Orbán-Gesetz: Beschäftigte müssen 400 Überstunden im Jahr machen – gezahlt wird erst nach 3 Jahren

Ohne öffentliche Debatte und an der Sozialpartnerschaft vorbei hat die Partei von Viktor Orbán das ein neues Arbeitszeit-Gesetz beschlossen. Im Dezember 2018 hat es der ungarische Präsident besiegelt: 400 Überstunden pro Jahr werden ungarische Beschäftigte nun leisten. Das heißt: Kein Arbeitstag ohne Überstunde. Mehr noch: Unternehmen dürfen sich 3 Jahre Zeit lassen, um diese Überstunden zu bezahlen. Tausende Ungarn haben gegen das Gesetz protestiert. Wir haben mit dem ungarischen Gewerkschafter Károly György über das Gesetz und die Folgen für ungarische Beschäftigte gesprochen.

Gewerkschaften befürchten, dass Beschäftigte zu Überstunden verpflichtet werden, ohne diese entsprechend bezahlt zu bekommen. 130 Abgeordnete der Regierungspartei FIDESZ haben das Gesetz vergangenes Jahr gegen 52 Gegenstimmen und eine Enthaltung im Parlament beschlossen. Im Dezember 2018 ist das Gesetz mit der Unterschrift des ungarischen Präsidenten János Áder in Kraft getreten.

10.000 Menschen protestierten gegen die Orbán-Regierung in Budapest

Die Argumentation von Viktor Orbán ähnelt jener von ÖVP und FPÖ als sie – mit den NEOS – den 12-Stunden-Tag durchgepeitscht haben: Die Beschäftigten wollen länger arbeiten und „ihre Gehälter aufbessern„. Und: Wie in Österreich ignoriert auch die Regierung in Ungarn die Proteste tausender Beschäftigter in der Hauptstadt. Haben im Juni 2018 100.000 Menschen in Wien gegen den 12-Stunden-Tag protestiert, sind in Budapest 10.000 Menschen auf die Straße gegangen. Es sind die heftigsten Proteste in Ungarn seit mehr als zehn Jahren.

Károly György ist interationale Sekretär des Ungarischen Gewerkschaftsbund (MASZS). Mit ihm haben wir über das neue Arbeitszeitgesetz und die Proteste in Budapest gesprochen.

Das Gesetz kam nicht aus dem Nichts. Wie lange gab es Diskussionen? War absehbar, dass Viktor Orbán so ein Gesetz vorhat und umsetzt?

György: Es gab keine wirkliche Diskussion im Vorfeld. Die Gesetzesänderung wurde als Antrag eines einzelnen Abgeordneten vorgelegt, der keine Konsultation oder Begutachtung erfordert. Diese Verfahrensregel wurde von der Regierung von Viktor Orbán in den letzten Jahren weitgehend missbraucht, um Beteiligung und öffentliche Debatten zu vermeiden – so sollten auch die Sozialpartner übergangen werden.

War absehbar, dass die FIDESZ – mit welcher Initiative auch immer – ein Arbeitszeitgesetz in dieser Richtung anstrebt?

György: Nun ja, vor ein paar Wochen hat der ungarische Außenminister schon gegenüber der deutschen Presse erklärt, dass Unternehmen, die in Ungarn investieren, schon lange forciert haben, dass die für ihre erhöhten Investitionen erforderlichen Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Unter dem Schlagwort „Wettbewerbsfähigkeit“ hat die FIDESZ jahrelang erzählt, dass man Ungarn attraktiver für Investitionen aus dem Ausland machen muss. Zum Beispiel was die deutsche Automobilindustrie anbelangt.

Welche Branchen werden das Gesetz besonders ausnützen?

György: Praktisch gilt das Gesetz für alle Arbeitnehmer in Ungarn. Vor allem in der verarbeitenden Industrie und der Automobilindustrie ist der Produktionszyklus hektischer, da sind Überstunden an der Tagesordnung. Da geht’s übrigens meist um deutsche Unternehmen, die in Ungarn produzieren. Bis jetzt war die Anzahl der jährlichen Überstunden mit maximal 250 begrenzt. Die Möglichkeit, mehr abzuverlangen, wurde je nach Branche in Kollektivverträgen gesondert geregelt. Doch jetzt hat sich das Überstunden-Maximum auf 400 erhöht. Das Unternehmen macht es sich jetzt individuell mit den Beschäftigten aus. Aber was heißt das?

Zwischen Chef und Arbeitnehmer besteht ja ein Machtverhältnis. Wer wird beim Chef nein sagen? Die Abhängigkeit der ArbeitnehmerInnen von ihren Chefs wird definitiv zu einem Missbrauch des Gesetzes führen.

Was hat es mit diesen 3 Jahren Wartezeit auf das Überstundengeld auf sich?

Károly György, interationaler Sekretär des Ungarischen Gewerkschaftsbunds

György: Der Durchrechnungszeitraum wurde von 12 auf 36 Monate ausgedehnt. Dadurch können sich absurde Situationen ergeben. Zum Beispiel: Arbeitgeber können verlangen, dass die Arbeitnehmer zwei Jahre lang praktisch 6 Tage in der Woche arbeiten, also jeden Tag Überstunden machen. Im dritten Jahr ordnen sie an, dass die Beschäftigten zu Hause bleiben. Im Durchrechnungszeitraum von 3 Jahren verschwinden die Überstunden dann und werden also allesamt nicht als solche ausbezahlt. Dann waren das zwei Jahre überlange Arbeitstage, die nicht adäquat entlohnt werden.

Die FIDESZ argumentiert, die ungarischen Arbeitnehmer könnten sich mit mehr Überstunden die „Gehälter aufbessern“.

György: Löhne und Gehälter müssen so gestaltet sein, dass Beschäftigte auch von 8 Stunden Arbeit am Tag gut leben können. Wenn etwas geändert gehört, dann die Löhne – die müssen höher werden, nicht die Arbeitszeit länger.

In Österreich gibt es im Jahr bis zu 45 Millionen unbezahlte Überstunden. Sind unbezahlte Überstunden in Ungarn ein Problem?

György: Für Überstunden gibt es normalerweise einen Zuschlag von 50%, was durch zusätzliche Freizeit kompensiert werden kann. Bei Überstunden an Ruhetagen wird der Zuschlag auf 100% festgesetzt.

68% der Beschäftigten leisten wöchentlich 7 Überstunden. Doch das Problem ist, dass 41% dieser Überstunden nicht bezahlt werden (EPSON-Umfrage 2017).

Was werden sonst noch Folgen des neuen Gesetzes sein?

György: Die ArbeitnehmerInnen sind künftig der Gunst des Arbeitgebers unterworfen. Ein großer Teil von ihnen ist ungeschützt. 71% der Beschäftigten im privaten Sektor arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen, in denen es kaum Gewerkschaften und Kollektivverträge gibt. In öffentlichen Unternehmen, der Eisenbahn, der Post etc., gibt es Verpflichtung, das Arbeitszeitgesetz anzuwenden. Also gibt es keine Möglichkeit, Kollektivverträge zu verbessern. Der MASZSZ (der Ungarische Gewerkschaftsbund) appelliert an den ungarischen Präsidenten János Áder, das Gesetz zur erneuten Prüfung an das Parlament zurückzuverweisen. Wir werden eine Stellungnahme der Europäischen Kommission zum Verstoß gegen die Arbeitszeitrichtlinie einholen und parallel Protestaktionen in großem Umfang organisieren. Es wird Demonstrationen geben und wir beraten, ob es Streiks braucht, um genügend Druck aufzubauen.

Wie ist man mit den Protesten umgegangen?

György: Im öffentlichen Fernsehen und Radio gab es keine Berichte über die Proteste. Im Gegenteil: Im Fernsehen hat man Bilder der Demonstration gezeigt und behauptet, es handelt sich um Spaziergänger, die die Weihnachtsdekoration in Budapest bewundern.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 59%, 1547 Stimmen
    59% aller Stimmen 59%
    1547 Stimmen - 59% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 404 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    404 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 327 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    327 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 242 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    242 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 120 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    120 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2640
12. März 2024
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