Das Arbeitslosengeld soll dieses Jahr reformiert werden, hat Arbeitsminister Martin Kocher angekündigt. Er schlägt vor, dass das Arbeitslosengeld sinken soll, je länger man es bezieht – also ein degressives Modell. Die Arbeiterkammer lehnt diesen Vorschlag ab und fordert eine Erhöhung auf 70 Prozent des letzten Netto-Einkommens. Das könnte über 40.000 Menschen aus der Armut holen, wie eine aktuelle Simulation der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigt.
„Wer in Österreich seinen Job verliert, muss von einem Tag auf den anderen auf die Hälfte seines Einkommens verzichten. Oft reicht dieses Geld dann nicht mehr und die Leute rutschen in die Armut“, sagt der Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich Andreas Stangl bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. Mit dem Vorschlag von Arbeitsminister Kocher käme eine zusätzliche Verschlechterung.
„Die von Arbeitsminister Kocher angedachten Reformen würden die Probleme von Arbeitslosen verschärfen. Stattdessen brauchen wir eine Reform, die Arbeitssuchenden mehr Sicherheit gibt und ihnen Mut macht, sich auf Veränderungsprozesse einzulassen“, erklärt AK-Präsident Stangl.
Die oberösterreichischen Arbeitnehmervertreter:innen haben daher in einer Studie simulieren lassen, wie sich ein höheres Arbeitslosengeld auswirken würde und wie viel das dem Staat kostet. Das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung hat am Donnerstag die Ergebnisse präsentiert:
Wäre das Arbeitslosengeld 2020 von 55 auf 70 Prozent angehoben worden, wären 40.000 Menschen weniger armutsgefährdet gewesen, darunter 6.500 Kinder und Jugendliche.
„Die Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70% würde Armutsgefährdung deutlich reduzieren“, sagt Kai Leichsenring, Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung zu den Ergebnissen. Gewerkschaften und die Arbeiterkammer haben bereits zu Beginn der Pandemie eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes gefordert. Mit ihrer Weigerung, das umzusetzen, hat die Bundesregierung vermeidbare Armut bewusst in Kauf genommen, kritisiert die Arbeiterkammer Oberösterreich.
In der gesamten Bevölkerung hätten nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes vor allem die unteren Einkommensgruppen mehr, denn sie sind es, die öfter und länger von Arbeitslosigkeit betroffen sind als alle anderen. Familien, in denen zumindest eine Person arbeitslos ist, würden im Schnitt 85 Euro mehr Einkommen pro Monat zur Verfügung haben. Haushalte mit Notstandshilfe-Bezug – also mit Personen, die länger arbeitslos sind – würden am meisten profitieren. Sie bekämen bis zu 112 Euro mehr.
„Gesamtgesellschaftlich würde dadurch die Ungleichheit abnehmen“, schreibt die AK Oberösterreich in einer Aussendung.
Wer Sozialhilfe bezieht, würde allerdings nicht von einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes profitieren, betonen die Studienautoren. Da gerade Sozialhilfe-Bezieher:innen aber ebenfalls oft von Armut betroffen sind, fordert die Arbeiterkammer Oberösterreich eine grundsätzliche Erhöhung der Sozialhilfe auf 1.328 Euro monatlich.
Die Kosten für die öffentliche Hand schätzt die Studie auf 500 bis 600 Millionen Euro. Das ist weniger, als die Abschaffung der Wertpapier-KESt den Staat kosten wird, von der vor allem Vermögende profitieren. Die Studie berechnet außerdem, dass durch den steigenden Konsum der Arbeitslosen zusätzlich 9.000 bis 10.000 neue Arbeitsplätze entstehen würden. Da Arbeitslose nahezu ihr gesamtes Einkommen für Dinge des täglichen Lebens ausgeben, würde die gesamte Wirtschaft profitieren.
„Angesichts der extrem hohen Zahl an Langzeitarbeitslosen in Österreich ist dieser Effekt von zentraler Bedeutung“, sagt Stangl.
„Arbeitslosengeld RAUF“ – fordert auch ein Volksbegehren in Österreich, das von Sozialwissenschaftler:innen, Betriebsrät:innen, Künstler:innen, Sozialdemokrat:innen, aber auch von Christ- und Grüne-Gewerkschafter:innen unterstützt wird. Am Donnerstag hat die SPÖ-Burgenland gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler und Sozialstaatsforscher Prof. Emmerich Tálos zur Unterstützung des Volksbegehrens aufgerufen:
„Früher hieß Reform noch Verbesserung, heute heißt es Sozialabbau“ sagt Tálos. Mit dem Volksbegehren versuchen die Initiatoren, diesen Trend umzukehren.
Das Volksbegehrens kann von 2. bis 9. Mai unterschrieben werden. Mit 26.000 Unterstützungserklärungen ist der Antrag auf die Durchführung des Volksbegehrens vor zwei Wochen beim Innenministerium eingereicht worden. „Unser Arbeitslosengeld ist nicht armutsfest“, betonte Landesgeschäftsführer Roland Fürst. Die SPÖ werde sich deshalb dafür einsetzen, dass möglichst viele Burgenländer:innen das Volksbegehren unterschreiben.
Die ganze Studie gibt es hier.
Mehr Infos zum Volksbegehren „Arbeitslosengeld rauf“ hier.
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