Leserstimmen

Menschlich wäre, aus Kindern, die hier leben, Staatsbürger zu machen

Melina Papadopoulos ist Schülerin aus Salzburg. Die Debatte um den leichteren Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft hat sie aufmerksam verfolgt. In einem Leserinnen-Kommentar macht sie ihrem Ärger Luft, dass die ÖVP aus rein wahltaktischen Motiven so vielen Menschen die Teilhabe verwehrt.

„Es darf keine Entwertung der Staatsbürgerschaft geben“. Unser Bundeskanzler hat vor ein paar Tagen den Mut zu genau dieser Aussage gefasst. Ich sage bewusst Mut, weil Mut für mich bedeutet, zu wissen, dass das, was man sagt, blöd sein könnte, es aber trotzdem ausspricht.

Wir interessieren uns immer nur für die Dinge, die uns selbst betreffen. Corona zum Beispiel. Der Virus ist eine riesen Katastrophe, er könnte uns umbringen. Ich möchte dieses durchaus tragische, historische Ereignis nicht ins Lächerliche ziehen, aber was ich damit sagen will:

Armut, Krieg und Schutzlosigkeit sind nicht ansteckend. Wenn man an diesen Problemen jedoch so intensiv arbeiten würde, wie am COVID-19-Impfstoff, dann gäbe es viel weniger Leid auf dieser Welt.

Dem Bundeskanzler geht es zum Glück gut. So wie mir und vielen anderen ÖsterreicherInnen auch. Und kaum blüht irgendwo ein wenig Hoffnung für die Menschen, denen es nicht so gut geht wie uns, wird sie wie Unkraut vernichtet. Von denen, die sowieso schon genug haben. Von denen, die das Leben für eine Pizza oder einen Kuchen halten, bei denen ein leichterer Zugang zum Pizza-oder Kuchenstück weniger Pizza oder Kuchen für einen selbst bedeuten würde.

Bei allem Respekt, den ich vor dem Herrn Bundeskanzler habe: Ich bin Maturantin, 18 Jahre alt und finde es echt traurig, das Bedürfnis zu haben, ihm wie einem kleinen Kind erklären zu müssen, dass er nicht zu kurz kommt, nur, weil er, ohne potenziell daraus resultierende persönliche Defizite, den Zugang zu etwas erleichtert, das er doch selbst schon besitzt. Und außerdem:

Bei meiner diesjährigen Reifeprüfung gab es ja auch „Erleichterungen“- entwertet das jetzt mein Maturazeugnis? Die 12 Jahre Schulbesuch, meine entsprechenden Leistungen, meine Intelligenz?

Also: Wenn man die bisherigen Anforderungen für die österreichische Staatsbürgerschaft erfüllt, wie all die anderen Jahre zuvor und diese als Drittstaatsangehörige/r statt nach 10 Jahren bereits nach 6 Jahren beantragt – wo ist das Problem?

Das ist sie wieder, diese sinnlose Kuchen-/Pizza-Logik, die ich einfach nicht verstehe. Außerdem sagt Herr Kurz, dass man schon etwas leisten muss, um sich die Staatsbürgerschaft zu verdienen. Aber ich könnte mich nicht daran erinnern bei meiner Geburt ein Handbuch über die Kenntnisse, die für den Verdienst der österreichischen Staatsbürgerschaft relevant sind, mitgebracht zu haben. Ich weiß nicht, ob das nur bei mir so war, aber ausgehend von der Annahme, dass dem nicht so ist: Warum durfte das Baby-ich bedingungslos Österreicherin sein und andere Babys nicht?

Warum handelt es sich bei der selbstverständlichen Staatsangehörigkeit eines neu geborenen Kindes, bei dem sich ein Elternteil bereits seit fünf Jahren legal in Österreich aufhält, um eine „Entwertung“ der Staatsbürgerschaft? Da muss ich mich fragen, ob dem lieben Herrn Bundeskanzler eigentlich klar ist, wie herablassend und degradierend seine These gegenüber sämtlichen Menschenleben ist.

Aber hey, immerhin haben meine ausländische Straßenhündin und ihre felligen Freunde leicht einen österreichischen Ausweis bekommen. Bitte nicht falsch verstehen: Es ist wirklich toll, dass wir die Möglichkeit haben, Tiere aus dem Ausland adoptieren und damit retten zu können. Aber ist es nicht traurig, dass Tiere einfacher in Österreich ein Zuhause finden als Menschen? Dass Tiere in beheizten/klimatisierten Transportmitteln mit ausreichend Futter und Wasser besonders sanft nach Österreich kommen – aber viele Menschen zu Fuß oder mit dem Boot, egal bei welchen Witterungsverhältnissen, ohne Nahrungs- und Trinkwasserversorgung? Dass Tiere besser behandelt werden als Menschen?

Ich glaube ich weiß, was das Problem von Herrn Kurz ist. Sein Problem ist, dass die Kinder von heute die WählerInnen von morgen sein werden.

Und wenn man nun die Idee fördert, in Österreich geborenen Kindern mit ausländischen Anteilen automatisch die Staatsbürgerschaft zuzusprechen, dann würden sich die AnhängerInnen seiner Partei dezimieren.

Ich finde es wirklich erschreckend, dass die eigenen politischen Interessen gegenüber Schutz, Sicherheit und Zugehörigkeit anderer Menschen, deren Wunsch es ist, sich in Österreich ein neues Leben aufzubauen, priorisiert werden. Aber die traurige Realität ist, dass Menschen mit Menschlichkeit in Wahrheit leider genauso viel zu tun haben, wie Plastikblumen mit echten Blumen.

Melina Papadopoulos, Maturantin aus Salzburg

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1573 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1573 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 415 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    415 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 332 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    332 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 249 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    249 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 126 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    126 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2695
12. März 2024
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Kontrast Redaktion

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