Coronavirus

Zu spät gehandelt? Wie sich Corona von Ischgl aus in ganz Europa verteilt hat

Am 5. März erklärt Island das Skigebiet Ischgl zum Risikogebiet. Doch es dauert bis zum 14. März, bis die Bundesregierung den Ort unter Quarantäne stellt. Das Resultat: Zweidrittel aller Tiroler Corona-Fälle, die Hälfte der norwegischen Erkrankten und die Hälfte der dänischen Erkrankten kommen aus dem Paznauntal oder St. Anton in Tirol. Für Deutschland gibt es noch keine Zahlen. Das zögerliche Verhalten der Tiroler Landesregierung macht Ischgl zur Drehscheibe in der europäischen Corona-Epidemie.

Am 29.Februar landet in Island eine Boeing 757 der IcelandAir. Sie kommt aus München. Die isländischen Behörden testen einen Rückkehrer aus Italien positiv auf Corona-Viren. Doch nicht nur der Italien-Reisende wird positiv getestet – auch die Mitglieder einer Ischgl-Reisegruppe sind betroffen. Die Behörden ziehen die Konsequenzen: Das Tiroler Skigebiet wird zum Risikogebiet erklärt. Damit steht es auf einer Liste mit dem Iran und Wuhan. In Österreich passiert: nichts.

Das Land Tirol weist die Behauptung zurück. Es erscheine „aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist“, erklärt Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber. Wahrscheinlicher sei es, die Touristen haben sich während des Rückflugs angesteckt. Die Ski-Saison läuft weiter. Noch 8 Tage.

Fast jeder zweite kranke Norweger war in Tirol 

In anderen Ländern wurde in der Zwischenzeit schneller reagiert. Norwegen bittet nach den Berichten aus Island eine Reisegruppe aus Ischgl bereits am 7. März zu Tests, einige entpuppen sich als positiv. Am Sonntag meldete Norwegen, dass von 1.198 Infizierten 491 das Virus aus Österreich haben – und zwar überwiegend aus dem Paznauntal. Die Zahl vermittelt eine Idee für die Ausmaße: Norweger machen in Tirol eine viel kleinere Gästegruppe aus als zum Beispiel Deutsche.

Fotos der des Ischgl Opening auf offiziellen Ischgl-Facebook-Seite lassen die Größenverhältnisse der Gästemengen erahnen.

Erster Fall bereits am 7. März bekannt

Dabei wird die Erkrankung eines Barkeepers in einer Après-Ski-Bar in Ischgl bereits am 7. März festgestellt. Die Bar befindet sich direkt bei der Talstation – sie ist beliebt. Wer Après-Ski auch nur schon mal aus der Entfernung gesehen hat, weiß: Dort ist es meist laut, eng und besoffen. Ein idealer Ort für Viren, um sich auszubreiten. Die Tiroler Landessanitätsdirektion sieht das allerdings anders. Dort diagnostiziert man, dass es „aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“ ist, dass es zu Übertragung auf die Gäste gekommen sei – das teilt man via Pressemitteilung mit – und am 8. März dann auch über die Facebook-Seite des Landes Tirol.

Bereits am 9. März stellt sich heraus: Mindestens 15 Personen im Umfeld des Barkeepers sind erkrankt. Das Land Tirol gesteht nun sachte ein, dass ein Zusammenhang mit den erkrankten Isländern doch denkbar sei und könne „nicht ausgeschlossen werden“.

Angehörige von Erkrankten informierten das Land Tirol sogar auf Facebook über die Corona-Erkrankung.

Dänemark erklärt Tirol als Corona-Risikogebiet

Am 9. März erklärt auch Dänemark das Skigebiet zum Risikogebiet. In Deutschland wird eine Ischgl-Heimkehrerin am 10. März positiv getestet. Auch die 15 weiteren Touristen ihrer Reisegruppe lassen sich daraufhin testen: 12 davon positiv. Sie alle waren nach ihrem Urlaub bereits zwei Tage in der Arbeit. Schließlich gab es keine Warnungen für Ischgl – weder in Deutschland noch in Österreich.

Am 11. März erlässt Tirols Landesregierung eine Verordnung: Die Après-Ski-Lokale im Skigebiet werden bis auf Weiteres geschlossen.

Währenddessen wird in Dänemark bei einer Pressekonferenz mit Ministerpräsidentin Frederiksen bekanntgegeben, dass von 156 infizierten Dänen zu diesem Zeitpunkt 60 die Krankheit aus dem Skigebiet haben. Einen Tag später muss die dänische Regierung diese Zahlen auf 139 Erkrankte mehr als verdoppeln. Dänische Gesundheitsexperten fragen in Österreich nach, doch hier habe man keine Auskunft geben können. Die Misere in Österreich ist von den nordeuropäischen Staaten aufgedeckt worden.

Deutschland sucht Ischgl-Reisende

In Deutschland werden am 12. März Feuerwehrkräfte zu Detektiven. Sie versuchen im Landkreis Ostalbkreis Ischgl-Reisende ausfindig zu machen – wegen der vielen Fällen schließen dort die Schulen bereits vor dem Rest des Bundeslandes Baden-Württemberg. Auch die Stadt Hamburg erkennt den Zusammenhang und macht Druck, das Gebiet als Hochrisikogebiet zu klassifizieren. Am Abend des 13. März passiert das dann auch. Und auch Österreich reagiert und stellt das Patznauental (Ischgl) und St. Anton am Arlberg unter Quarantäne. Viel zu spät, finden einige – denn zwei Drittel der zu diesem Zeitpunkt 170 positiven Coronavirus-Testergebnisse in Tirol gehen auf diese Orte zurück.

Der Chef der Apres-Ski-Bar in Ischgl findet indes, dass das Vorgehen richtig war: „Es wurden die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit getroffen.“ So sei eine weitere Verbreitung durch ein Chaos bei einer ungeordneten Abreise verhindert worden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Ischgl-Urlauber übernachteten in Innsbruck

Urlaubern war es gestattet, den Ort zu verlassen, wenn sie auf direktem Weg heimfuhren. Doch viele taten das nicht. Schätzungen zufolge verbrachten 300 Gäste aus Ischgl und St. Anton eine Nacht in Innsbruck, um ihre Verbindungen nach Hause am nächsten Tag zu nehmen.

Das Land hätte auf diesen Fall vorbereitet sein müssen. Tirols Landeshauptmann Günther Platter weist Vorwürfe zurück: Man habe rascher reagiert als die Lombardei. Die vorzeitige Schließung habe zwar enorme wirtschaftliche Folgen, sagte er. Aber die Gesundheit der Bevölkerung und der Gäste gehe vor.

Cornelia Lass-Flörl, Direktorin der Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, räumte aber ein: „Wir mussten lernen, die Fälle nachzuverfolgen, dem Ganzen nachzugehen und dann letztendlich erkennen, vielleicht haben wir an manchen Stellen ein Problem.“

Inzwischen herrschen in Tirol strengere Corona-Maßnahmen als im Rest Österreichs: Polizeilich kontrollierte Ausgangssperren sollen dafür sorgen, dass der Virus spät, aber doch eingedämmt wird – und die Tiroler Spitäler nicht an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1833 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1833 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 16%, 487 Stimmen
    16% aller Stimmen 16%
    487 Stimmen - 16% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 372 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    372 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 289 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    289 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 157 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    157 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 3138
12. März 2024
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Jakob Zerbes

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