Migration & Asyl

186 statt 5.000 Kinder aufgenommen: ÖVP-Regierungsmitglieder lügen bei Zahlen zu Flüchtlingen

Wie viele geflüchtete Kinder gibt es in Österreich? Und wie viele von ihnen nahm Österreich im vergangenen Jahr auf? Die ÖVP rechtfertigte ihre Blockadehaltung 2020 damit, dass man schon genug Kinder aufgenommen habe. Zivilbevölkerung und andere Parteien wollten wenigstens Kinder aus den griechischen Elendslagern aufnehmen. Von über 5.000 unbegleiteten Minderjährigen sprachen Integrationsministerin und Innenminister damals. Nun zeigt sich: Es waren gerade einmal 186.

Kurz vor Weihnachten entbrannte in Österreich erneut die Diskussion um Aufnahme von Menschen aus den griechischen Elendslagern. Nachdem im September das Lager Moria abgebrannt war, harrten Tausende monatelang unter freiem Himmel aus. Unter ihnen auch viele Familien und unbegleitete Kinder. Hilfsorganisationen, Prominente, Glaubensgemeinschaften, die Opposition (mit Ausnahme der FPÖ) forderten die Bundesregierung auf, wenigstens Kinder aufzunehmen. Sogar den Vorschlag, Frauen und Kinder aufzunehmen, musste Vizekanzler Kogler als „Privatmeinung“ relativieren. Die ÖVP blieb hart. Im Parlament stimmte der grüne Juniorpartner mit der Volkspartei mehrfach gegen die Aufnahme. Kein einziges zusätzliches Kind wurde aus den griechischen Lagern nach Österreich geholt.

ÖVP verdreißigfacht Zahlen

Um ihr Vorgehen zu rechtfertigen, verkündeten Innenminister Nehammer und auch Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) kurz vor Weihnachten, Österreich würde genug tun und habe im vergangenen Jahr 5.000 unbegleitete Kinder und Jugendliche aufgenommen und Schutz gegeben. Wie sich durch eine parlamentarische Anfrage von Neos-Abgeordneter Stephanie Krisper herausstellte, entspricht das nicht der Wahrheit. Tatsächlich fand ein Bruchteil der angegeben Kinder Aufnahme im Land.

Im Jahr 2020 bekamen nur 186 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge einen Schutzstatus in Österreich zuerkannt. Das sind 4834 oder 27 Mal weniger, als die ÖVP-Integrationsministerin behauptete.

„Innenminister Nehammer und Integrationsministerin Raab wurden nicht müde, sich ständig für die hohe Zahl an aufgenommenen Kindern selbst auf die Schulter zu klopfen und damit zu erklären, warum man keine weiteren Kinder aufnehmen könne“, kommentierte Christian Oxonitsch, Bundesvorsitzender der Österreichischen Kinderfreunde, das Vorgehen der schwarzen Regierungsmannschaft. Dass diese Zahlen um ein Vielfaches übertrieben waren, sei ein besonderer Akt des Zynismus, urteilt er.

Nehammer: 5.000 Minderjährigen „Schutz gewährt“

Österreich habe 5.000 unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen „Schutz gewährt“, verkündete Innenminister Nehammer. Und ganz unrichtig ist das nicht, wenn man „Schutz gewähren“ wohlwollend auslegt: Insgesamt hielten sich 2020 5.730 Kinder mit Schutzstatus in Österreich auf. Was Innenministerin Raab in der ZiB 2 vom 16. Dezember verkündete, nämlich dass Österreich 5.000 unbegleitete Minderjährige nur im Jahr 2020 aufgenommen habe, muss man schlicht als unwahr beurteilen.

Denn von den 5.730 Kindern und Jugendlichen wurden 3.220 in Österreich geboren. Ihre Eltern kamen teilweise vor fünf, zehn oder 15 Jahren ins Land, wie Herbert Langthaler, Sprecher der Asylkoordination, erklärt. 2.314 Minderjährige bekamen im vergangenen Jahr tatsächlich Schutz zuerkannt. Sie kamen allerdings mit ihren Eltern ins Land – und das großteils schon vor Jahren, etwa im Zuwanderungsjahr 2015. Ihre Verfahren wurden lediglich erst im vergangenen Jahr positiv abgeschlossen. Gerade einmal 186 Kinder und Jugendliche kamen tatsächlich im vergangenen Jahr ohne erwachsene Begleitung nach Österreich.

Wie viele geflüchtete Kinder gibt es in Österreich? Und wie viele nahm Österreich 2020 auf? Grafik: Asylkoordination.

Innenministerium knausert mit Zahlen

Dass Krisper, die die „nachweislich falschen Zahlen“ der ÖVP „zutiefst unseriös“ und „moralisch verwerflich“ findet, diese Zahlen per Anfrage zutage fördern musste, liegt daran, dass das zuständige ÖVP-Ministerium Asylstatistiken nur bruchstückhaft und sehr spät ausgibt. „Das Innenministerium muss endlich umfassende Statistiken zum Asyl- und Fremdenwesen zur Verfügung stellen“, fordert deswegen Langthaler. Er hofft auf Besserung durch das anstehende Informationsfreiheitsgesetz, „um Desinformation von Regierungsseite zu verhindern“.

Auch, wie viele Kinder und Jugendliche in den letzten Jahren abgeschoben wurden, gibt das Innenministerium nicht von sich aus bekannt. Laut Asylkoordination wurden 2020 – einem durch Corona besonders abschiebungsarmen Jahr – sogar 67 Minderjährige abgeschoben. Das entspricht 1,3 Kindern pro Woche.

Integrationsministerin Raab lügt oder kennt ihr Ressort nicht

Dass die ÖVP nun „Kraut und Rüben zusammenwerfe“, wenn es um die Aufnahme von Kindern geht, bezeichnet die Asylkoordination in einer Aussendung als „statistischen Taschenspielertrick“. Als „Bankrotterklärung“ für Integrationsministerin Raab bezeichnet ihr Sprecher die Causa auf Twitter:
Entweder sie wusste von der Unwahrheit oder sie hat keine Ahnung, um wie viel ihre Angaben von der Wahrheit entfernt sind. In beiden Fällen ist sie als Integrationsministerin nicht mehr tragbar“, urteilt Langthaler.
Man tue immer so, als würde Österreich „im Land nichts leisten“, damit wollte Raab aufräumen. Nun zeigt sich: Ihre Zahlen sind schlicht falsch.

350 Kinder 2020 in Österreich verschwunden

Die Situation von Kindern, die tatsächlich ohne Eltern nach Österreich kommen, ist besonders prekär. Jedes Jahr verschwinden hunderte Kinder und Jugendliche spurlos, die ohne Eltern nach Österreich gekommen sind. Laut Asylkoordination wurden von 888 unbegleiteten Minderjährigen, die in Österreich einen Asylantrag stellten, lediglich 126 in Einrichtungen der Länder übernommen. Besonders viele verschwänden, wenn sie aus dem Erstaufnahmelager Traiskirchen in westlichere Bundesländer überstellt werden sollen. Dass das an der Attraktivität der Bundeshauptstadt liegt, bezweifelt Herbert Langthaler. Experten befürchten, dass die Kinder aufgrund der mangelnden Betreuung in die Kriminalität abrutschen und untertauchen. „Erstaufnahmezentren des Bundes sind keine Orte für Kinder“, weiß der NGO-Sprecher. Eigentlich sollten die Kinder dort nur einige Tage bleiben und dann in die auf Kinder- und Jugendhilfe spezialisierten Betreuungseinrichtungen der Länder ziehen. Stattdessen bleiben sie monatelang in Bundesverwahrung, wo nicht ausreichend für sie gesorgt werden kann, wie die Zahlen belegen.

Selbst wenn in Rechnung gestellt wird, dass ein Teil als volljährig erklärt wird und etliche in andere EU-Staaten gebracht werden, weil sie dort Familie haben oder schon ein abgeschlossenes Asylverfahren durchlaufen haben, bleiben über 350 Kinder, über deren Verbleib nichts bekannt ist“, rechnet die Asylkoordination vor. Dass die Bundesregierung hier nicht tätig wird, kann Langthaler nicht verstehen. Schließlich ist es ihre Verantwortung, für das Wohl der Kinder zu sorgen.

Wie sollen wir in Österreich die Teuerung bzw. ihre Folgen bekämpfen?

Maximal 4 Antwortmöglichkeiten

  • Steuern auf Arbeit senken, dafür Steuern auf Millionenvermögen erhöhen 21%, 43 Stimmen
    21% aller Stimmen 21%
    43 Stimmen - 21% aller Stimmen
  • Übergewinnsteuer für Energieunternehmen und Banken 18%, 38 Stimmen
    18% aller Stimmen 18%
    38 Stimmen - 18% aller Stimmen
  • Energiepreise stärker regulieren 16%, 33 Stimmen
    16% aller Stimmen 16%
    33 Stimmen - 16% aller Stimmen
  • Mehrwertsteuer auf Lebensmittel streichen 14%, 29 Stimmen
    14% aller Stimmen 14%
    29 Stimmen - 14% aller Stimmen
  • Mieterhöhungen für die nächsten zwei Jahre stoppen 12%, 24 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    24 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Ganztagesschulen kostenlose machen 9%, 19 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    19 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Höchstzinsen für Häuselbauerkredite einführen 5%, 11 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    11 Stimmen - 5% aller Stimmen
  • Mindestzinsen für bestimmte Sparprodukte einführen 4%, 9 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    9 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 206
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13. Mai 2024
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