Pharma-Riesen wir BionTech/Pfizer und AstraZeneca wollen weniger Impfstoffe liefern als angekündigt. Die EU reagiert in der Sache viel zu zögerlich und nimmt es hin, nachgereiht behandelt zu werden. Und auch die österreichische Regierung nimmt das hin. Dabei gäbe es Möglichkeiten, gegen die Konzerne vorzugehen, weiß Verfassungsexperte Manfred Matzka.
Der britisch-schwedische Hersteller AstraZeneca liefert weniger Impfstoff als vereinbart in die EU. Einer der weltgrößten Arzneimittelhersteller mit einem 24 Mrd.-Umsatz und 70.600 Mitarbeitern scheitert angeblich an einem Problem in „einem Werk in unserer europäischen Lieferkette“ – Konkreteres wird nicht bekannt gegeben. Vor zwei Monaten, als die Produktion begann, war keine Rede von Risken im Produktionsprozess gewesen.
Eine Woche zuvor hatte – welch ein Zufall – BioNtech/Pfizer Lieferverzögerungen wegen Umbaumaßnahmen in einem Werk im belgischen Puurs angekündigt. Der zweitgrößte Pharmakonzern der Welt (52 Mrd. Umsatz, 92.000 Mitarbeiter) kann so etwas nicht stemmen. Früher war der Konzern nicht so zimperlich: Er nahm bei Versuchen mit dem Antibiotikum Trovan in Kauf, dass Kinder sterben, er bestach Behörden, Urteile von US-Gerichten bestätigen unlautere Werbung, für schädliche Arzneimittel zahlte man 2,3 Mrd. in den USA.
Der trockene Sachverhalt ist also: Internationale börsennotierte Pharma-Großkonzerne kümmern sich um nicht viel, wenn etwas ihren Interessen entgegensteht. Auch nicht um den Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“ (zu Deutsch: Verträge sind einzuhalten) und um Lieferverträge.
Sie kennen das Recht, aber sie halten sich für mächtig genug, darüber zu stehen, wenn es dem Profit nutzt. So einfach ist das.
„Dass man für Großbritannien wie geplant weiter liefert und bei der Europäischen Union kürzt“, nennt der Europapolitiker und Impfstoff-Experte Peter Liese eine schamlose Provokation. Dass man nach Israel unbegrenzt teure Dosen liefert und daher nicht billigere nach Europa liefern will, dass es für Auslieferungen in England keine Reduktion gibt, ist wohl ebenso Provokation zu nennen.
Die EU lädt den Hersteller immerhin eine vor die Kommission und kommuniziert danach „fehlende Klarheit und unzureichende Erklärungen“ aufseiten des Pharmakonzerns. Sie stellt juristische Schritte in den Raum und spricht von einer Exportprüfung von Lieferungen in Drittstaaten. Italien schickt einen Mahnbrief, der die Unternehmen auffordert, vertraglich eingegangene Lieferverpflichtungen von Impfdosen zu erfüllen. Deutschlands Gesundheitsminister Spahn bringt eine generelle Genehmigungspflicht für den Export von Impfstoffen aus der EU ins Gespräch. Landeshauptmann Kaiser fordert die Offenlegung der Verträge – insbesondere, ob Strafzahlungen vereinbart wurden.
„Man kann nicht Verträge abschließen, Vorfinanzierungen genießen und dann diese nicht umsetzen oder nur zum Teil“, so Gesundheitsminister Anschober (Grüne). Oh ja, offenbar kann „man“. In einem solchen Fall braucht es eine reale Aktivität der Bundesregierung. Diese fehlt. Sie teilt mit Bedauern und unkommentiert lediglich mit, was der Konzern so sagt; sie bedauert, dass sich jetzt alles verzögert; sie schiebt die Schuld auf die EU; und sie meint nur, „derzeit gehe es vor allem darum, dass von der Wissenschaft noch genauere und detailliertere Erhebungen und Untersuchungen vorgenommen werden“.
Nein: Derzeit geht es darum, dass Österreich mit Volldampf impft und da gehört auch dazu, mit allen Mitteln die Lieferung von ausreichend Impfstoff sicherzustellen. Dafür gibt es ein ganzes Arsenal von politischen und rechtlichen Möglichkeiten. Die Bundesregierung muss sie kennen, da sie auch die Verträge kennen muss. Man wird sich doch genau interessiert, in Brüssel erkundigt und eine Vertragskopie erbeten haben.
Was sollte und könnte die Bundesregierung also tun? Nachstehend ein Dutzend Möglichkeiten. Mit der profunden Kenntnis der Verträge, die die Bundesregierung haben muss, müsste die Liste noch länger ausfallen.
Natürlich verlangt das Mut, Entschlossenheit, profunde Rechtsexpertise und Kreativität. Aber nachdem diese von der Bundesregierung bei vielen bisherigen Gesetzen und Verordnungen gegenüber Bürgern und Unternehmen unter Beweis gestellt wurden, sollte ihr das auch hier, bei einem richtigen Gegner auf Augenhöhe, möglich sein.
Dr. Manfred Matzka war ab 1999 bis 2016 Präsidialchef des Bundeskanzleramtes und zuletzt persönlicher Berater der Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Der promovierte Jurist war seit 1980 im Bundesdienst und für Personal, Recht, e-Government, Verwaltungsreformprojekte und die Koordinierung des Bundeskanzleramts ebenso zuständig wie für ressortübergreifende Organisation. Derzeit ist Matzka Aufsichtsratsvorsitzender der Bundestheater-Holding und Vizepräsident von Austrian Standards. Für Kontrast kommentiert er das innenpolitische Geschehen.
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