Coronavirus

Corona: Für arme Kinder wird das Leben jetzt noch härter

13. September 2020, NMS am Enkplatz, 11.30 Uhr:

Ich stehe im Schulhof, warte, unendlich lange. Die anderen haben Turnen. Ich nicht. Wegen meiner Bronchitis. Mir ist kalt. Mir ist immer irgendwie kalt. Mich gruselt es, ich denke an den Geruch von Essig, mit dem Mama die Wände wischt, wenn der Schimmel wieder durchkommt. Mama ist jetzt viel zu Hause. Früher war sie gar nicht zu Hause. Hat zwei Schichten gearbeitet. Jetzt ist sie noch trauriger als sonst. Alle freuen sich wieder in der Schule zu sein. Ich habe Angst. Vor den Fragen. Den versäumten Stunden. Das Summen im Kopf ist wieder da. Die Buchstaben verschwimmen. Mein Lehrer sagt, ich muss das Jahr wiederholen.

Was werden sich Kinder erzählen, wenn diese Krise vorbei ist? Wenn das Corona-Virus keine Bedrohung für weite Teile der Bevölkerung mehr ist und die Schulen, Unternehmen, Geschäfte, Spielplätze, Kinos, Schwimmbäder ihr normales Leben wiederaufnehmen. Wird das Leben besser, solidarischer, grüner, weniger getrieben sein, wie viele Intellektuelle und Zukunftsforscher vorhersagen? Oder wird die Krise viele noch mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt haben, der Nationalismus zunehmen und das Prinzip des Stärkeren triumphieren?

Ohne pessimistische Weltbilder bedienen zu wollen, sind manche Entwicklungen unausweichlich. Faktum ist: Wenn Unternehmen die Einnahmen wegbrechen, verlieren zuerst Niedrigverdiener und schlecht ausgebildete Menschen ihren Job. Eine traurige Wahrheit, die auch die aktuellsten Statistiken des AMS belegen. Das unterste Einkommensviertel und Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen trifft die Krise am härtesten.

Armutsbetroffene Kinder: Was passiert nach Corona?

Das Ende der Krise bedeutet für diese Menschen erst den Anfang einer zu erwartenden Abwärtsspirale. Die Anzahl der dauerhaft Armen könnte um einige Prozentpunkte steigen, Armut wird sich dann weiter verfestigen. Das verschlechtert auch die Zukunftschancen der Kinder in diesen Familien.

Volkshilfe-Studie: Armut macht Kinder krank und traurig – beides könnten wir ändern

Armutsbetroffene Kinder leben schon jetzt in zu kleinen, zu lauten, zu kalten Wohnungen, in denen es keinen Rückzugsort für sie, ihre Eltern und Geschwister gibt. Keinen Platz zum Lernen, keinen Raum zum Spielen oder zum Einladen von Freunden. Ihre Mütter und Väter – sie sind meist alleinerziehend – arbeiten jetzt nicht im Home Office. Sie arbeiten in schlecht bezahlten Teilzeitjobs, werden wahrscheinlich gekündigt oder sie müssen weiter zur Arbeit und sich damit einem höheren gesundheitlichen Risiko aussetzen. Armutsgefährdete Kinder sind schon jetzt häufiger krank, leiden öfter unter chronischen Krankheiten und fühlen sich weniger gesund und leistungsfähig.

Sie haben Eltern, die nicht helfen können bei den Hausaufgaben, die kein Bildungsangebot aus dem Internet kennen, die nicht verstehen, warum oder wie ihre Kinder zu Hause auch jetzt normalen Unterricht haben sollen. Der Zugang zu Computern in der Schule fällt nun weg, der ohnehin vorhandene materielle und soziale Ausschluss verstärkt sich, wenn die Kinder zuhause lernen sollen. Der Ausgleich, den gute Lehrerinnen und Lehrer bieten Können, fällt weg.

Häusliche Gewalt in der Krisenzeit nimmt zu

Die häusliche Gewalt steigt, wenn 6-köpfige Familien zu Hause aufeinandersitzen, frisch beurlaubt auf unbestimmte Zeit oder gerade gekündigt. Krisentelefone für häusliche Gewalt in Italien läuten schon jetzt um 50 Prozent weniger. Nicht weil es weniger Gewalt gibt, sondern weil der Partner daneben sitzt. Kinder erleben diese Gewalt an nahen Bezugspersonen so als wären sie selbst davon betroffen. Von den Ausweichmöglichkeiten, die es für ihre Kinder gäbe, wissen viele dieser Eltern nichts.

Wenn wir ÖVP-Politiker dieser Tage sagen hören, Kinder sollen doch im Garten spielen statt am Spielplatz, ist das für jenes Fünftel der österreichischen Bevölkerung eine Verhöhnung, das unter der Armutsgrenze leben muss. 

Mehr als 300.000 Kinder sind schon jetzt armutsgefährdet. Wie gehen diese Kinder also aus der Krise hervor? Geschwächt – wenn wir sie als Gesellschaft und auch als einzelne Mitmenschen nicht auffangen. Aufeinander Acht geben muss jetzt ein Ziel für uns alle sein. Unterstützen, sobald dies wieder möglich ist. Lassen wir jetzt kein Kind zurück. Auf längere Sicht müssen wir eine Gesellschaft schaffen, die soziale Unterschiede abbaut und für Verteilungsgerechtigkeit und soziale Absicherung sorgt. Erfolgreiche Modelle dafür gibt es genug. Wir müssen sie nur politisch wollen.

Die AutorInnen

Judith Ranftler ist Sozialarbeiterin und Kinderarmutsexpertin der Volkshilfe.

Erich Fenninger ist Sozialarbeiter und Direktor der Volkshilfe Österreich.

Gemeinsam leiten sie das Projekt „Kinderarmut abschaffen“.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1590 Stimmen
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    1590 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 420 Stimmen
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    420 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 336 Stimmen
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    336 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 251 Stimme
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    251 Stimme - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 128 Stimmen
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    128 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2725
12. März 2024
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Judith Ranftler und Erich Fenninger

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