Niki Kowall redet Tacheles

Kantige Opposition kann Systemumbau verhindern

Die von der Regierung geplanten Maßnahmen sind unsympathisch, stellen aber keinen Bruch mit dem Sozialmodell der 2. Republik dar. Umso mehr gilt es für jenen Tag X vorbereitet zu sein, an dem Schwarz-Blau diesen Umbau in Angriff nimmt. Bis dahin hat die Sozialdemokratie Zeit an Glaubwürdigkeit zuzulegen. 

Die Agenda Austria ist unzufrieden mit dem Regierungsprogramm der schwarz-blauen Neuauflage. Der Think Tank ist sowas wie der Gralshüter des verblassenden Marktliberalismus, eine „Denkfabrik der Millionäre“ (Kurier). Moment, worüber soll sich so eine solche Einrichtung beschweren? Ermöglichen Kurz und Strache nicht gerade den 12-Stunden-Arbeitstag, verschärfen die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose und führen Steuerfreibeträge für Besserverdienende ein, die als Familienförderung getarnt werden? Wieso sind die ultraliberalen VorkämpferInnen also unzufrieden mit der Regierung?

Der Grund dafür ist einfach. Die beschlossenen Maßnahmen leiten nicht den von einschlägiger Seite ersehnten Systemwechsel in Österreich ein. Die Regierung plant schikanöse Verschärfungen für AsylbewerberInnen, ebenso Studiengebühren und mehr Zugangsregeln an den Unis. Ja, in vielen gesellschaftlichen Bereichen sind rückschrittliche und gewissenlose Maßnahmen geplant. Doch aktuell zeichnet sich noch kein prinzipieller Bruch mit dem Wirtschafts- und Sozialmodell der 2. Republik ab.

Einige Punkte könnte man sich durchaus auch in einem rot-schwarzen Regierungsprogramm vorstellen. Im Gegenzug hätte die SPÖ der ÖVP womöglich eine Wertschöpfungsabgabe oder mehr Spielräume bei den Modellregionen für die Gesamtschule abgeluchst. Solche sozialdemokratischen Akzente fehlen natürlich, dennoch stellt das Regierungsprogramm keinen Generalangriff auf den Sozialstaat dar, wie z.B. im Zuge der „Agenda 2010“ vor 15 Jahren in Deutschland. Damals wurden die Steuern für Besserverdienende und Unternehmen deutlich gesenkt, der Arbeitsmarkt dereguliert (wovon Hartz IV nur ein Baustein war) sowie das Rentensystem teilprivatisiert. Das hat den Charakter des deutschen Sozialmodells trotz gewisser Korrekturen bis heute nachhaltig verändert. In Österreich hält sich Schwarz-Blau vorerst bedeckt mit welchen Einsparungen die 12-14 Mrd. Euro Steuerreform gegenfinanziert werden soll.

Die kleinen Brötchen, die hier gebacken werden, sind in Anbetracht der klaren Mehrheit und der weitreichenden Wahlprogramme von ÖVP und FPÖ etwas überraschend.

Es ist zu vermuten, dass es keine prinzipiellen, sondern vielmehr taktische Motive sind, die die Regierung vorerst zur Mäßigung anhalten.

Einige Landtagswahlen stehen vor der Türe und man möchte der Arbeitnehmerbewegung (ÖGB, AK, SPÖ) nicht schon zu Beginn unnötig Rückenwind verleihen. Das Kalkül besteht darin, die Regierung erstmal zu konsolidieren und möglicherweise auf einen Schub an Popularität durch harte Maßnahmen in den Bereichen Migration und Asyl zu spekulieren. Der Bruch mit dem österreichischen Sozialmodell, der in den Wahlprogrammen beider Parteien eindeutig als Ziel definiert wurde, dürfte erst in ein bis zwei Jahren in Angriff genommen werden.

Die gute Nachricht ist, dass sich Kurz und Strache vor der Arbeitnehmerbewegung genug fürchten, um die großen wirtschafts- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen zu vertagen. Gerade für die FPÖ wäre es besonders bitter, wenn die SPÖ durch eine kantige Oppositionspolitik innerhalb der zahlenmäßig sehr bedeutsamen rot-blauen „Kampfzone“ wieder Punkte sammeln könnte. Aufgehoben ist aber nicht aufgeschoben. Entscheidend wird sein, dass die gesamte Arbeitnehmerbewegung am Tag X so viel Vertrauen bei der Bevölkerung genießt, dass FPÖVP vor Angst gelähmt sein werden und den Systemumbau auf immer verschieben. Das Ziel ist aus sozialdemokratischer Perspektive einfach: Schwarz-Blau darf bis zur nächsten Wahl keine irreparablen Schäden verursachen.

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Arbeitnehmerbewegung, und hier vor allem SPÖ, deutlich an Glaubwürdigkeit und Vertrauen zulegen. Dafür ist es nötig, bezüglich der sozialen Frage eine klare Orientierung zu erlangen. Ist die SPÖ die Partei, die primär mit der schicken Start-up-Szene assoziiert wird oder eher mit den weniger glamourösen Handelsangestellten? Ist die SPÖ die Partei die mit Trudeau (Kanada) und Macron (Frankreich) die wirtschaftliche Globalisierung begrüßt, oder jene Partei die den Freihandel sozial und ökologisch regulieren und negative Auswirkungen für die Beschäftigten verhindern möchte? Ist die SPÖ die Partei, die vom liberalen Medienmainstream, von der EU-Kommission und von smarten Unternehmertypen gelobt werden möchte, oder jene Partei, die bei KleinverdienerInnen und MindestpensionistInnen das höchste Vertrauen genießt?

Über diese Fragen muss rasch ein intensiver Diskussionsprozess beginnen. Wenn die SPÖ ihre Oppositionsrolle klug anlegt, ein authentisches Profil entwickelt und die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt, sind ÖVP und FPÖ aus nackter Angst zur Handlungsunfähigkeit verdammt. So, aber nur so, könnte die schwarz-blaue Neuauflage verhältnismäßig glimpflich vorüberziehen.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1653 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1653 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 440 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    440 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 350 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    350 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 264 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    264 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 134 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    134 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2841
12. März 2024
×
Von deiner IP-Adresse wurde bereits abgestimmt.
Share
Nikolaus Kowall

Neue Artikel

So weit hinten wie noch nie: Österreich stürzt bei Pressefreiheit auf Platz 32 ab

Reporter ohne Grenzen (ROG) veröffentlichen jedes Jahr ein Ranking, wie es um die weltweite Pressefreiheit…

3. Mai 2024

AK-Wahlen: Sozialdemokratie gewinnt – Regierungsparteien verlieren

Die Fraktion der sozialdemokratischen Gewerkschafter (FSG) gewinnen trotz leichtem Minus die AK-Wahlen klar. In sieben…

3. Mai 2024

Die Familie Lopez aus Haslach: Bestens integriert, trotzdem abgeschoben!

2021 kam die Familie Lopez nach Haslach in Oberösterreich. Die Mutter fand schnell Arbeit als…

2. Mai 2024

Fast eine halbe Million Österreicher haben nicht genug zu essen

Armut in Österreich: Fast eine halbe Million Menschen können sich nicht genug zu essen leisten.…

2. Mai 2024

1. Mai – Seine Geschichte und Bedeutung für unsere Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und faire Löhne

Am 1. Mai wird auf der ganzen Welt der Tag der Arbeit gefeiert. Der Feiertag…

30. April 2024

Niederösterreich: So halbiert eine rote Gemeinde den Strompreis für alle

In der Gemeinde Trumau wird bald Realität, was sich viele lange erträumt haben: Strom zum…

30. April 2024