Der Krieg in der Ukraine hat eine Debatte um einen möglichen NATO-Beitritt Österreichs angefacht. Die Bevölkerung ist mit einer überwältigenden Mehrheit für die Beibehaltung der Neutralität. Die meisten Parteien auch – nur bei den NEOS und der ÖVP scheint die Sache nicht ganz klar. Doch was bedeutet die Neutralität konkret und welche Vorteile hat Österreich dadurch?
Österreich erklärte 1955 seine immerwährende Neutralität. Man verkündete damit, sich aus militärischen Konflikten zwischen Staaten umfassend rauszuhalten. Österreich erklärte, keinen militärischen Bündnissen beizutreten oder militärische Stützpunkte und Truppen fremder Staaten auf seinem Territorium zuzulassen. Diese Erklärung, die die Bundesregierung im Moskauer Memorandum versprach, gilt als Voraussetzung für den Staatsvertrag 1955.
Diese historische Komponente sollte bei der aktuellen Situation nicht vergessen werden, mahnt SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer: „Österreich wurde ein freies und souveränes Land, weil sich die weltkriegsgeprüften Politiker der damaligen Koalition bewusst für die Neutralität entschieden haben. Dies war die Konsequenz der aktiven Beteiligung an den Vernichtungskriegen des Nazi-Regimes und der Mitverantwortung an der Shoa. Die Alternative wäre eine traumatische Teilung der Menschen und ihrer Familien entlang der Besatzungslinien gewesen, die sich in feindlichen Militärbündnissen gegenübergestanden wären.“
Seit 1955 hat sich viel getan, Österreich ist mittlerweile Mitglied der Europäischen Union und Russland führt in unmittelbarer Nähe zu unserem Land einen Panzerkrieg gegen die Ukraine. Schweden und Finnland stellten wegen des Konfliktes ihre Blockfreiheit zur Diskussion. Die Österreicher:innen empfinden hingegen zu 78 Prozent die Neutralität als zeitgemäß, wie eine Studie von Unique Research zeigt – das spiegelt sich nicht unbedingt in Medien und Politik wider.
Verteidigungsministerin Tanner und Kanzler Nehammer rückten vor Kurzem aus, um ihre Unterstützung für die Neutralität Österreichs zu versichern. Das wurde nötig, weil die ÖVP in der Sache gespalten ist und auch historisch eher zur NATO tendierte.
Die ÖVP wagte in der Vergangenheit schon mehrmals Vorstöße, die Neutralität abzuschaffen. So leitete die Volkspartei mit ihrem damaligen Chef Wolfgang Schüssel 2001 gar eine Debatte über den NATO-Beitritt Österreichs ein. Das hinderte ihn im Übrigen nicht daran, nach seiner Zeit als Bundeskanzler beim russischen Öl-Konzern Lukoil anzuheuern. Das NATO-Unterfangen scheiterte wegen der großen Ablehnung des Irak-Kriegs innerhalb der Bevölkerung – erst 2004 wich die ÖVP von ihrem NATO-Kurs wieder ab. Davor waren abfällige Äußerungen über die Neutralität aus der Volkspartei keine Seltenheit. Andreas Khol, ehemaliger Nationalratspräsident und Präsidentschaftskandidat der ÖVP, meinte gar: „Die Neutralität hat ausgedient“ und sie gehöre „verräumt wie die Kaiserkrone in der Schatzkammer“.
Es war auch diesmal wieder Khol, der für die ÖVP die Neutralitätsdebatte eröffnete. Er tritt für einen NATO-Beitritt ein und will die Bevölkerung überzeugen. Ähnlich sieht das ÖVP-Wehrsprecher Friedrich Ofenauer, immerhin jener Politiker, der die Verteidigungspolitik der ÖVP im Parlament vertritt. Khol hat für sein Unterfangen aber nicht nur Schützenhilfe aus der ÖVP. Auch die Neos, die Jugendorganisation der Grünen und prominente Medienvertreter diskutieren die NATO-Mitgliedschaft Österreichs. Der Profil-Chefredakteur Christian Rainer bezeichnete die Neutralität als „hohl“ und ein „Zeichen der Feigheit“. Eine Verteidigung der Neutralität von Pamela Rendi-Wagner nannte er gar „widerlich“.
Generell setzt sich medial eine Darstellung der Neutralität durch, die ihr nicht gerecht wird. Österreich wird als „Sicherheitspolitischer Schmarotzer“ oder „Trittbrettfahrer“ bezeichnet, da man der NATO nicht beitrete und trotzdem auf den Schutz des Verteidigungsbündnisses setze. Das stimmt nur bedingt: Zwar wird Österreich tatsächlich von der NATO geschützt, da ein Einmarsch durch die Lage unseres Landes immer über ein NATO-Mitgliedsland erfolgen müsste. Obendrein haben sich auch die EU-Mitgliedsstaaten zum gegenseitigen Beistand bei militärischen Konfrontationen verpflichtet. Doch die Neutralität bedeutet keinesfalls, dass sich Österreich einfach zurücklehnen kann.
Österreich verpflichtet sich mit der Neutralität auch zur Aufrechterhaltung der umfassenden Landesverteidigung: Ob die derzeit gesichert ist, ist unsicher. In der Vergangenheit wurden zwar Milliarden etwa für die Eurofighter ausgegeben – dieser Deal erhöhte aber eher die Konten von Lobbyisten als unsere Luftraumsicherheit. Auch Umgestaltungen in der Kommando-Struktur, die von Verteidigungsministerin Tanner vorgenommen wurden, sollen eher zum Umfärben von Spitzenpositionen gedient haben als zur Effizienzsteigerung, heißt es aus Militärkreisen. Im Ministerium herrsche Chaos, eine Abteilung wisse derzeit nicht, was die andere tue. Das soll mit ein Grund sein, warum der Einsatz der Black Hawk Hubschrauber bei den Waldbränden in der Rax 2021 so chaotisch ablief. Zur Erinnerung: Von den neun Hubschraubern konnten sieben wegen Wartungsarbeiten nicht eingesetzt werden. Einer der zwei übrigen Lösch-Hubschrauber kam erst zwei Tage verspätet zum Brandeinsatz, weil er bei der militärischen Leistungsschau am 26. Oktober in Wien Besuchergruppen präsentiert wurde.
Doch abseits der eigenen Verteidigung bringt die Neutralität Pflichten, aber auch Chancen mit sich. US-Außenminister Donald Rumsfeld echauffierte sich öffentlich über Österreich während des Irak-Krieges. Österreich konnte damals nicht anders, als sich auf seine Neutralität zu berufen und verweigerte NATO-Truppenverlegungen über das Staatsgebiet. Das verzögerte deren Einsatz um einige Wochen. Diese konsequente militärisch-neutrale Haltung bringt diplomatische Vorteile: Österreich ist dadurch Standort für verschiedene internationale Institutionen wie der UNO und der OSZE. Auch die Verhandlungen über das iranische Atomabkommen hätte nie in einem NATO-Mitgliedsstaat stattfinden können – Österreich kann in dieser Vermittlerrolle mehr für den Frieden beitragen, als wenn es Mitglied eines Militärpaktes wäre.
„Österreich hat das Konzept der engagierten Neutralität entwickelt, das ist das Gegenteil von sich ständig heraushalten. Die Idee dahinter: Neutralität heißt nicht, heraushalten wo möglich und einmischen wenn notwendig, sondern umgekehrt einmischen, wo möglich und heraushalten nur, wo notwendig“, erklärte Politikwissenschaftler Dr. Heinz Gärtner im Kurier.
So stellte während des Kalten Krieges Österreich in Relation zu seiner Einwohnerzahl die größten Truppenkontingente für UN-Friedensmissionen.
Gleichzeitig hat Österreich auch große Freiheit bei der Interpretation der Neutralität, erklärt Völkerrechtsexperte Ralph Janik. Er nennt es die „Sinatra Doktrin“ – neutrale Länder bestimmen nach dem Motto „I do it my way“ selbst über ihre Neutralität. In Europa wären das etwa auch die Schweiz, Malta, Zypern, Irland, Schweden und Finnland. Man müsse nur zwischen der rechtlichen und der politischen Neutralität unterscheiden: Politisch kann Österreich sehr wohl Partei ergreifen, Solidarität zeigen und etwa Wirtschaftssanktionen verhängen. Rechtlich darf es keine Waffen liefern, sein Territorium nicht zur Verfügung stellen und vor allem: Es darf durch die Neutralität kein österreichischer Soldat im Krieg eines anderen Landes kämpfen.
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