Migration & Asyl

Staatsbürger werden? Es ist kaum wo so schwer wie in Österreich. Die SPÖ will das ändern.

Jedes fünfte Kind in Österreich hat keine österreichische Staatsbürgerschaft – obwohl es in Österreich auf die Welt gekommen ist. Obwohl es hier aufwächst und zur Schule geht. Männern und Frauen, die seit Jahren hier leben, arbeiten und Steuern bezahlen, bleibt die Staatsbürgerschaft verwehrt. Denn: Die Voraussetzungen – und Kosten – sind zu hoch. Die SPÖ will das ändern und Einbürgerungen erleichtern. Sie findet: Menschen, deren Lebensmittelpunkt Österreich ist, sollte der Staat nicht auf ewig als „Fremde“ behandeln. Die Staatsbürgerschaft soll keine Frage des Geldes und vor allem für Kinder leichter zugänglich sein.

Jeden Tag kommen in Österreich etwa 50 Kinder zur Welt, die hier aufwachsen, Freunde finden, zur Schule gehen werden und später einmal arbeiten und Steuern zahlen – und die dennoch nicht die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Sie leben hier, sind von hier, doch der Staat macht sie zu „Fremden“. Und die Erwachsenen? Es gibt hier arbeitende Männer und Frauen, die seit Jahren nebenan leben, hier Steuern zahlen und für die dennoch die Hürden, Bürger und Bürgerinnen zu werden, zu hoch sind. Die Kosten: zu hoch. Die Voraussetzungen: zu viele.

Ein Vergleich zwischen 52 Ländern – darunter alle EU- und OECD-Länder – zeigt: fast nirgendwo ist die Staatsbürgerschaft so unerreichbar wie in Österreich. Im Migration Integration Policy Index 2020 teilen wir uns mit Bulgarien den letzten Platz.

Das soll nicht länger so bleiben, findet die SPÖ und hat deshalb eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts erarbeitet. Das Ziel: Staatsbürger zu sein, darf keine Frage des Einkommens sein und hier aufwachsende Kinder sollen vom Staat nicht länger als Fremde behandelt werden.

Kinder: Hier geboren und aufgewachsen, trotzdem macht man sie zu “Fremden”

1 von 5 in Österreich geborenen Kindern besitzt keine österreichische Staatsbürgerschaft. Seit dem Jahr 2000 wurden etwa 250.000 Kinder in Österreich geboren – und sind mittlerweile volljährig, ohne die Staatsbürgerschaft bekommen zu haben.

Der Grund liegt darin, dass in Österreich das Abstammungsprinzip (jus sanguinis) gilt. Selbst, wenn man hier geboren ist und aufwächst, ist man nur dann StaatsbürgerIn, wenn zumindest ein Elternteil es ebenfalls ist. Sind aber beide Eltern zugewandert – selbst, wenn das vor vielen Jahren passiert ist – und sind selbst keine österreichischen StaatsbürgerInnen, dann wird das auf das hier geborene Kind übertragen. Sie bleiben dann Ausländerinnen und Ausländer. Für die Kinder geht das aber an ihrer Identität vorbei: Denn sie haben oft nichts oder wenig mit dem Herkunftsland ihrer Eltern zu tun. Sie sprechen Deutsch, leben hier und kennen das Herkunftsland nur aus Erzählungen oder Familienbesuchen.

Die SPÖ will den Zugang für Kinder erleichtern und orientiert sich dabei an anderen Ländern: In Österreich geborene Kinder sollen die Staatsbürgerschaft bekommen, wenn zumindest ein Elternteil fünf Jahre legal und unbescholten im Bundesgebiet lebt (bedingtes ius soli).

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1 von 5 in Österreich geborenen Kindern hat keine österreichische Staatsbürgerschaft.

Mit einem reformierten Staatsbürgerschaftsrecht würde sich Österreich der Praxis in anderen Ländern anpassen. Politikwissenschaftler Gerd Valchars verweist beispielsweise auf Deutschland, Belgien, Portugal und Großbritannien: Dort bekommen Kinder, deren Eltern sich mehrere Jahre im Land aufhalten, automatisch die Staatsbürgerschaft.

Die Einbürgerungsrate in Österreich ist laut Valchars sehr niedrig und liegt „seit Jahren fast konstant bei 0,7 Prozent. Das heißt von 1.000 ausländischen Staatsbürgern in Österreich werden jährlich sieben eingebürgert“, rechnet Valchars im Interview mit Puls24 vor.

Gerechtere Voraussetzungen für Erwachsene

Auch für Erwachsene will die SPÖ Hürden abbauen. So soll die Staatsbürgerschaft grundsätzlich allen offenstehen, die 6 Jahre in Österreich leben und die sich davon zumindest 3 Jahre selbst erhalten haben – also nicht zum überwiegenden Teil Sozialhilfe bezogen haben. Aktuell müssen 10 Jahre Aufenthalt nachgewiesen werden – früher geht es nur für EU/EWR-BürgerInnen, hier geborene Kinder oder nach mindestens 5 Jahren Ehe mit einem bzw. einer StaatsbürgerIn. Dadurch passieren 40 Prozent der Einbürgerungen bereits jetzt nach Ablaufen der 6-Jahres-Frist. Künftig soll diese niedrigere Schwelle für alle gelten.

Ein großes Problem ist für viele hier lebende und arbeitende Erwachsenen die hohe Einkommensgrenze für die Staatsbürgerschaft. Verdient man zu wenig, wird man nicht eingebürgert. Eine Einzelperson muss 1.000 Euro Verdienst pro Monat, ein Ehepaar fast 1.600 Euro nachweisen. Für jedes im Haushalt lebende Kind müssen etwa 155 Euro nachgewiesen werden – und das alles nach Abzug u.a. der laufenden Wohnkosten! Eine Mutter mit zwei Kindern muss also über 1.300 Euro „Rest-Netto“ vorweisen. Kaum schaffbar, wenn man sich so manche Job-Ausschreibungen ansieht: In manchen Branchen bezahlt man für 40-Stunden-Stellen so wenig, dass nicht einmal 1.200 Euro netto übrig bleiben – bevor noch die Miete bezahlt ist.

Die Hälfte der ArbeiterInnen in Österreich könnte sich Staatsbürgerschaft nicht leisten

Für die SPÖ sind diese Hürden zu hoch. Staatsbürgerschaft, so die Überzeugung, darf keine Klassenfrage sein. Die SozialdemokratInnen wollen die Einkommensgrenzen senken und darüber hinaus die Bundesgebühren abschaffen, die man für die Einbürgerung bezahlen muss. Denn die betragen derzeit bis zu 1.115 Euro – zusätzlich zu Landesgebühren, die unterschiedlich hoch sind. Hier zahlen einzelne Erwachsene je nach Wohnort und Einkommen zusätzlich rund 1.000 Euro. In Österreich kostet der Verwaltungsaufwand bis zu 864 Euro, in Tirol mit bis zu 1.700 Euro mehr als das Doppelte. Hinzu kommen noch mehrere hundert Euro für beglaubigte Übersetzungen fremdsprachiger Unterlagen. Es ist also nicht nur ein bürokratischer, sondern auch ein erheblicher finanzieller Aufwand.

Die Einkommenshürden stellen vor allem ausländische Frauen vor ein Problem. Denn die arbeiten oft prekär, in Teilzeit, und noch dazu oft in Branchen, die schlechte Gehälter bezahlen. Für sie ist die Staatsbürgerschaft ein Luxus, den sie sich nicht leisten können. Sieht man sich die Einkommensstatistik an, zeigt sich, wie hoch die Hürde ist:

Umgelegt auf die Gesamtgesellschaft könnte sich mehr als die Hälfte der Arbeiterinnen in Österreich die Staatsbürgerschaft nicht leisten, weil sie zu wenig verdienen, um die Voraussetzungen zu erfüllen. Bei den männlichen Arbeitern, die in Österreich leben, würde jeder 4. zu wenig verdienen.

SPÖ will Lehrgang statt Multiple Choice-Test

Wissen über das Kaiserreich, Reformen der 1970er Jahre, das Wahlrecht in Österreich, NGOs und EU-Institutionen: Wer die bürokratischen und finanziellen Hürden überwunden hat, muss derzeit auch einen Multiple Choice-Test bestehen. Die SPÖ stellt hier die Frage der Sinnhaftigkeit und schlägt als Alternative einen Lehrgang vor, der erklärend vermittelt, wie Österreich und die EU funktionieren. Das sei nachhaltiger als Fragen und Antworten auswendig zu lernen, finden die SozialdemokratInnen.

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Die Einkommenshürde ist vor allem für Frauen zu hoch.

Wer alle Voraussetzungen erfüllt –  nachweislich ausreichende Deutsch-Kenntnisse, Einkommen bis bestandenem Test – muss dann noch einen langen Atem haben. Denn auch wenn die Länderbehörden angeben, nach 6 bis 9 Monaten die Staatsbürgerschaft zu übertragen, kommt es immer wieder vor, dass AntragstellerInnen jahrelang warten. In Wien muss jeder 10. fünf Jahre (!) warten, bis sein Antrag auf Staatsbürgerschaft fertig bearbeitet wird.

Keine Staatsbürgerschaft zu haben, bedeutet Diskriminierung

Ohne Staatsbürgerschaft ist das Leben in Österreich ungemein schwieriger. Man ist vom aktiven und passiven Wahlrecht auf Landes- und Bundesebene ausgeschlossen. Um auf kommunaler Ebene wählen zu können, muss man zumindest EU-BürgerIn sein. Mit anderen Worten: Viele hier geborene Menschen dürfen nicht einmal in ihrem Heimatbezirk ihre Stimme abgeben oder kandidieren.

In Österreich sind knapp 1,4 Millionen Menschen im wahlberechtigten Alter vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil sie keine Staatsbürgerschaft haben. In Wien betrifft das sogar jedeN 3.

Auch bei Job-Bewerbungen und bei der Wohnungssuche ist die fehlende Staatsbürgerschaft ein Hindernis – vor allem deswegen, weil Vorurteile etwa bei VermieterInnen und RecruiterInnen immer noch weit verbreitet sind.

Bei der Frage der Staatsbürgerschaft geht es nicht darum, welche Farbe der Pass hat. Sondern darum, die Gesellschaft gleichberechtigt mitzugestalten, in der man lebt, arbeitet und seine Familie großzieht.

ÖVP will weiterhin Menschen zweiter Pass-Klasse – aus wahltaktischem Motiv

Während die Grünen den SPÖ-Vorschlag sogar so gut finden, dass sie auf ihrem eigenen Parteitag einen ähnlichen Antrag eingebracht haben, ist die ÖVP, wie auch die FPÖ und Neos, reflexartig gegen die einfachere Einbürgerung von Kindern und hier lebenden AusländerInnen. ÖVP-Innenminister Karl Nehammer behauptet, eine solche Reform würde als „Pull-Faktor“ wirken und zu mehr Immigration führen. Bloß: In vielen anderen Ländern ist der Zugang zur Staatsbürgerschaft schon wesentlich einfacher – und es ändert nichts an der Immigrations-Entwicklung.

Bundeskanzler Sebastian Kurz sieht die leichtere Einbürgerung sogar als „Entwertung“ der Staatsbürgerschaft. Er vertritt damit die Überzeugung, dass sich für staatlich anerkannte Österreicherinnen und Österreicher etwas verschlechtern würde, weil man ihre jahrelangen Nachbarinnen und Nachbarn nicht mehr als „Fremde“ behandelt.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger versucht sogar, Angst zu schüren, indem er – mit falschen Zahlen – vor „Masseneinbürgerungen“ warnt. Die SPÖ wolle damit ihre Wählerschaft vergrößern. Das heißt im Umkehrschluss, dass bei leichterem Zugang für eine bestimmte Gruppe Nicht-ÖsterreicherInnen – denn für Fußball-Profis, Opernstars und OligarchInnen stellt der Pass-Erwerb keine große Hürde dar – ein Stimmenverlust für die ÖVP droht. Eine „Entwertung“ droht höchstens der ÖVP am Stimmzettel, nicht der österreichischen Staatsbürgerschaft.

ÖVP erhält Beifall von Rechtsextremisten

Die ÖVP betreibt nicht nur verrohte Rhetorik. Was sie will, ist weniger Teilhabe für Menschen, die hier leben und arbeiten. Denn dann könnten sie sie nicht mehr so leicht als Sündenböcke vom Rest der Bevölkerung abgrenzen. Rechtsextremismus-ExpertInnen kommen zum Schluss, dass sich durch Positionen wie diese zeigt, dass sich die ÖVP rhetorisch dem rechten Rand annähert. Die Warnungen vor „Masseneinbürgerungen“ und Änderungen politischer Mehrheiten erinnert an „Identitären“-Kampagnen und FPÖ-Linie. „Was dadurch definitiv passiert, ist eine Diskursverschiebung, wie Kurz sie ja einmal selbst beschrieben hat, als er meinte: Vieles von dem, was ich heute sage, ist früher noch als rechtsradikal abgetan worden“, erklärt Andreas Peham vom DÖW. „Interessant ist, dass das in einer Koalition mit den Grünen möglich ist. Man hat eher geglaubt, dass diese Zeiten vorbei sind.“ Die Parallelen sieht auch die Rhetorik-Expertin Natascha Strobl in einer kurzen Analyse auf Twitter:

Kein Wunder, dass Rechtsextreme angesichts der Äußerungen von Kurz und Co. Beifall klatschen.

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