Wirtschaft und Finanzen

Kocher schenkt Unternehmen 125 Millionen und gefährdet Insolvenzschutz für Beschäftigte

Jede fünfte Handelsfirma kann das Weihnachtsgeld nicht zeitgerecht auszahlen, 17 Prozent fürchten gar eine Insolvenz in den nächsten drei Monaten, warnt Handelsverband-Chef Rainer Will. Fast alle ÖkonomInnen warnen vor einer durch Kurzarbeit und Wirtschaftshilfen hinausgezögerten Insolvenzwelle. Just zu diesem Zeitpunkt will Arbeitsminister Martin Kocher die Unternehmerbeiträge zum Insolvenzentgeltfonds um 125 Millionen Euro kürzen. Die Gewerkschaften sehen darin ein weiteres Geschenk der Regierung an die Unternehmer.

Der Insolvenzfonds ist eine Art Versicherung für Mitarbeiter zahlungsunfähiger Unternehmen, in den die Arbeitgeber einzahlen. Aktuell sind es 0,2 Prozent der Bruttogehälter. Kocher will den Beitrag der Unternehmen auf 0,1 Prozent der Bruttolöhne halbieren. Aktuell ist der Fonds mit 870 Millionen Euro ausgestattet, durch die Beitragskürzungen halbiert sich das Guthaben bis 2024 auf rund 400 Millionen.  

Denkbar schlechter Zeitpunkt

Kocher will den Unternehmen dadurch einen „wirtschaftlichen Impuls“ geben. Industriellenvereinigung (IV) und die Wirtschaftskammer (WKÖ) begrüßen das naturgemäß. SPÖ, FPÖ und die Gewerkschaft kritisieren die Beitragssenkung als Geldgeschenk an Unternehmen auf Kosten der Beschäftigten.

„In wirtschaftlich unsicheren Zeiten kürzt man nicht die Insolvenzversicherung“, sagt SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. Nachdem bereits letztes Jahr die Bundesmittel für den Fonds bis 2024 um 300 Mio. Euro gekürzt wurden, sollen nun die Arbeitgeberbeiträge halbiert werden.

„Da in Kürze das Ende der Kreditstundungen für Unternehmen ins Haus steht, ist es gerade der denkbar schlechteste Zeitpunkt, so eine Kürzung vorzunehmen“, kritisiert Muchitsch.

Mittel werden halbiert, Anlaufstellen für Beschäftigte gestrichen

Die 870 Millionen Euro des Fonds sichern die Insolvenz-Löhne von rund 0,4 Prozent der Arbeitnehmer ab, heißt es aus der GPA. „Niemand kann aber vorhersagen, wie viele Insolvenzen auf uns zukommen, wenn die Wirtschaftshilfen auslaufen. Mitten in der Pandemie den Insolvenzentgeltfonds zu halbieren ist unverantwortlich“, sagt GPA-Vorsitzende Barbara Teiber. Nach der großen Köst-Senkung für Unternehmen um 750 Mio. Euro und großzügigen Wirtschaftshilfen aus Steuergeldern sieht GPA-Chefin Teiber keinen Grund, den Unternehmen ein weiteres Steuergeschenk von 150 Millionen Euro zu machen.

Die Halbierung der Beiträge würde den Fonds extrem schwächen, dazu werden Außenstellen des Fonds gestrichen. Bei einer Insolvenz müssen Arbeitnehmer ihre Ansprüche persönlich in diesen Außenstellen anmelden. „Mit der Streichung der Außenstellen haben die Betroffenen nicht einmal mehr eine Anlaufstelle und können in Zukunft zum ‚Salzamt‘ pilgern“, kritisiert FPÖ-Sozialsprechern  Dagmar Belakowitsch.

Recht auf Insolvenz-Entgelt

Die Gewerkschaft fürchtet, dass Kocher die Beiträge für Unternehmen auch dann nicht mehr erhöhen wird, wenn die Mittel knapp werden. Die Leidtragenden sind dann die Beschäftigten, die um ihr Einkommen im Fall einer Insolvenz des Arbeitgebers umfallen.

Arbeitsrechtsexperte Martin Gruber-Risak hält es ebenfalls für keine gute Idee, den Polster des Insolvenz-Entgelt-Fonds gerade jetzt abzubauen. Allerdings sieht Gruber-Risak eine gesetzliche Verpflichtung des Fonds, die betroffene Arbeitnehmer in jedem Fall zu entschädigen – der Fonds müsste dann Kredite aufnehmen oder der Arbeitsminister die Beiträge wieder erhöhen.

Warum es am Ende den Beschäftigten schadet, wenn die Regierung Lohnnebenkosten – sprich: Arbeitgeberbeiträge – senkt, erklärt der Gewerkschafter Willi Mernyi so:

<iframe src=“https://www.facebook.com/plugins/video.php?height=314&href=https%3A%2F%2Fwww.facebook.com%2Foegb.at%2Fvideos%2F423970569390536%2F&show_text=false&width=560&t=0″ width=“560″ height=“314″ style=“border:none;overflow:hidden“ scrolling=“no“ frameborder=“0″ allowfullscreen=“true“ allow=“autoplay; clipboard-write; encrypted-media; picture-in-picture; web-share“ allowFullScreen=“true“></iframe>

Klimakrise: Bist du für ein Werbeverbot für SUV, Flug- und Kreuzfahrtschiffreisen?
  • Ja, finde ich absolut richtig. 36%, 752 Stimmen
    36% aller Stimmen 36%
    752 Stimmen - 36% aller Stimmen
  • Ja, aber das soll auch für andere Klimasünder gelten. 30%, 634 Stimmen
    30% aller Stimmen 30%
    634 Stimmen - 30% aller Stimmen
  • Nein, ich mag keine Verbote. 21%, 440 Stimmen
    21% aller Stimmen 21%
    440 Stimmen - 21% aller Stimmen
  • Nein, der Klimawandel ist eine natürliche Sache. 11%, 228 Stimmen
    11% aller Stimmen 11%
    228 Stimmen - 11% aller Stimmen
  • Weiß nicht. 2%, 38 Stimmen
    2% aller Stimmen 2%
    38 Stimmen - 2% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2092
7. August 2024
×
Von deiner IP-Adresse wurde bereits abgestimmt.
Share
Patricia Huber

Neue Artikel

Mehr Geld für Reiche, weniger für den Rest – Wirtschaftsforscher Schulmeister analysiert die Wahlprogramme von ÖVP und FPÖ

Mehr Geld für Reiche, weniger Geld für den Rest der Bevölkerung und den Sozialstaat -…

7. September 2024

Gynäkologin Hall: So läuft ein Schwangerschaftsabbruch in Österreich ab

Seit fast 50 Jahren können Frauen in Österreich einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Allerdings mit Hürden…

6. September 2024

Regierung verkaufte Anteile an Reha-Zentren – Jetzt sollen Beschäftigte mehr arbeiten & weniger verdienen

Vamed-Verkauf: Der umstrittene Investmentfonds PAI Partners kauft mehrheitlich 21 österreichische Reha-Zentren vom ehemals teilstaatlichen Gesundheitskonzern…

6. September 2024

Köst-Senkung: So viel Geld verliert deine Gemeinde wegen der ÖVP-Politik

Die ÖVP-Grünen-Regierung hat 2022 die Steuer auf Konzerngewinne schrittweise von 25 auf 23 Prozent gesenkt.…

4. September 2024

„Brandgefährlich für Demokratie“: Babler zerlegt Kickl in viralem Video

FPÖ-Chef Herbert Kickl macht mit seinen extremen Aussagen immer wieder Schlagzeilen - sei es etwa…

3. September 2024

freier Seezugang für alle

               

3. September 2024