Coronavirus

Wie uns die Regierung in den zweiten Lockdown geführt hat

Österreich befindet sich erneut im Lockdown. Mit Dienstag, zwei Wochen nach Beginn, treten Verschärfungen in Kraft. Denn die Kurve habe sich auf „hohem Niveau“ eingependelt, heißt es seitens der Regierung. So hoch, dass bald Intensivstationen überlastet sind. Sinken die Zahlen nicht sehr bald und drastisch, kommt es zur Überlastung eines der weltweit bestausgebauten Gesundheitssysteme. Auch Triagen könnten dann notwendig werden, warnen Experten und Verantwortliche. Dabei befand sich Österreich im Frühjahr tatsächlich auf einem guten Weg. Was ist falsch gelaufen?

Der Lockdown im Frühjahr funktionierte gut. Eigentlich sogar zu gut. Denn die Neuinfektionen gingen just in den Tagen zurück, als die Beschränkungen in Kraft getreten sind. Ein direkter Zusammenhang ist damit unmöglich. Das reale Infektionsgeschehen und die Diagnose liegen einige Tage auseinander – soviel haben wir in den letzten Monaten gelernt. Während die Regierung vom perfekten Timing des Lockdowns redet, muss man aus heutiger Sicht eher von einer sehr verantwortungsbewussten Bevölkerung reden. Denn die hat sich offenbar sehr effizient und relativ selbstständig sozial distanziert. Und das bereits, bevor der Kanzler Ängste schürte, indem er unter anderem erklärte, dass bald „jeder jemanden kennen werde, der an Corona gestorben ist.“

Die Wahrheit ist: Bis zum Herbst kannten die allermeisten in Österreich niemanden, der auch nur an Corona erkrankt wäre.

Und das ist Teil des Problems. Zwischen Regierungsrhetorik und Realität klaffte ein riesiger Abgrund. Die Corona-Gesetze waren zum Teil verfassungswidrig. Die Kommunikation über das, was in den Gesetzen und Verordnungen stand, war letztlich (wissentlich) falsch. Selbst die Polizei musste sich aufgrund der unsicheren Situation auf die Pressekonferenz der Regierung und nicht die Expertise ihrer Juristen verlassen – verhängte deswegen Strafen für eigentlich Erlaubtes.

Fehlkommunikation wirkt demoralisierend

Begriffen sich im März und April die Menschen noch als „Team“, das es gemeinsam schafft, erodierte dieses Gefühl mit jeder Fehlkommunikation, mit jeder Ungerechtigkeit und jedem Gesetz, das rückwirkend aufgehoben wurde.

Und natürlich: Die Menschen werden der ständigen Unsicherheit müde und wünschen sich ihr altes Leben zurück. Umso wichtiger ist es, die Bevölkerung zurück ins Boot zu holen und für Verständnis zu sorgen. Klare und transparente Regeln könnten das. Aber die gibt es bis heute nicht.

Auch beim neuen Gesetz zu Verschärfung des Lockdowns passieren die gleichen Fehler wie im Frühjahr. Die Kommunikation des Gesundheitsministers und Kanzlers entfernt sich abermals vom Inhalt des Gesetzes.

Man dürfe nur mehr „eine Person“ treffen, sagen sie zum Beispiel. Das Gesetz spricht von „Einzelnen“, was laut Experten erstens nicht dasselbe ist, und zweitens so vage, dass es wohl vor Gericht nicht standhalten werde. Dafür ist man bei den Strafen klarer. Bis zu 1.500 Euro kostet das Vergehen – das womöglich keines ist.

Wir haben die Zeit nicht genutzt

Der erste Lockdown war notwendig. Er machte den Sack zu, den die Bevölkerung schon zuvor gefüllt hatte. So teuer er wirtschaftlich, sozial und für alle individuell erkauft war: Er hat die Epidemie für mehrere Monate effektiv unterdrückt und uns Zeit geschenkt, zu lernen und uns vorzubereiten. Doch diese Zeit haben wir nicht genutzt, meint Tomás Pueyo.

„Lehnen wir uns zurück und vernichten damit unsere Arbeit“: laut Tomás Pueyo das Motto des Versagens der Corona-Politik in ganz Europa.

Im März wurde der Schriftsteller, Ingenieur und Unternehmer Tomás Pueyo zu einem ungewöhnlichen viralen Hit. Er veröffentliche einen langen Erklärtext über der Plattform „Medium“, in dem er Fakten zu Corona und zur Epidemiologie verständlich machte. In einem Folgetext erklärte er, wie wir ein relativ gutes Leben haben und trotzdem Corona in Schach halten können, in dem wir mit dem „Hammer“ (dem Lockdown) das infektiöse Geschehen stoppen und dann im „Tanz“ mit dem Virus mit lokal eingeschränkten und differenzierten Maßnahmen ohne massive Einschränkungen weiter arbeiten. Sein Crashkurs wurde in viele Sprachen übersetzt – und gab den Lesern weltweit ein Gefühl von Kontrolle in sehr unsicheren und fremdbestimmten Zeiten. Leider hat die österreichische Regierung genau das nicht gemacht.

„Lehnen wir uns zurück und vernichten damit unsere Arbeit“, benennt er den steilen Anstieg an Corona-Fällen in ganz Europa.

Doch die Regierung hat nicht begonnen zu „tanzen“, sondern wie bei einem Kippschalter die Maßnahmen abgeschaltet. Damit war abzusehen, dass wir sie auch wieder in voller härte Einschalten müssen.

Österreich hat auch im Europavergleich einiges falsch gemacht 

Österreich steht jetzt in der Gruppe der europäischen Länder enorm schlecht da. Tatsächlich hatte man das Gefühl, Corona sei vorbei. Obwohl die Corona-Ampel-Karte binnen kürzester Zeit ein gelb-orange-roter Fleckerlteppich wurde, blieben Konsequenzen aus. Schaltete die Ampel im Bezirk um, änderte sich im realen Leben nichts. Wenn man in der Metapher einer Ampel bleibt, wäre das so, als ob man bei roter Schaltung trotzdem fahren dürfte.

Erst spät, als eine Überlastung der Spitäler vor der Tür stand, entschloss sich die Regierung zu einem zweiten Lockdown – diesmal vorerst mit offenen Schulen, geschlossenen Gaststätten und Ausgangsverbot ab acht. Zu spät, sagen die Experten. Seit dem Lockdown steigen die Zahlen weiter täglich von einem traurigen Rekord zum nächsten.

Ab Dienstag ist Österreich wieder im „harten“ Lockdown. Die letzten zwei Wochen waren wenig effizient, für viele Gastronomen hatten sie aber enorme Auswirkung – und sie sind allen Steuerzahler teuer gekommen, sie tragen schließlich die Kosten der Hilfspakete.

Österreich steht trotz Lockdown „light“ an der traurigen Spitze der Neuinfektionen.

Das Wetter als treibender Faktor

Auch das Wetter ist ein Faktor im epidemiologischen Geschehen. Das hat mehrere Gründe. Erstens lassen die Temperaturen Treffen unter freiem Himmel immer weniger zu. Soziale Kontakte wurden über den Sommer nach draußen verlegt – dort ist eine Infektion unter Einhaltung von Mindestabständen unwahrscheinlich. Als man sich nicht mehr nach draußen begeben konnte, konnte man zumindest für eine regelmäßige (bis ständige) Belüftung sorgen. Bei den aktuellen Temperaturen ist beides auf Dauer nicht möglich.

Zweitens: Das Virus überlebt Temperaturen zwischen 0 und 10 Grad 100 bis 1000-mal solange wie bei Temperaturen über 30 Grad.

In der Grafik sind Temperaturen gegen Luftfeuchtigkeit geplottet. Zur Lesehilfe: Bei Regen und 10 Grad Außentemperatur überlebt der Virus im Mittelwert 1.000 Stunden. Oder vorstellbarer ausgedrückt: 42 Tage. Schlechteres Wetter führt also zu einem höheren Infektionsrisiko.

Berechenbar – und trotzdem nicht aktiv geworden

Dass im Herbst die Temperatur fällt, ist keine Überraschung. Auch dass sich Epidemien wellenhaft ausbreiten, war und ist bekannt. Und dass die Temperturen im November sinken, gilt für die gesamte Nordhalbkugel – trotzdem funktioniert die Eindämmung des Virus bei uns besonders schlecht.

Im Frühjahr waren die überbordenden Maßnahmen und die chaotische und falsche Kommunikation noch entschuldbar – angesichts der Neuheit und Geschwindigkeit, mit der sich alles entwickelte. Damals zeigten zwar Experten und Opposition bereits Fehler auf, doch galt es in kurzer Zeit große Entscheidungen zu treffen – man musste reagieren. Eine gewisse Fehlertoleranz gegenüber der Regierung war angebracht. Im Herbst stellt sich die Situation allerdings anders da.

Acht Millionen Österreicher haben seit dem Frühjahr mehr über Viren und ihre Verbreitung gelernt, als sie jemals wollten. Und die Zahl der Infizierten entwickelte sich wie im Lehrbuch. Doch für die interessierte Öffentlichkeit waren die Ereignisse vorhersehbar. Die Pressekonferenzen der Regierung vermitteln allerdings das Gegenteil: Sie suggerieren eine Machtlosigkeit gegen die Naturgewalt der Pandemie.

Damit schlich sich die Regierung aus der Verantwortung. Sebastian Kurz begibt sich kommunikativ in die Rolle, die er am besten kann: die des Opfers. In der Pressestunde am 15. November zeigt der Kanzler gleich zwei kommunikative Kunststücke. Erstens: Nur 24 Stunden nach den Pressekonferenzen (!) der Regierung, in denen die Maßnahmen verlautbart wurden, kündigt er gleich eine neue an: Massentests nach slowakischem Vorbild. Im dafür zuständigen Gesundheitsministerium weiß man auf Nachfrage von den Plänen nichts.

Zweitens: In seinen Augen ist das Problem nicht das Versagen der Regierung, das den neuen Lockdown bringt. Die Bevölkerung ist schuld. Das zwinge ihm, Dinge zu tun, die er gar nicht wolle.

Am Weg in den 3. Lockdown

Doch der kommende „harte“ Lockdown war nicht notwendig. Er war nicht die Schuld der Bevölkerung. Es war das Versagen der Regierung, das ihn unausweichlich machte.

Tomas Pueyo zeigt, dass Kinder noch immer in die Schule gehen und wir uns heute noch mit Freunden im Lokal treffen könnten, wenn wir nur die richtigen Maßnahmen gesetzt hätten. Zwar wird in Europa nicht gerne darüber berichtet, aber der asiatische Raum beherrschte den „Tanz“ mit dem Virus wesentlich besser. Auch die Begründung, dass es sich um autoritäre Systeme handle, reicht zur Erklärung nicht aus. Japan, Taiwan, China, Hongkong, Singapur, Südkorea, Neuseeland, Australien, die Mongolei, Thailand oder Vietnam. Diese Liste der erfolgreichen Staaten umfasst alle Systeme: demokratische, autoritäre, kontinentale, insulare, freiheitsliebende, angelsächsische, Entwicklungs- und Industrieländer. Sie folgten jeweils ganz verschiedenen Ausprägungen der “Hammer and dance”-Methode. Und trotzdem lassen sich einige Regeln ableiten. Er nennt sie die „Schweizer Käse-Methode“.

Die Schweizer Käse-Methode

Das „Swiss Cheese“-Modell hat nicht Pueyo erfunden, sondern kommt als Metapher aus dem Risikomanagement. Das Modell geht davon aus, dass jede Sicherheitsmaßnahme Lücken hat – wie Löcher im Schweizer Käse. Schaltet man genug Sicherheitsmaßnahmen hintereinander, schafft man im Idealfall hundertprozentige Sicherheit. Um im Bild zu bleiben: Legt man genug Scheiben aufeinander, sieht man das Brot auch nicht mehr.

Pueyo teilt die Sicherheitsmaßnahmen in 4 Gruppen:

  • Grenzen schließen
  • Soziale Blasen
    Reduktion der Kontakte
  • Reduzierung der Virus-Streuung
    Bsp: Masken, Belüftung, …
  • Testen, Verfolgen, Isolieren

Gerade bei den Punkten 2, 3 und 4 braucht man viel Kreativität. Um den sozialen, den wirtschaftlichen, gesundheitlich und psychischen Schaden so gering wie möglich zu halten, müssen wir Lösungen suchen, die noch nicht in den offiziellen Protokollen stehen. Für den Schulunterricht lagen viele Vorschläge und Ideen auf dem Tisch: Von Teststrategien für Lehrer, bis zur Nutzung der leerstehenden Hotellerie für die Reduktion der Klassengrößen. Doch die Regierung hat sich dagegen verwehrt: Das neue Schuljahr wurde mit einem „Lüftplan“ gestartet. Mitte November mündet das in neuerliche Schulschließungen.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 59%, 1603 Stimmen
    59% aller Stimmen 59%
    1603 Stimmen - 59% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 422 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    422 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 336 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    336 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 251 Stimme
    9% aller Stimmen 9%
    251 Stimme - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 128 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    128 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2740
12. März 2024
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Jakob Zerbes

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