschließen. Bei der ÖGK würde das mit einem Schlag 7 Millionen unselbstständig Beschäftigte und Mitversicherte betreffen. Dieses Szenario ist nicht unwahrscheinlich, denn auf die Kassen kommen Kosten in Millionenhöhe zu.
Bei strukturellen Defiziten sind die Krankenkassen per Gesetz (§31 Abs. 5a ASVG) verpflichtet, Selbstbehalte einzuführen. Die Entscheidung darüber fällt im neuen Dachverband (im SV-OG: Art.1 z24) – und dort haben die Arbeitgeber eine Mehrheit von 6:4.
(veröffentlicht am 24.10.2018, aktualisiert am 12.12.2018)
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