Dossier

EU: Schlechte Löhne im Osten, Lohndruck im Westen, Konzerne gewinnen

Mit der EU-Osterweiterung wurde die Angleichung der Löhne zwischen den Ländern versprochen – gekommen ist sie nie. In Polen verdienen Arbeiter ziemlich genau ein Drittel (33,2%) dessen, was Arbeiter in Österreich verdienen. Marginal mehr als noch vor 10 Jahren (30,3%). 3 Prozentpunkte in 10 Jahren – in dem Tempo liegen die Löhne im Jahr 2250 auf dem selben Niveau. Mehr Bewegung gibt es woanders: Immer mehr Fabriken wandern in den billigeren Osten ab; immer mehr Arbeitskräfte kommen aus dem Osten. Sie pendeln, wandern aus, oder werden im Heimatland angestellt, mit dem niedrigen ausländischen Lohn bezahlt und nach Österreich entsandt. Statt die Löhne in den neuen EU-Mitgliedstaaten zu erhöhen, steigt der Druck in den alten.

„Dass die Lohnunterschiede in der EU nicht kleiner werden, ist so gewollt“, sagt der Wirtschaftsgeograph Christof Parnreiter. „Es geht um Extraprofite für transnationale Konzerne durch grenzüberschreitendes Lohndumping”. Parnreiter forscht seit Jahren zur internationalen Arbeitsteilung, insbesondere zur Verlagerung von US-Arbeitsplätzen nach Mexiko. Dort verdienen die Arbeiter in der Autoindustrie bei gleicher Produktivität etwa ein Sechstel ihrer Kollegen in den USA. Große amerikanische Autokonzerne wie General Motors und Fiat Chrysler fertigen in Mexiko. Obwohl das Land keine eigenen Automarken hat, ist es mittlerweile der fünftgrößte Autoexporteur weltweit – die Werkbank für US-amerikanische und europäische Konzerne.

Die Lohnunterschiede in der EU haben sich in den letzten 10 Jahren nicht verbessert

Das Mexiko Europas ist in dieser Hinsicht die Slowakei. Mittlerweile haben so gut wie alle Autohersteller Werke dort. Der deutsche Konzern VW ist mit rund 14.600 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber im Land. Das slowakische Durchschnittseinkommen in der Industrie liegt bei 35,8% des österreichischen Einkommens in der Industrie. Die Lohnkosten für Konzerne wie VW sind dort also um fast zwei Drittel niedriger als in Österreich. Und das hat sich in den letzten 10 Jahren kaum geändert. „Das Lohngefälle zwischen Österreich und den osteuropäischen Ländern ist kaum kleiner geworden“, sagt Walter Gagawczuk, Lohndumping Experte in der AK Wien. Zwar ist die Slowakische Republik Spitzenreiter beim Lohnzuwachs mit 6,8 Prozent, doch auch hier würde es 40 Jahre brauchen, bis slowakische Löhne zumindest 70 Prozent der österreichischen Durchschnittslöhne erreichen würden.

Viel drastischer ist es in Ländern wie Polen: Nur 30,3% eines österreichischen Einkommens verdiente ein polnischer Arbeiter 2010, 10 Jahre später sind es gerade einmal 33,2 Prozent.

„Geht das in dem Tempo weiter, braucht Polen mehr als hundert Jahre, um zumindest 70 Prozent des österreichischen Lohnniveaus zu erreichen“, sagt Gagawczuk.

„Wir können nicht alle Fabriken abwandern lassen“

Das nützen Konzerne aus, wie auch Österreichs ArbeitnehmerInnen immer wieder zu spüren kriegen: ATB verlagert sein Werk von Spielberg nach Polen und die VW-Tochter MAN will in Zukunft ebenfalls lieber in Polen fertigen als in Steyr. „Wir können nicht alle Fabriken abwandern lassen in Länder, wo sie weniger verdienen als bei uns die Wohnung kostet“, sagt Elisabeth Dolleschall-Strasser, die mehr als 30 Jahre lang bei ATB in Spielberg gearbeitet hat.

„Die europäische Ansage zu mehr Gleichheit in Europa ist überhaupt nicht eingetreten”, sagt auch der SPÖ-Abgeordnete und Gewerkschafter Alois Stöger. Er verhandelt derzeit mit MAN über den Standort Steyr und sieht die Auswirkungen der enormen Einkommensunterschiede in der EU. „Internationale Konzerne müssten die Träger der Anpassung der Löhne in Osteuropa sein. Sie müssten dafür sorgen, dass die Löhne in Polen oder Tschechien steigen. Aber jetzt machen sie das Gegenteil und nutzen die Lohnunterschiede für Extra-Profite“, sagt Stöger. Die EU müsste Konzerne verpflichten, durch ihre Löhne das Lohnniveau in den neuen Mitgliedsstaaten zu heben. „Dann würden die Konzerne einen Beitrag zu einem einheitlichen Europa leisten.”

Strafen oder Importverbot bei Unterentlohnung

Der ehemalige US-Präsident Trump hat versprochen, US-Konzerne zu höheren Löhnen im Ausland zu zwingen und den US-Arbeitsmarkt durch Zölle zu schützen. 2018 verhandelte er ein neues Freihandelsabkommen mit Mexiko (NAFTA): 40 bis 45 Prozent der gehandelten Autos müssen von Arbeitern produziert werden, die mindestens 16 Dollar pro Stunde verdienen. Wenn Konzerne niedrigere Stundenlöhne zahlen, fallen Strafzölle von 2,5 Prozent an. Bis dahin haben mexikanische ArbeiterInnen in Autofabriken zwischen sieben und acht Dollar verdient, in den USA knapp 30 Dollar. „Die Strafzölle für Unterentlohnung sind zu niedrig, so dass die Unternehmen lieber Strafe zahlen als höhere Löhne“, sagt Wirtschaftsgeograph Parnreiter. Will man wirklich etwas ändern, müssten Konzerne deutlich höhere Strafen zahlen oder von einem Importverbot bedroht sein, schlägt Parnreiter vor und meint:

„Die EU hätte viel mehr Möglichkeiten als die USA und Mexiko, um die Löhne in Osteuropa anzuheben. Die EU ist keine Freihandelszone, sondern eine Wirtschaftsunion. Doch sie nützt ihre Möglichkeiten nicht, da fehlt der politische Wille.“

Ganz im Gegenteil war es oft die Europäische Union, die die Lohnkonkurrenz beförderte: Nach der Ostöffnung 2004 standen europäische ArbeitnehmerInnen plötzlich in Konkurrenz mit Beschäftigten, die deutlich weniger verdienten. Österreich zögerte, wie einige andere Länder, die Öffnung des Arbeitsmarktes bis 2011 hinaus. Der EU-Kommission war das damals sehr unrecht, die Frist durfte maximal sieben Jahre betragen.

Immer weniger Kollektivverträge in Osteuropa: Die Löhne stagnieren

Im Laufe der Jahre wanderten viele Arbeitskräfte nach Westeuropa aus und die Arbeitslosigkeit in den meisten osteuropäischen Ländern ging zurück. Doch die Löhne sind de facto nicht gestiegen. Warum? Seit 2010 haben die Regierungen Osteuropas Arbeitsrechte abgebaut – auch auf Druck der EU Kommission, die nach der Finanzkrise durch den Abbau von Arbeitsrechten mehr Neueinstellungen versprach. Allerdings führten die Arbeitsmarktreformen in Osteuropa vor allem dazu, dass die Löhne selbst in Phasen der Vollbeschäftigung kaum anstiegen. Besonders deutlich wird das bei den branchenweiten Kollektivverträgen:

“Der Anteil der kollektivvertraglich geregelten Beschäftigungsverhältnisse ist binnen kurzer Zeit stark gesunken”, heißt es in einer wiiw-Studie zur Lohnentwicklung in den MOEL-Ländern.

In Polen sind nur mehr fünfzehn Prozent der Beschäftigten durch Kollektivverträge geschützt, die restlichen Löhne werden überwiegend individuell ausgehandelt. Rumänien hat 2011 die Kollektivverträge auf nationaler Ebene abgeschafft, davor waren 98 Prozent der Beschäftigten durch sie abgedeckt (ähnlich wie in Österreich) – heute ist es nur mehr rund ein Drittel. Slowenien hatte bis Anfang der 2000er Jahre ein sozialpartnerschaftliches System mit hohem Organisationsgrad der Arbeiter, das hat sich 2013 geändert: Heute sind nur mehr 65 Prozent der Beschäftigten von einem Kollektivvertrag geschützt. Auch die gewerkschaftliche Organisation wurde zurückgedrängt: Von 31% der Beschäftigten im Jahr 2000 halbierte sie sich auf 17 Prozent im Jahr 2013. Das hat dazu geführt, dass die Löhne in Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn langsamer wachsen als das BIP. Die Lohnquote, also der Anteil an Arbeitseinkommen am Gesamteinkommen, ist sogar zurückgegangen in den letzten Jahren – in Polen etwa von 63 Prozent 1992 auf 48 Prozent 2017.

Österreichs Regierung blockiert Initiative zur Anhebung der Löhne

Foto: BKA

Diesen Trend wollte zumindest die EU-Kommission und die portugiesische Ratspräsidentschaft jetzt rückgängig machen. Mit der EU-Richtlinie für Mindestlöhne wurde ein Vorschlag für „angemessene Mindestlöhne in der EU“ vorgelegt. Dieser sieht einerseits vor, dass alle Staaten mit gesetzlichen Mindestlöhnen (21 von 27 EU-Staaten) „konkret definieren, worin ein ‚angemessener Mindestlohn‘ besteht“. Außerdem möchte die EU-Kommission, dass sich alle Staaten Maßnahmen überlegen, damit 70% der Beschäftigten von Kollektivverträgen erfasst sind. Etwa, indem mehr Kollektivverträge allgemeinverbindlich erklärt werden oder indem öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen mit Kollektivvertrag vergeben werden. „Die Europäische Union will dadurch etwas wieder herstellen, was sie zuvor in Ländern wie Bulgarien oder Rumänien nachhaltig zerstört hat“, sagt AK Experte Gagawczuk. Dennoch ist Österreichs Regierung gegen den Vorschlag und blockiert selbst diese kleine Initiative zur Anhebung der Löhne in Ost- und Südeuropa. Gagawczuk erzählt, dass sich in den letzten Jahren die Haltung der Arbeitgeberseite verschoben hat. Bis vor wenigen Jahren gab es auch von den Wirtschaftsvertretern in Österreich Zustimmung zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, heute sind andere Interessen dominant, sagt Gagawczuk.

Firmen wandern ab, Arbeiter wandern ein

Die niedrig gehaltenen Löhne in Osteuropa führen natürlich nicht nur zur Abwanderung von Firmen nach Osteuropa, sondern auch zu Migration von Ost nach West: „Für Tätigkeiten, die man nicht nach Osteuropa auslagern kann, werden Menschen aus Osteuropa geholt: Putzen, Kochen, Pflege oder Bau. Die Abwanderung ins Ausland und die Arbeitsmigration nach Österreich sind beides Strategien zur Erhöhung des Profits”, erklärt Wirtschaftsgeograph Parnreiter.

Am stärksten haben das Regierung und Unternehmer in Großbritannien befördert. England gehört zu den Ländern, die nach der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 ihren Arbeitsmarkt ohne Übergangsfrist für Personen aus den neuen Mitgliedstaaten öffnete. Seither ist die Arbeitsmigration alle vier Jahr um fast eine Million gewachsen. Das hat Beschäftigte im Niedriglohnsektor am stärksten getroffen, mit jedem Anstieg des Migrationsanteils um ein Prozent in einer Branche sank der Lohn um 0,6 Prozent, wie eine britische Studie von 2013 zeigt. Die ungebremste Lohnkonkurrenz am britischen Arbeitsmarkt gilt als eine Ursache für den Ausgang der Brexit-Abstimmung in der Arbeiterschaft.

Während durchschnittliche Arbeitnehmer und Hochqualifizierte insgesamt von Zuwanderung profitieren, sind niedrigqualifizierte ArbeitnehmerInnen verstärktem Wettbewerbs- und Lohndruck ausgesetzt. Für MigrantInnen, die bereits länger in einem Land leben, kann sich die Situation durch zusätzliche Einwanderung sogar verschlechtern.

„Die Zuwanderer konkurrieren mit den untersten Schichten des Arbeitsmarktes, meistens mit den Migranten, die schon länger da sind. Die Bulgaren mit den Serben und Kroaten. Die Lohnkonkurrenz drückt die Löhne dort, zum Beispiel unter Landarbeitern“, sagt Parnreiter. Vielen Österreichern hat die Arbeitsmigration dagegen den Aufstieg ermöglicht, etwa Polizist statt Bauarbeiter zu werden.

„Dass weniger Lohn für Menschen aus Osteuropa trotzdem noch gut ist, heißt nur: Die Verhältnisse im Herkunftsland sind zu schlecht“, sagt Parnreiter. Der Durchnittslohn in Bulgarien beträgt etwa 617 Euro brutto im Monat. Für BulgarInnen ist es daher attraktiv im österreichischen Niedriglohnsektor, etwa in der 24h-Betreuung, in der Reinigung oder am Bau zu arbeiten – selbst mit guter Bildung. Als ErntehelferIn kommt man mit fünf Euro die Stunde und einer 40 Stunden-Woche auf einen Bruttomonatslohn von rund 800 Euro. Addiert man die Familienbeihilfe dazu, liegt man schon 500 Euro über dem Bulgarischen Durchschnittslohn. Bulgarien verliert deshalb massiv an Einwohnern: Um 20 Prozent weniger Menschen leben im Land, gegangen sind vor allem die Jungen und besser Ausgebildeten.

Bevölkerung in Osteuropa schrumpft

In den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern ist es in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem massiven Rückgang der Bevölkerung gekommen. Einige Länder leiden aufgrund der Abwanderung mittlerweile an einem Mangel an ÄrztInnen, sowie Kranken- und AltenpflegerInnen. Wie sich Österreich um slowakische und rumänische BetreuerInnen bemüht, müssen Tschechien und die Slowakische Republik ukrainische oder russische ÄrztInnen und PflegerInnen anwerben und Pflegepersonal von den Philippinen holen. Das Problem des fallenden Arbeitskräfteangebots wird sich in den nächsten Jahren in Osteuropa weiter zuspitzen.

Eine Reihe von Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) gelangte zu dem Schluss, dass die Wirtschaft in den osteuropäischen Ländern unter der Abwanderung gelitten hat. In Summe habe das Wachstum in den osteuropäischen Ländern dadurch abgenommen, die wirtschaftliche Angleichung innerhalb Europas soll verlangsamt worden sein. Dazu kommt, dass die Gewinne in osteuropäischen Fabriken in die Firmenzentralen Westeuropas abfließen – im Land bleiben nur die Löhne der Beschäftigten. Laut dem Ökonomen und Ungleichheitsforscher Thomas Piketty gehört mehr als die Hälfte der produzierenden Firmen in Osteuropa ausländischen Eigentümern, die die Gewinne aus dem Land ziehen. Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis kritisierte im Interview mit „Le Monde“ 2018:

„Ja, ihr gebt uns Geld, aber auf der anderen Seite haben eure Unternehmen hier investiert und ziehen jedes Jahr mehr als 10 Milliarden als Dividenden ab, und zahlen ein Drittel der französischen Löhne.“

Will man Osteuropa Entwicklungsmöglichkeiten geben, müssen die Gewinne im Land reinvestiert werden, statt in die Konzernzentralen oder in Steueroasen zu fließen.

Österreichische Bahn fährt mit ungarischem Bordservice

Aber eine solche ausgleichende Industriepolitik fehlt in Europa, sagt Wirtschaftsgeograph Parnreiter. Und auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) trägt seit vielen Jahren dazu bei, dass die Freiheiten für Unternehmer und Kapital über den sozialen Rechten in der EU stehen. Österreich hat das etwa bei dem Urteil zu „Henry im Zug“ zu spüren bekommen: Die Do&Co-Gruppe stellte für das Bordservice in einigen ÖBB-Zügen ungarische Arbeitskräfte zu Löhnen weit unter dem österreichischen Kollektivvertrag an – über die ungarische Firma Henry am Zug Hungary Kft. Der Europäische Gerichtshof segnete das ab, weil die Beschäftigten in Ungarn ihren Dienst antraten und beendeten und daher nicht unter österreichisches Recht fielen.

Der Generalstaatsanwalt am EuGH sagt dazu in der Begründung zynisch: „Was für manche Sozialdumping ist, ist für andere schlicht Beschäftigung.“

2014 urteilte der EuGH, dass verpflichtende Mindestlöhne bei öffentlichen Aufträgen eine unzulässige wirtschaftliche Belastung und nicht mit dem EU-Binnenmarkt vereinbar. Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund will die Schuld dafür aber nicht dem EuGH geben: „Es fehlen gemeinsame europäische Regeln in sozialpolitisch relevanten Bereichen, auf die sich der EuGH berufen kann“, sagt Wixforth. Dort, wo es andere Regeln gibt, etwa beim Diskriminierungsverbot (in Bezug auf Nationalität, Geschlecht, Alter u.v.m.), hat der EuGH sich als Motor erwiesen. „Wir müssen in mehr sozialpolitischen Rechtsbereichen europäische Mindeststandards schaffen.“

Osteuropäische Arbeiter in der Fleischindustrie

Die EU kann letztlich „nicht von Kräfteverhältnissen auf staatlicher und internationaler Ebene losgelöst betrachtet werden. Solange europäische Konzerne massiv von der Lohnkonkurrenz profitieren, wird sich von selbst nichts ändern”, sagt die Wirtschaftsgeographin Christin Bernhold. Sie forscht zu den Arbeitsbedingungen in der deutschen Fleischindustrie. „Um wirklich etwas zu bewegen, muss mehr Druck von unten entstehen und eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften Europas stattfinden“, sagt Bernhold.

Unter welchen Bedingungen OsteuropäerInnen in Europa schuften müssen, wurde im letzten Jahr in der Fleischindustrie für eine breite Öffentlichkeit sichtbar. Mehrere tausend ArbeiterInnen steckten sich im deutschen Mega-Schlachtbetrieb von Tönnies mit Corona an. Dort, wo am Tag 30.000 Schweine geschlachtet werden, arbeiten vor allem Leiharbeiter aus den osteuropäischen Ländern. „Die Menschen waren bis 2021 nicht direkt angestellt, sondern arbeiten über Werkverträge für Subunternehmen. Den Mindestlohn gab es zwar am Papier, er wurde aber systematisch unterlaufen“, erklärt Christin Bernhold. Weil die Arbeitsbedingungen in Deutschland so schlecht waren, hätten sogar niederländische und dänische Unternehmen mittlerweile Fleischfabriken nach Deutschland verlagert. „Deutschland ist zum Billiglohnland in der Fleischindustrie geworden“, sagt Bernhold. Doch das Lohndumping geht weiter: Trotz niedriger Löhne im Land verlagern deutsche Fleischkonzerne wie Tönies oder PHW Teile der Produktion nach Osteuropa. PHW-Konzernchef Peter Wesjohann erklärt die Investitionen in Polen so: Das Land habe „viel niedrigere Lohn- und Baukosten“ und vorteilhaftere Tierschutzbestimmungen. Das heißt: Menschen und Tiere können dort noch besser ausgebeutet werden.

Es ist billiger Strafen zu zahlen, als Menschen anständig zu entlohnen

Die deutsche Fleischindustrie ist mit einem Umsatz von 45,7 Milliarden Euro im Jahr der umsatzstärkste Teil der Ernährungsbranche in Deutschland – nach Autoindustrie, Maschinenbau und der chemisch-pharmazeutischen Industrie. In Österreich liegt der Umsatz der Fleischindustrie bei rund drei Milliarden Euro. Auch hier stammen 80 Prozent der ArbeiterInnen aus Osteuropa, mehrheitlich aus Ungarn. In Österreich gelten zumindest Kollektivverträge für die Beschäftigten, in Deutschland nicht. Dort gibt es seit Jänner das „Arbeitsschutzkontrollgesetz“ (ASKG), das Werkverträge und Leiharbeit ab 50 Beschäftigten verbietet. Wirtschaftsgeographin Bernhold kritisiert, dass das Gesetz zu wenig Kontrollen und niedrige Strafen vorsieht.

Ein ähnliches Problem mit Kontrollen hat auch Österreich. 450 FinanzpolizistInnen ermitteln in Österreich. „Die Zahl der Entsendungen aus Osteuropa ist zwar deutlich gestiegen, aber die Finanzpolizei verliert an Personal“, sagt Lohndumpingexperte Gagawczuk. Dazu kommt, dass auch in Österreich die Strafen zum Teil niedriger sind als die Unterentlohnung: „Bei rund 20 Prozent der Strafen ist die Strafe kleiner als die Summe der Unterentlohnung. Das müsste man zum Anlass nehmen, um das Strafsystem zu ändern. Der aktuelle Entwurf geht aber in eine andere Richtung“, sagt Gagawczuk.

Wenn die Spargelbauern 14 Euro in der Stunde zahlen würden, würden das Studenten machen. Und auch “die Müllabfuhr in Wien hat nie Probleme, Arbeitskräfte zu finden, weil die gut bezahlt werden.”

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Reinhard Schmidl
Reinhard Schmidl
13. November 2021 12:32

Was sagt eigentlich der EU-Vranz dazu:
Mit der EU-Osterweiterung wurde die Angleichung der Löhne zwischen den Ländern versprochen – gekommen ist sie nie. In Polen verdienen Arbeiter ziemlich genau ein Drittel (33,2%) dessen, was Arbeiter in Österreich verdienen. Marginal mehr als noch vor 10 Jahren

Mikail
Mikail
Reply to  Reinhard Schmidl
1. Juni 2022 00:05

Deswegen werden Fachkräfte aus Österreich auswandern. Und übrig bleiben die schmarotzer!

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