Verteilungsgerechtigkeit

„Wir könnten Außerirdischen nicht erklären, warum wir so viel Ungerechtigkeit zulassen“

Über 7.000 Tonnen CO2 schleudert eine Super-Yacht jährlich in die Luft. Zwei WissenschaftlerInnen haben errechnet, wie hoch der CO2-Ausstoß von Milliardären genau ist. Wir haben mit einem von ihnen gesprochen: Richard Wilk. Der Anthropologe sagt: Reichtum gehört umverteilt, exzessiver CO2-Ausstoß reguliert. Sei es mit Gesetzen oder durch öffentliche Bloßstellung. Denn weder unsere Umwelt noch unsere Gesellschaften können sich den Lebensstil der Reichen leisten.

Mr. Wilk, in Ihrer Studie haben Sie und Beatriz Barros den CO2-Fußabdruck von Milliardären gemessen. Sie haben festgestellt, dass der tausende Male größer ist als der eines Durchschnittsmenschen. Warum ist das so?

Richard Wilk: Zu einem großen Teil liegt das am exzessiven Lebensstil der Reichen. Es sind wirklich deren Privatjets und Yachten, die den größten Teil ihrer CO2-Emissionen verursachen. Dabei haben wir in unserer Studie gar nicht jenen Kohlenstoff berücksichtigt, der bei der Herstellung ihrer Jets und Yachten entsteht, sondern nur den durch die Nutzung. Auch die Emissionen der Unternehmen, die ihnen gehören, haben wir nicht mit gezählt. Ich vermute also, dass ihre tatsächlichen Emissionen das Dreifache der Menge betragen, die wir beziffert haben.

Es ist auch erwähnenswert, dass wir Milliardäre mit anderen Menschen aus Ländern mit sehr hohen Emissionen verglichen haben. VerbraucherInnen in den USA oder in Australien kommen auf 15 bis 20 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr. In  Frankreich, in der Schweiz oder in Norwegen liegen die Emissionen eher bei 4 Tonnen pro Kopf. Kleine, arme Länder verursachen überhaupt kaum Emissionen pro Kopf. Es besteht also ein großer Unterschied zwischen den Teilen der Welt.

CO2-Schleuder Superyacht: Die „Eclipse“ des Milliardärs Roman Abramowitsch. Eine Superyacht samt ständiger Besatzung, Hubschrauberlandeplatz, U-Booten und Pools beispielsweise stößt nach den Berechnungen von R. Wilk und B. Barros jährlich etwa 7.020 Tonnen CO2 aus und ist damit der mit Abstand umweltschädlichste Besitz, den man sich anschaffen kann. (Foto: Wikipedia/CC BY-SA 2.0)

In Ihrer Untersuchung haben Sie sich auf 20 Milliardäre konzentriert, weil bei diesen entsprechende Daten verfügbar waren. Unterscheidet sich der Lebensstil der Milliardäre in den USA von jenem der Superreichen in Europa?

Richard Wilk: Einer der Milliardäre, den wir genauer unter die Lupe genommen haben, ist Roman Abramowitsch. Er ist tatsächlich die größte „CO2-Schleuder“ in unseren Berechnungen. Er ist russischer Staatsbürger, lebte im Vereinigten Königreich und in Israel und wohnt jetzt in Portugal. Das zeigt, dass  Milliardäre zu einer Art globaler Elite geworden sind. Sie leben in verschiedenen Staaten, parken ihr Eigentum in Steuerparadiesen. Sie lassen ihre Yachten an Orten wie Belize und Panama registrieren, wo es nur sehr wenig Aufsicht gibt und die Gebühren für die Registrierung sehr niedrig sind. Sie verfügen über ein undurchsichtiges Netz von Privatunternehmen und Briefkastenfirmen, die sie vor den meisten Untersuchungen ihres Reichtums schützen. Sie umgehen nationale Beschränkungen verschiedenster Art. Die Frage, zu welchem Land sie gehören, ist also schwer zu beantworten. Denn sie können gehen, wohin sie wollen. Sie leben jenseits nationaler Zugehörigkeiten – und Verpflichtungen.

Greenwashing bei Tesla: CO2-Emissionen selbst zurückfahren, um die „Gutschriften“ an Umweltverschmutzer weiterzuverkaufen

Nun gibt es nicht nur Ihre Studien, sondern auch jene von Oxfam. Demnach sind die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung für die Hälfte aller CO2-Emissionen verantwortlich. Es liegt also auf der Hand, dass es die Superreichen sind, die ihren Lebensstil und ihr Verhalten ändern müssen. Warum reden wir nicht viel mehr über die Reichen?

Richard Wilk: Nun, ich denke, dass man jetzt immer mehr beginnt, sich auf die Superreichen zu konzentrieren. Ich habe in letzter Zeit eine Reihe von Untersuchungen und Veröffentlichungen dazu gesehen. Es gibt auch ein Buch mit dem Titel „Why We Can’t Afford the Rich„, das die ungerechten Mechanismen aufzeigt, die es dem obersten 1 % erlauben, den Wohlstand abzuschöpfen, den andere produziert haben.

Die Frage ist: Was können wir tun, um sie einzuschränken? Und wie kann man das Greenwashing von tatsächlichen Bemühungen um Veränderungen unterscheiden? Elon Musk zum Beispiel macht eine große Sache daraus, dass er keine Immobilien mehr besitzt. Er hat alle seine Häuser verkauft, er besitzt keinen Privatjet. Aber seine Unternehmen stellt eben die meisten Dienstleistungen bereit, die er nutzt. Und man weiß ja wohl: Wenn seine Firma Autos ins All schießt, verursacht das natürlich enorme Mengen an Emissionen. Tesla selbst hat natürlich eine großartige Bilanz was die Verringerung der CO2-Emissionen im Herstellungsprozess angeht. Aber Musk ist schlau: Er dreht sich um und verkauft diese Emissionsgutschriften an andere Unternehmen, die Umweltverschmutzer sind. Wir sehen das oft: Wenn der eigene Verbrauch gesenkt wird, taucht er woanders als Schmutz wieder auf.

Richard Wilk: Wenn der einzelne ein bisschen mehr recyclet, löst das die großen Systemprobleme nicht

Ist es einfacher, über individuelles Engagement, z. B. beim Recycling, zu sprechen als über den großen, systemischen Wandel?

Richard Wilk: Sicherlich. Nehmen wir gleich das Beispiel Recycling. Deutschland ist ein Land, in dem dieses große Thema in Angriff genommen wurde. Hier bei uns in den USA ist das anders: Wenn man hier ein Gerät oder einen anderen großen Gegenstand kauft, steht man als Verbraucher mit der Verpackung da. Ich muss dann zu einem Recycling-Zentrum fahren, die Pappe abgeben, damit sie dann quer durchs Land zu einer Fabrik transportiert und zu Zellstoff verarbeitet wird. Den schippert man dann wieder quer durchs Land, damit der Zellstoff zu Pappe wird und so weiter. In Deutschland hingegen schreibt das Gesetz vor, dass der Hersteller die Verpackung recyceln muss.

Wenn wir es aber zu einem individuellen Problem machen – also zu etwas, für das wir alle verantwortlich sind – entfernen wir uns davon, es als ein systemisches Problem zu betrachten. Genau das ist es aber: ein Problem der Ungleichheit und der falschen Verteilung des Wohlstands. Und es ist ein Problem von Unternehmen, die sich aus ihrer Verantwortung stehlen.

Das ist einer der Gründe, warum wir uns auf die Superreichen und deren Verschwendungssucht konzentrieren müssen. Denn das hat ein schwindelerregendes Ausmaß erreicht. Da scheint es keine systemische Kontrolle oder Regulierung zu geben.

Die, die im großen Stil unsere Umwelt verschmutzen, sind dieselben, die sich weigern, ihre Steuern zu zahlen

Das ist die zentrale Frage, nicht wahr? Wie können wir deren Verhalten regulieren? Was können wir tun, um den CO2 Ausstoß der Milliardäre zu senken?

Richard Wilk: Nun, das erste, was europäische und nordamerikanische Staaten tun könnten, wäre, Offshore-Steueroasen trocken zu legen. Es darf nicht so einfach sein, eine Briefkastenfirma zu gründen und Geld hin und her zu schieben, bloß um keine Steuern zu zu zahlen.

Diese Milliardäre verschmutzen nicht nur die Umwelt. Sie entziehen sich auch ihren finanziellen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern. Wir brauchen eine Art internationale Vereinbarung, um die globalen Umweltverschmutzer in den Griff zu bekommen.

Den Reichtum verdanken sie am Ende ja uns, weil wir ihre Dinge produzieren und kaufen. Wie kann es also sein, dass sie einfach entscheiden können, keine Steuern zu zahlen?

Die reichsten 10% der Weltbevölkerung sind für die Hälfte des CO2 Ausstoß verantwortlich

Wenn man bedenkt: Vor etwa 120 Jahren war es in Europa nicht ungewöhnlich, dass Staaten das Vermögen von Superreichen beschlagnahmt oder sie gezwungen haben, es der Regierung als Darlehen zu geben. Regierungen haben sich schon immer an Superreiche gewandt, wenn sie in Geldnot geraten sind.

Ich für meinen Teil würde es sehr begrüßen, wenn meine Regierung eine Grenze für den Besitz von Vermögen festlegen würde. Aber wir haben eine sehr starke Ideologie des Individualismus und eine Feindseligkeit gegenüber Gemeingut.

Wir sollten die Namen derjenigen kennen, die mit ihren Jets Tonnen an CO2 in die Luft schleudern

Sie haben vorgeschlagen, dass man diejenigen, die unser Klima gefährden, beim Namen nennen soll. Könnten Sie diese Idee ein wenig erläutern? Wäre das so etwas wie die negative Oscar-Verleihung für Klimaverschmutzer?

Richard Wilk: (lacht) Das ist eine sehr kreative Idee. Wissen Sie, Scham ist ein interessantes Gefühl. Sie kann auf sehr böse Weise eingesetzt werden. Wir kennen Fallgeschichten, in denen Menschen in sozialen Medien für kleine Fehler derart unter Druck gesetzt wurden, dass es ihr Leben ruiniert hat. Aber in anderen Maßen eingesetzt, könnte öffentliche Bloßstellung dazu dienen, die Superreichen und ihr Verhalten ins Rampenlicht zu stellen. Schließlich sind viele von ihnen sensibel für ihr öffentliches Image.

Als Anthropologe habe ich untersucht, wie Scham von der menschlichen Spezies zur sozialen Kontrolle eingesetzt wurde. Wir sind uns als Menschen sehr bewusst, was andere von uns denken und erwarten. Scham hat eine enorme Macht, das Verhalten von Menschen zu ändern. Die Bedrohung durch Scham, die Bedrohung durch Bloßstellung ist es, die viele Gemeinschaften davor bewahrt, sehr ungleich zu werden.

Ich würde nie behaupten, dass es ein Allheilmittel für die Probleme der Ungleichheit ist. Aber es ist einer der Aspekte, den wir nicht ignorieren sollten. Jedes Mal, wenn ich das auf einer Tagung zur Verbraucherforschung oder einem Forum zum Thema Konsum und Nachhaltigkeit zur Sprache bringe, sagen die Leute: „Oh nein, das können wir nicht machen. Das ist schrecklich! Das ist eine negative Verstärkung! Wir sollten die Menschen vielmehr motivieren, damit sie etwas besser machen!“ Aber, wissen Sie, das hat uns in den Zustand gebracht, in dem wir uns befinden. Wir müssen nunmal auch über schwierige Lösungen nachdenken, nicht nur über die einfachen.

Worum geht es bei den schwierigen Lösungen?

Richard Wilk: Darum die Verteilung des Wohlstands in der Gesellschaft zu ändern und den Lebensstil der Menschen. Im Moment haben wir ein System, in dem man, solange man das Geld hat, tun kann, was immer man will.

Ich spiele manchmal die Frage im Kopf durch: Wie würden wir unsere Welt einer Gruppe von Außerirdischen erklären? Außerirdischen, die hier gelandet sind und unbedingt wissen wollen, warum wir die Dinge so machen, wie wir sie machen. Wie würden wir ihnen erklären, dass wir eine Milliarde Menschen haben, die kaum von einem Tag auf den anderen überleben können, und unterernährte Kinder mit geschwollenen Bäuchen? Und gleichzeitig gibt es diese Leute, die in 150m langen Jachten und mit Hubschraubern herumreisen? Ich weiß nicht, wie ich das rational erklären soll. Denn es ist keine rationale Art, Dinge zu verteilen. Es ist das Gegenteil: Es ist verrückt.

Die Studie von Richard Wilk und Beatriz Barros erklärt

Richard Wilk (Foto: R. Wilk)

Richard Wilk und Beatriz Barros haben bei ihren Berechnungen den persönlichen Fußabdruck von Superreichen geschätzt bzw. berechnet – der sich z.B. aus Bau und Nutzung einer Villa oder dem Gebrauch von Jets und Superyachten ergibt. Ihnen ging es nicht darum, den CO2-Fußabdruck zu berechnen, der in der Lieferkette bei Herstellung jedes Produktes entsteht. In den Tonnen an verbrauchtem CO2 sind zudem auch nicht die Emissionen der Unternehmen enthalten, die den Personen ganz oder teilweise gehören. Das hätte eine eigene Untersuchung notwendig gemacht. Mit anderen Worten: Es handelt sich um personalisierte und obendrein konservative Schätzungen der Milliardäre-Emissionen. Die beiden Forschenden haben zunächst die Forbes-Reichenliste des Jahres 2020 herangezogen. Sie umfasst 2.095 Milliardäre und Milliardärinnen. Da viele Vermögende die Öffentlichkeit scheuen und nichts über ihre Lebensweise und ihren Verbrauch bekannt ist, haben die ForscherInnen sich auf 20 bekannte Milliardäre in den USA konzentriert.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1647 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1647 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 437 Stimmen
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    437 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 349 Stimmen
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    349 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 262 Stimmen
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    262 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 134 Stimmen
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    134 Stimmen - 5% aller Stimmen
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12. März 2024
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Kathrin Glösel

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