Europa

Bundestagswahl: Wie konnte die AfD drittstärkste Partei werden?

In Umfragen hat es sich schon abgezeichnet, jetzt ist es fix: Die Alternative für Deutschland hat den Einzug in das deutsche Parlament geschafft – mit über 13 Prozent der Stimmen. Es ist eine Partei, die laut Parteiprogramm Abtreibungen erschweren, Erbschaftssteuer abschaffen, das Waffenrecht freigiebiger machen, Atomenergie ausbauen und staatliche Sicherungssysteme abbauen will. Ihre Spitzenfunktionäre – Gauland, Weidel, Höcke – sorgen mit radikalen Äußerungen für Aufsehen. Wie kann das sein? Warum bekam diese Partei so viel Zuspruch? Wir haben einige der Faktoren angeführt!

Weil sich die AfD schnell und scharf nach rechts entwickelt hat

Schon 2010 war nach dem Erfolg des Buches von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ die Rede davon, ob sich so etwas wie eine „Sarrazin-Partei“ in Deutschland etablieren könnte. Doch erst mit den Debatten um den sogenannten „Euro-Rettungsschirm“ und um Kredite für Griechenland war der Nährboden für eine Neugründung einer Partei gegeben – das war 2013. Die AfD gründete sich zunächst als neoliberale „Professorenpartei“ rund um die Person Bernd Lucke. 2014 zog sie mit 7% der Stimmen ins Europaparlament ein. Der Erfolg machte die AfD zu einem Magnet für Rechte – auch als Mitglieder.

Der neoliberale Flügel in der Partei wurde zunehmend zurückgedrängt, stattdessen erlangten die VertreterInnen des nationalkonservativen Flügels mehr Macht. Schließlich spalteten sich die einstigen Frontfiguren von der Partei ab.

Die AfD baute ihr Profil als Anti-Zuwanderungs-Partei, als Partei gegen Flüchtlinge und als Partei gegen MuslimInnen aus und knüpfte an einem Netzwerk mit Parteien wie der FPÖ und dem Front National. Zwar gelangen interne Querelen und Führungsstreits immer wieder an die Öffentlichkeit, in Summe ist aber deutlich: Die AfD hat einen innerparteilichen Rechtsruck durchgemacht und ist sowohl für jene WählerInnen, die eine „Fundamentalopposition“ (Höcke) als auch für jene, die eine dem Schein nach bürgerlich-konservative Partei stärken wollen, eine Option. Denn auch wenn der Graben zwischen Pragmatikern und Demagogen groß ist, so sind im Außenauftritt keine Unterschiede zu erkennen. Die AfD  profitierte außerdem davon, dass das Thema Zuwanderung, bei dem sie sich als Partei mit den radikalsten Forderungen und Tönen „ausgezeichnet“ hat, eines der prominentesten im Wahlkampf war.

Weil die AfD auf rechtspopulistische Mittel setzt

Was macht Rechtspopulismus aus? Der Politologe Jan-Werner Müller gibt es zwei Wesensmerkmale:

  1. Rechtspopulitische Parteien behaupten, einen Alleinvertretungsanspruch zu haben und delegitimieren daher gewählte InteressensvertreterInnen. Nur sie selbst, behaupten sie, vertreten den „wahren Volkswillen“.
  2. Was rechtspopulistische Parteien als „Volk“ definieren, ist sehr eng gedacht. Wer dazugehören darf, definieren PopulistInnen. Wer ausgeschlossen wird, wird abgewertet.

Deutschland gilt in Sachen ausgeprägtem Rechtspopulismus laut dem Politikwissenschaftler Christian Demuth als „Spätstarter“. Eine Antriebskraft für den Aufstieg der AfD war und ist ihr Agitieren gegen „das System“, „die Politiker“ und „die Medien“. Das macht die Partei attraktiv für Unzufriedene – auch wenn führende AfD-PolitikerInnen selbst zur gesellschaftlichen Elite gehören.

Weil die AfD Selbsterhöhung und Abwertung anderer legitimiert

Der AfD geht es nicht um materielle Besserstellung der sozial Schwachen oder der Mittelschicht, im Gegenteil: Das Programm der AfD sieht etwa eine Flat-Tax vor, ebenso wie die Gleichsetzung von Einkommensarten: Wer über Spekulationen Gewinne macht bzw. wer sehr gut verdient, profitiert von den AfD-Steuerphantasien. Die Partei ist weiter gegen Erbschaftssteuern, für Rentenkürzungen und längere Arbeitszeiten.

Wenn es mit der AfD keinen Cent mehr am Girokonto zum Leben gibt, was macht sie dann attraktiv? Es ist die ideelle Besserstellung. Die AfD gibt jenen, die in ihr enges Konzept des „richtigen“ Deutschseins passt, Bedeutung und die Möglichkeit, sich selbst zu erhöhen. Sie gibt die Möglichkeit, sich besser, wichtiger zu fühlen als jene, die man abwertet, beispielsweise weil sie „fremd“ sind. Der Psychologe Kliche fasst das so zusammen:

„Die AfD spricht keine Ängste an, sondern eher Selbstgefälligkeit, und erteilt eine Hasserlaubnis. Das geht in die Richtung: Weil ich so toll bin, darf ich andere ausgrenzen. Ich bin so, wie man sein soll. Die Ängste sind eher ein Vorwand dafür, diese Aggression äußern zu dürfen.“

Vor allem jene, die sich in der Gesellschaft abgehängt fühlen, darunter unterqualifizierte deutsche junge Männer, springen auf dieses Angebot an.

Weil sich die deutsche Gesellschaft polarisiert hat

Seit 2002 werden in Deutschland die sogenannten „Mitte“-Studien durchgeführt. Es sind Untersuchungen zu Werten und politischen Einstellungen, die seither alle zwei Jahre anhand von repräsentativen Befragungen erhoben werden.

Die Ergebnisse der Studie aus 2016 zeigen, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, konkret gegen Muslime, Flüchtlinge sowie gegen Roma und Sinti stark zugenommen hat. So stimmten 2016 über 41% der Befragten der Aussage zu, dass „Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden soll“. Fast 60% glauben, dass AsylwerberInnen in ihren Herkunftsländern gar nicht verfolgt werden. Die Studie hat festgestellt, dass sich die Gesellschaft innerhalb von zehn Jahren (2006 bis 2016) stark polarisiert hat: Das Vertrauen in Parteien, in Polizei, in Gerichte hat abgenommen, zugleich hat auch der Glaube an die eigene, individuelle Wirksamkeit, also an die Beeinflussung der Gesellschaft, abgenommen.

Nicht nur befeuert die AfD die genannten Feindbilder und wirkt so an der Diskursverschiebung nach rechts mit, sie profitiert auch umgekehrt von dieser Einstellungsverschiebung: Denn Menschen mit denselben abwertenden Haltungen haben in der AfD „ihre“ Partei gefunden, ebenso wie jene, die sich durch die Wahl der „Anti-System“-Partei wieder laut und wirksam fühlen möchten.

Weil die AfD Unterstützung aus den Reihen von Pegida, Identitären und Co. bekommen hat

Pegida-Frontfiguren, „Identitäre“ und Plattformen wie Einprozent sowie Magazine wie Compact und die Junge Freiheit sehnen sich nach einer langfristigen Umwälzung des politischen Systems in Deutschland – und sehen in der AfD jene Partei, die das Potenzial hat, ihre Interessen durchzusetzen. Kein Wunder also, dass es eine Zusammenarbeit dieser Kräfte gibt. Ein AfD-Politiker brachte es wie folgt auf den Punkt:

„Der Berliner Reichstag, das ist unser Ziel. Und dazu gehört die AfD, dazu gehört Pegida, dazu gehört die Identitäre Bewegung.“

Berührungsängste mit Gruppen wie den Identitären, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, gibt es keine. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland lud überhaupt offen Identitäre dazu ein, bei der AfD mitzumachen. Diesem Aufruf sind viele gefolgt und haben auch im Wahlkampf tatkräftig mitgeholfen.

Weil die AfD manche Wählergruppen besonders anspricht

Der Psychologe Thomas Kliche macht unter den AfD-WählerInnen vier Gruppen aus: Da wären „entfremdete Protestwähler“, die generell mit dem politischen System, wie sie es wahrnehmen, abrechnen wollen; zum anderen „Verzweiflungswähler“, die mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind und sich durch die Wahl einer Partei, die den größtmöglichen Widerspruch zur bestehenden Regierung darstellt, Gehör verschaffen wollen; als dritte Gruppe macht der Psychologe „CDU-Erziehungswähler“ aus, die finden, dass die CDU zu sozialdemokratisch agiere; zuletzt macht er klassisch rechtsextrem Eingestellte als WählerInnengruppe aus.

Weil die AfD eine Social Media-Partei ist

Ähnlich wie die FPÖ in Österreich hat sich die AfD eine parallele Medienwelt aufgebaut. Sie sieht sich in Opposition zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Da ist es hilfreich, dass Medien wie die Wochenzeitung Junge Freiheit, das Compact-Magazin oder das Heft Zuerst! wohlwollend über die AfD berichten und zugleich über Angela Merkel herziehen. Noch einfacher gelingt die Mobilisierung auf dem direkten Weg über soziale Netzwerke. Einschätzungen gehen so weit, die AfD als die „am besten in sozialen Medien vernetzte Partei Deutschlands“ zu sehen. In Facebook-Gruppen lassen sich Memes, Sujets, politisch nützliche Nachrichten – egal, ob faktenbasiert oder nicht – einfach verbreiten. Sie alle dienen der Selbstbestätigung.

„Der Austausch mit Gleichgesinnten bringt ein Gefühl von Zusammenhalt, von politischer Aktivität, von gegenseitiger Bestätigung – alles unter dem Label „AfD“. Was einzelne AfD-Politiker in einzelnen Landtagen machen, ist im Vergleich dazu vielleicht gar nicht so wichtig.

Zum Weiterlesen

Der Blog des Soziologen Andreas Kemper, der die AfD seit ihrem Entstehen beobachtet https://andreaskemper.org/

Expertise von Andreas Kemper über die Rhetorik von Björn Höcke http://www.th.rosalux.de/fileadmin/ls_thueringen/dokumente/publikationen/RLS-HeftMissionHoecke-Feb16.pdf

Volkes Stimmen – Bürgermedien & Rechtspopulismus https://www.fes.de/de/medienpolitik/artikelseite/volkes-stimmen-buergermedien-rechtspopulismus/

So sozial ist die AfD – campact! https://blog.campact.de/2016/09/so-sozial-ist-die-afd/

Wie sozial ist die AfD wirklich? https://www.boell.de/sites/default/files/2016-6-wie-sozial-ist-die-afd.pdf

Mehr Polizei, mehr Waffen, mehr Schadstoffe http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-03/afd-partei-programm-entwurf

Studie „Die enthemmte Mitte – autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland“ https://www.boell.de/sites/default/files/buch_mitte_studie_uni_leipzig_2016.pdf

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1655 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1655 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 440 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    440 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 350 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    350 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 265 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    265 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 134 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    134 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2844
12. März 2024
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