Dossier

Wie Staat und Steuern unser Leben leichter machen

Hätten wir einen schlanken Staat und niedrigere Steuern – alles wäre einfacher: mehr Freiheit, mehr Geld für alle. Ganz simpel … oder? Ganz im Gegenteil! Es sind unsere Beiträge und der Wohlfahrtsstaat, die uns ein Leben in Freiheit und Sicherheit ermöglichen und uns im Endeffekt reicher machen.

Pascal Salin, ehemaliger Wirtschaftsprofessor an der Universität Paris-Dauphine, zeigt wie kompliziert, unpraktisch und teuer der Alltag in einer Gesellschaft ohne Steuern und Staat wäre:

„Alle betrachten zum Beispiel die Bürgersteige einer Stadt als Gemeingut, das durch Steuergelder finanziert werden muss. Doch angenommen, man würde beschließen, dass Bürgersteige von jedermann hergestellt werden können. Dann gebe es Mautsysteme, bei denen man zum Beispiel einen Chip im Schuh hätte, der misst, wie viele Kilometer man im Monat auf den Bürgersteigen zurückgelegt hat. Und dann bekäme man die Rechnung dafür.“

Das Beispiel lässt sich weiterdenken:

  • Nur jene zahlen in das Gesundheitssystem ein, die das Pech haben, krank zu werden – die dafür sehr, sehr viel.
  • Nur wohlhabende Regionen können sich PolizistInnen und Sicherheit auf der Straße leisten.

Es wäre eine Gesellschaft, verschärfter Ungleichheit verschärft.

Einen schwachen Staat können sich nur Reiche leisten.

Wir nutzen täglich steuerfinanzierte Gemeingüter

In Österreich zu leben, bedeutet, sich beim Frühstück nicht die Frage zu stellen, ob das Leitungswasser sauber ist. Noch vor der Arbeit bringt man die Kinder in die Schule oder in den Kindergarten – beides Bildungseinrichtungen, die für alle zugänglich sind. Der Weg zur Arbeit ist einfach zurückzulegen: Sowohl mit dem Auto als auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – denn Straßen und Schienen werden instandgehalten und ständig ausgebaut.

UnternehmerInnen können Waren und Dienstleistungen problemlos transportieren und an KundInnen liefern. Wird man krank, oder verletzt sich eines der Kinder, sind Ärztezentren und Krankenhäuser in der Nähe und alle notwendigen Leistungen sind abgedeckt. Wir alle nutzen jeden Tag Gemeingüter – und genau sie erleichtern unseren Alltag. Finanziert werden sie teilweise über Versicherungsbeiträge, vor allem aber durch Steuern.

Was sind Steuern überhaupt?

Steuern sind der Beitrag, den jeder Einzelne leistet, um Leistungen, die der Staat bietet, zu finanzieren. Nicht alle haben gleich viele Ressourcen, daher leistet jeder so viel, wie er kann. Ziel ist eine starke Gemeinschaft, in der weder Kinder, noch Ältere, noch Kranke oder Arme zurückgelassen werden.

In der freien Marktwirtschaft gibt es nichts, das für eine gerechte Verteilung der Ressourcen sorgt. Dafür brauchen wir das Steuerwesen.

Woher kommen Steuern?

Als Bemessungsgrundlage für Beiträge dienen Einkommen, Vermögen, Konsum und Gewinne. Die Steuersätze legen fest, wie hoch diese Bereiche jeweils besteuert werden. Während bei der Mehrwertsteuer Vermögende wie KleinverdienerInnen gleich viel Beiträge leisten, ist der Steuersatz auf Einkommen progressiv: Je höher das Einkommen, desto größer der steuerliche Beitrag.

Über Investitionen, Förderungen und Transferleistungen fließen die Einnahmen in die Bevölkerung zurück. Dabei sollen soziale Schieflagen nach Möglichkeiten ausgeglichen werden. Die Summe der Auszahlungen für 2017, die im Budget vorgesehen ist, beträgt beispielsweise rund 77,5 Milliarden Euro.

Wo fließt das Steuergeld hin?

Mit 9,7 Milliarden werden Gerichte, die Polizei und deren Ausrüstung finanziert, die unseren Rechtsstaat erhalten. Mit 14 Milliarden wird unser Bildungssystem, werden also Kindergärten, Schulen, auch Berufsschulen bis hin zu Fachhochschulen und Universitäten finanziert. 39,2 Milliarden – also mehr als die Hälfte der Beiträge – fließen über Ausgaben Pensionen, Pflege, Hospiz- und Palliativversorgung, Impfprogramme, Stipendien, Kindergeld, Frauenberatungsstellen und vieles mehr in die Gesellschaft zurück. 2017 zum Beispiel werden rund 1,6 Milliarden Euro für Beschäftigungsförderung aufgewendet.

Vieles von dem, was für uns selbstverständlich zum Alltag gehört, ist durch steuerliche Beiträge Wirklichkeit geworden.

Steuern senken und sparen – schlecht für die Wirtschaft

Weniger Steuern einheben und dafür bei den Ausgaben sparen – so lautet die Heilsbotschaft jener, die einen schwachen Staat fordern. Dabei zeigt sich: Bei den Ausgaben sparen, rentiert sich nicht für die BürgerInnen, denn sie erhalten weniger Leistungen. Es rentiert sich aber auch nicht für die Wirtschaft. Denn weniger Ausgaben bedeuten auch weniger Investitionen, weniger Förderungen. Die deutsche Ökonomin Katja Rietzler argumentiert, dass sich Sparpolitik nicht rechnet:

„Senke ich die Steuern um eine Milliarde, dann steigt vielleicht das BIP um eine halbe Milliarde. Der Effekt ist da, aber er ist unter 1. Bei öffentlichen Investitionen habe ich größere Effekte, oberhalb von 1. Wenn ich Investitionen um eine Milliarde erhöhe, steigt das BIP um mehr als 1 Milliarde.“

Erst Investitionen bedeuten schlussendlich mehr Wachstum und daher mehr Jobs.

„Weniger Staat“ ist ganz schön teuer

Die Annahme, dass es uns besser ginge, wenn wir weniger Abgaben an den Staat leisten, ist falsch. Vielmehr machen erst vergemeinschaftete Güter und Dienstleistungen unser Leben einfacher und günstiger. Sehen wir es uns am Beispiel der Gesundheitsausgaben und anhand eines Ländervergleiches an:

Die USA sind zwar bei den Aufwendungen für Gesundheit Spitzenreiter mit 8.508 Dollar Gesundheitsausgaben pro Kopf – allerdings müssen mehr als die Hälfte davon, etwa 4.500 Dollar – privat von BürgerInnen bezahlt werden. In Deutschland (Ausgaben 4.495 Dollar pro Kopf) und Österreich (4. 896 Dollar) wird der Großteil öffentlich finanziert sowie über Beiträge in die Sozialversicherung.

In den USA ist eine gute medizinische Versorgung nur für jene möglich, die ein hohes Einkommen haben oder vermögend sind. Um in den Vereinigten Staaten im Krankheitsfall genauso gut abgesichert zu sein, müssen KleinverdienerInnen einen ungleich höheren Anteil aufbringen, um das zu finanzieren.

Ein derartiges System schreibt nicht nur Ungleichheit fest, sondern liefert auch schlechtere Ergebnisse. Ein Gradmesser dafür ist die Lebenserwartung: In den USA liegt sie bei 78,9 Jahren, in Deutschland bei 81,2 Jahrein Österreich sogar bei 81,6 Jahren.

Hierzulande ist die Krankenversicherung in einer Form vergemeinschaftet, dass jeder seinen Beitrag leistet und im Krankheitsfall oder nach einem Unfall abgesichert ist. Ähnlich ist es bei der Sozialversicherung und verfügbaren Leistungen im Falle eines Jobverlustes.

Wie das in Österreich im Fall der Krankenversicherung aussieht, zeigt eine Bilanz der SVA (Stand 2015):

Vergemeinschaftung nützt – darüber sollten wir reden!

Steuerdebatten sind legitim. Vor allem sollten wir diskutieren, welche Bereiche wir als Gesellschaft solidarisch organisieren wollen und was Folgen eines Abbaus von Gemeingütern sind. Denn was als „Mehr Eigenverantwortung“ beworben wird, bedeutet in der Regel höhere Kosten für jeden Einzelnen und damit eine Schlechterstellung für die, die wenig zum Leben haben.

Kollaborativer Journalismus
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Zum Weiterlesen:

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
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12. März 2024
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Kathrin Glösel

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